Balve/Lüdenscheid. Anwohner, Pendler, Spediteure sind entnervt. Die Sperrung der A-45-Brücke bei Lüdenscheid gilt als „Super-Gau“. Wie lange dauert das Chaos?

Morgens um sieben ist die Welt im Hönnetal schon längst nicht mehr in Ordnung. Stoßstange an Stoßstange schieben sich Berufsverkehr und Schwertransporte über B 229 und B 515 von Lüdenscheid zu den nächsten Autobahnauffahrten in Hemer, Unna oder Neheim. Die Sperrung der A 45 bei Lüdenscheid ist im Balver Stadtgebiet sichtbar, hörbar, riechbar. Martin Gruschka von der Unternehmensgruppe Wocklum Chemie: „Das ist der Super-Gau.“

+++ STAU IM OKTOBER: BAUSTELLE ENKHAUSEN +++

Morgens um sieben verabreden wir uns für den späteren Vormittag. Bereits eine knappe Stunde später schickt der Chemie-Manager einen Screenshot vom Navi seines Autos, kommentarlos, das Bild spricht für sich. Rote markierte Fahrbahnbereiche stehen für Stau, und auch rot umrandete Baustellen-Dreiecke auf den gelben Verkehrswegen lassen die Hände von Pendlern feucht werden – und von Spediteuren.

Lüdenscheid-Touren kosten extra

Verkehrschaos im Märkischen Kreis: Der Balver Chemie-Manager Martin Gruschka auf dem Weg nach Lüdenscheid
Verkehrschaos im Märkischen Kreis: Der Balver Chemie-Manager Martin Gruschka auf dem Weg nach Lüdenscheid © Unbekannt | Martin GruschkA

Die Wocklum-Gruppe muss gerade das volle Programm ertragen. „Das ist die Hölle, und das wird jedes Mal die Hölle sein, das wird uns verfolgen die nächsten – ich sage mal: acht – Jahre“, sagt Gruschka entnervt. Er ist selbst betroffen. Die Wocklum-Gruppe hat ein Unternehmen in Lüdenscheid gekauft, Steinebach Chemie. Gruschka leitet es: „Ich habe keine Alternative. Ich muss von der Autobahn ‘runter und fahre in das Chaos rein.“ Schlimm ist es morgens zwischen 6 und 8.30 Uhr sowie nachmittags von 16 bis 18.30 Uhr.

Tobias Müller, Geschäftsführer der Paul Müller GmbH in Garbeck, sieht, dass Mitarbeitern aus Lüdenscheid oder Schalksmühle für lange Zeit Ungemach droht. Sein Unternehmen indes kommt glimpflich davon. Die Sperrung der Talbrücke Rahmede berühre das Geschäft „zum Glück nur am Rande“, erklärt Müller.

Wocklum Chemie hat es allerdings voll erwischt. Die Gruppe ordert Laster von Fremdfirmen, unterhält via Unternehmenstochter Konsor Logistik eigene Brummis, und Steinebach verfügt gar über einen eigenen Fahrzeug-Park für den Werksverkehr. Doch der Stau-Gau kostet Zeit und, schlimmer noch, Geld. Gruschka erklärt den Hintergrund. Der Fernverkehr verliert im Sauerland gerade mindestens anderthalb Stunden – egal wie die Route verläuft. Ein teurer Spaß: Die Trucker sitzen länger auf dem Bock, Überstunden fallen an, bei Lenkzeiten – Maximum: neun Stunden pro Tag – wird es zuweilen eng. Zudem fallen zusätzliche Maut-Kosten für „großräumiges Umfahren“ an, wie Extra-Touren im Radio-Jargon heißen. Gruschka: „Wir werden versuchen zu optimieren, aber da sind die Grenzen ziemlich eng.“ Selbst Aufträge fremdzuvergeben sei schwierig, sagt er. Entweder lohnen Logistiker Lüdenscheid-Touren rundweg ab – oder sie kosten extra.

Baustelle Kormke: Die Langzeitbaustelle (Foto von 2018) bescherte Anliegern und Fahrzeugverkehr viel Kiummer.
Baustelle Kormke: Die Langzeitbaustelle (Foto von 2018) bescherte Anliegern und Fahrzeugverkehr viel Kiummer. © WP | Jürgen Overkott

Umgekehrt rollt mehr Schwerverkehr durch Balve. Engelbert Falke und Adalbert Allhoff-Cramer wissen das aus leidvoller eigener Erfahrung, Polizeisprecher Lorenz Schlotmann bestätigt die Beobachtung. Gruschka hat eine Erklärung dafür: Laster auf der Nord-Süd-Route verlassen die Sauerlandlinie bei Olpe, quälen sich durch Finnentrop und Plettenberg, um nach Norden zu A 46 oder A 44 zu fahren: „Das merken wir in Balve.“

+++ BAUSTELLENPARADIES B 515 +++

Gruschka ärgert sich über die Politik: „Wir zahlen Kraftfahrzeugsteuer und die Maut, um die Infrastruktur des Bundes aufrecht zu erhalten. Und diese Erhaltungsmaßnahme ist mit der gesperrten Brücke Rahmede ins Leere gelaufen. Unsere Gelder sind nicht sinnvoll eingesetzt worden.“ Dazu kommen die Zusatzkosten für den Mehraufwand, von dem niemand wisse, wann er ende. „Unsere Fuhrpark besteht aus Fahrzeugen, die allesamt schwerer als 7,5 Tonnen sind. Wir werden die Brücke auf Jahre hin nicht mehr befahren können.“

+++ MOBILITÄTSTESTINSEL MELLEN: AUSWEGE AUS DEM DAUERSTAU +++

Kein Wunder, dass nicht nur Müllers Fazit lautet: Für die Region als Ganzes – und für die Anwohner an den Ausweichstrecken im Besonderen – sei die Brückensperrung „natürlich eine Katastrophe“.

Was tun? Gruschka glaubt, dass die Politik das Verfahren bei der Brücken-Sanierung beschleunige. Das braucht Zeit, so oder so. Bis dahin steht eine ganze Region im Stau.