Bottrop/Dorsten/Gladbeck. Dustin Tix und Nicklas Kappe wollen beide nach Berlin. Und machen erstaunliche Erfahrungen bei ihren Tür-zu-Tür-Besuchen.
Krieg vor den Toren, das Leben so teuer wie nie, die Demokratie unter Druck: Was macht das mit diesem Bundestagswahlkampf? Man könnte vermuten, dass der Ton rauer geworden ist. Dass mehr Menschen skeptisch reagieren auf Politiker, egal welcher Farbe. Und wie können die Kandidaten noch die Bürger erreichen, die sich mehr und mehr zurückziehen in ihre Blasen? Etwa mit den guten alten Türbesuchen – im Jahr 2025?
Wir haben Nicklas Kappe (CDU) und Dustin Tix (SPD) dabei begleitet. Im Wahlkreis Bottrop, Gladbeck, Dorsten sind sie die aussichtsreichen Direktkandidaten, zugleich zählen beide mit 29 und 28 Jahren zu den jüngsten überhaupt.
Haribo macht Wähler froh
„Hallo, wer ist denn da?“ – „Dustin Tix, ich bin der neue Kandidat der SPD für den Bundestag. Ich möchte mich hier einfach nur kurz vorstellen. Da hat man ein Gesicht zum Namen. Darf ich Ihnen meinen Flyer übergeben? Bisschen Haribo? ... Wie viele Kinder sind da?“ – „Einer. Aber nee, geben sie mir trotzdem zwei. Also eins für mich.“ Die Dame lacht. „Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag und eine schöne Restwoche.“ – „Super. Dankeschön. Euch auch dann.“ – „Danke. Alles Gute. Tschüss.“ – „Alles Gute. Tschüss.“
Erkenntnis Nummer eins: Die Menschen benehmen sich ganz anders als in den vermeintlich anonymen Kommentarspalten der Sozialen Medien. Auf Facebook & Co. ist es in der Tat noch einmal ruppiger geworden in den letzten Monaten, bestätigen beide Kandidaten. Aber im direkten Kontakt sind die Menschen höflich, oft sogar freundlich. Die schärfste Abweisung ist: Diese Partei will ich nicht, Tür zu.
Erkenntnis Nummer zwei: Der kleinste gemeinsame Nenner in diesem Wahlkampf ist Haribo. Eine Minitüte Goldbären öffnet Türen. Warum nicht Schokolade? „Die schmilzt in der Hand“, sagt Tix. Und dann gibt es auch Menschen mit Laktoseintoleranz. Auch Nicklas Kappe sagt halb im Scherz: „Haribo sind natürlich total wichtig.“ Am CDU-Stand auf dem Dorstener Marktplatz verteilt er auch Kugelschreiber oder Eiskratzer. Als es einmal hartgekochte Eier gab, ist eine Frau sechsmal vorbeigekommen.
Politik – ein Haifischbecken?
In Dorsten treffen sich die beiden Kandidaten zufällig. Kappe kommt von hier, Tix aus Gladbeck, darum kannten sie sich nicht näher bis vor ein paar Wochen. In einem Telefonat haben die beiden sich versprochen, einen fairen Wahlkampf zu führen. Kappe geht auch zum Stand der Grünen, begrüßt kollegial einen anderen Ratsherren. Mit dem Klischee von der Politik als Haifischbecken können beide nichts anfangen. „Politik ist wie das Leben“, sagt Tix. „Es gibt auch im Freundeskreis Kontroversen. Und dann wieder Zeiten, in denen es gemeinschaftlich zugeht.“
„Kappe, ich bin ihr Bundestagskandidat.“ An der Haustür fasst der CDU-Bewerber sich kürzer, erwähnt nicht einmal seine Partei, die sieht man ja auf dem Flyer. Das hat auch den Vorteil, dass die Menschen ihn nicht sofort in eine Schublade einsortieren. Wobei die bundesweiten Umfragen natürlich für ihn sprechen. Andererseits: Zuletzt ist in diesem Wahlbezirk 1961 ein CDU-Kandidat direkt gewählt worden. Seit 2009 hat Sven Volmering (CDU) gegen Michael Gerdes (SPD) das Nachsehen gehabt. Und bei der letzten Wahl fielen die Sonntagsfragen noch bitterer aus für die SPD.
Beide Kandidaten versuchen also, aus der kurzen Zeit viel herauszuholen. „Manchmal ziehe ich vor oder nach Terminen noch los – statt eine halbe Stunde nach Hause zu fahren“, sagt Nicklas Kappe. „Natürlich trifft man auch Menschen in Unterwäsche. Oder Leute, die einen auf ein Bier einladen wollen. Das muss man mit Humor nehmen. Offen sein, herzlich sein. Und wenn einer die CDU nicht leiden kann: Schönen guten Tag.“
Wenn es regnet, dann erst recht
Tix glaubt ebenfalls, dass es Eindruck macht, wenn man selbst klingelt, „vor allem, wenn es kalt ist oder regnet“. Und natürlich haben beide Kandidaten Helfer (die an der Haustür darauf verweisen, dass Tix und Kappe ebenfalls in der Nachbarschaft unterwegs sind). Vielleicht 80 Haushalte schafft ein Zweier-Team an einem Nachmittag. Vier SPD-Teams sind parallel unterwegs, als wir Tix in Bottrop begleiten. „Wir haben Schwerpunktquartiere gebildet, um eine Wirkung zu erzielen.“ In diesen Vierteln wird ein Großteil der Bewohner die Erfahrung machen, dass ein Parlamentarier in spe bei ihnen klingelt.
Tiefere Gespräche sind nicht ausgeschlossen, kommen in diesem Format aber selten zustande. Man überrascht die Menschen schließlich – wer möchte in Jogginghose über Politik diskutieren?
Eine Bottroperin aber sagt: „Ich bin so enttäuscht von der Politik. Auch von Scholz.“ – „Zu wenig getan, zu viel ausgesessen“, sagt ein anderer. Das sei schade, sagt Tix dann in Varianten. „Ich glaube, die letzten drei Jahre waren nicht die einfachsten, auch innerhalb dieser Ampelkoalition.“ Aber danke fürs Feedback. Die Menschen versichern dann von sich aus, dass sie weiter demokratisch wählen wollen.
Zur AfD bekennt sich kaum einer
„Nee danke, ich wähl die AfD!“ Das hört Dustin Tix an diesem Nachmittag im Nebel nur einmal durch die Sprechanlage. „Tut mir leid, ich bin für die CDU“ – das allerdings ein paar Mal öfter. Seinen Flyer nehmen einige dennoch entgegen. „Ich kann ja mal gucken.“ Aber Zuspruch ist auch nicht selten. „Die Stimmung an der Haustür ist besser“, sagt Tix, „als es die Umfragen vermuten lassen.“
Beide Kandidaten sagen: „Es war nicht mein Plan, Bundestagskandidat zu werden.“ Entscheidend war die Schulzeit: Kappe hat mitgeholfen, einen Wandertag zu retten, der gestrichen werden sollte. Tix hat den damaligen Bürgermeister interviewt und den Tipp bekommen, sich im Jugendrat zu engagieren. Sie haben sich zuerst engagiert – und dann kamen die Ämter: Beide arbeiten schon trotz ihres jungen Alters seit Jahren in den Stadträten von Dorsten und Gladbeck mit. Kappe sitzt auch im Kreistag, Tix ist SPD-Chef in Gladbeck.
Bis Berlin ein Ehrenamt
Bislang sind das alles Ehrenämter – die Basis-Pauschale für Ratsherren entspricht nicht einmal einem 500 Euro-Job. Erst der Einzug in den Bundestag würde einen der beiden zum Berufspolitiker machen. Kappe ist als Ingenieur bei Evonik verantwortlich für ein Gaskraftwerk. Den Wahlkampf bestreitet er mit seinem Jahresurlaub. Tix koordiniert die Vertriebssteuerung beim Energieversorger ELE und ist tarifbedingt freigestellt, versucht aber dennoch, seine Projekte dort weiterzuführen „und meine Kollegen nicht im Stich zu lassen“.
Einerseits ist politisches Engagement nicht attraktiver geworden: Die Abendveranstaltungen und die Arbeitsverdichtung, die Polemik der Populisten und die Anfeindungen im Netz, dazu die Überalterung in den Gremien. Andererseits: „Politik ist auch ungemein bereichernd“, sagt Nicklas Kappe. Fachwissen bekomme man in Ausschüssen und „man lernt Soft Skills: Konflikte zu schlichten oder auf Menschen zuzugehen. Auch das Klingeln und Menschen ansprechen im Wahlkampf ist eine Art Ausbildung.“
Vielleicht sind es unterm Strich sogar gute Zeiten für junge Menschen, die politisch aktiv werden. Schließlich gibt es nicht so viel Konkurrenz. Die Kandidaten der CDU im Land sind jedenfalls im Schnitt 47 Jahre alt und damit zwei Jahre jünger als im vergangenen Durchgang. Bei der SPD sieht es ähnlich aus. Auf ihr Alter werden Dustin Tix und Nicklas Kappe jedenfalls äußerst selten angesprochen.