Essen. Schüler treffen Politiker: Podiumsdiskussionen haben in NRW eine lange Tradition. Doch vor der Bundestagswahl 2025 kommt es jetzt zu Problemen.
Dürfen Schulen in NRW vor der Bundestagswahl keine Podiumsdiskussionen mit Politikerinnen und Politikern veranstalten? Das hat das Landesschulministerium entschieden, behaupteten zumindest Kritiker. Die SPD spricht von einer „Bildungskatastrophe“, die Liberalen zeigen sich „fassungslos“. Die Empörung wird so groß, dass sich Schulministerin Dorothee Feller (CDU) schnell um Klarstellung bemüht – und die Debatte nun im Schulausschuss zum Thema macht.
Zum Hintergrund: Das Ministerium hatte die Schulen in einem Schreiben auf ihre politische Neutralitätspflicht hingewiesen und sie aufgefordert, das Abstandsgebot von sechs Wochen vor der Bundestagswahl für den Besuch von Politikern einzuhalten. Und das trotz der knappen Zeit bis zur Wahl. Da die Frist bis zum 23. Februar damit bereits angelaufen war, wurde der Hinweis von manchen so interpretiert, dass keine Podiumsdiskussionen mehr stattfinden dürfen. Einige Leitungen sagten geplante Veranstaltungen ab.
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Dabei sei es nichts Neues, dass das Ministerium auf das sogenannte Neutralitäts- und Abstandsgebot hinweist, heißt es aus Dorothee Fellers Haus. Bereits seit zehn Jahren werde ein solches Schreiben vor jeder Wahl verschickt. So soll verhindert werden, dass die Kinder und Jugendlichen von Lehrkräften beeinflusst werden.
Das Gebot sei aber keine starre Grenze und bedeute „ausdrücklich kein Verbot von Podiumsdiskussionen, die den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien wahren und ein breites Meinungsspektrum abbilden.“ Diese Vorgabe führt allerdings vermehrt zu Diskussionen – weil sie den Schulen indirekt vorschreibt, dass auch die AfD mit auf dem Podium sitzen muss.
Oberhausener Schüler diskutieren auch mit AfD-Politikern
Viele Schulleitungen im Ruhrgebiet berichten von einem Dilemma: Sollen sie es riskieren, ihr Neutralitätsgebot zu verletzen? Oder lieber einer in Teilen gesichert rechtsextremen Partei eine Bühne bieten? Für Letzteres hat sich Stefan Schubert entscheiden. Er ist von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW und stellvertretender Leiter des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums in Oberhausen. „Die Schülerinnen und Schüler haben immer wieder gesagt, dass sie die AfD dabei haben wollen“, berichtet Schubert.
Bei früheren Wahlen sah das oft noch anders aus. Auch, weil die Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien sich weigerten, mit der AfD zu diskutieren, wurde sie seit der Bundestagswahl 2021 meist vom Format ausgeschlossen. Dass der Abgeordnete Uwe Lindackers Anfang Januar neben Politikerinnen und Politiker von CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke – das BSW hatte nicht auf die Einladung geantwortet – vor rund 300 Schülern in der Aula Platz nahm, war im Rückblick die richtige Entscheidung, findet Schubert. Ob Wählen ab 16 Jahren, Klimawandel, die Haltung zu EU oder das Selbstbestimmungsgesetz: „Ich habe es als sehr sachliche Debatte erlebt, in der klar wurde, wo die Positionen aller Parteien liegen.“
Falschaussagen hätten die Jugendlichen dabei keinesfalls stehenlassen. „Sie waren gut vorbereitet“, so Schubert. Lindackers Behauptungen – etwa, dass in vielen Gebieten der Ukraine kein Krieg herrsche, sondern dort für „Milliarden Skigebiete gebaut“ würden – führten oft zu lautem Gelächter, wie unser Reporter vor Ort berichtete.
Schubert betont, dass es gelinge, durch Projekte wie dem Talk, der seit 22 Jahren stattfindet, die Schülerinnen und Schüler für Politik zu begeistern, ohne sie dabei zu beeinflussen. Dass Lehrkräfte neutral sind, sei schließlich wichtig, findet er. Aber auch, dass sie demokratische Werte vermitteln. „Es wird ja gerne mal kritisiert, dass Schulen versuchen, Einfluss zu nehmen. Und ja, das will ich. Nicht für eine bestimmte Partei, aber für unsere Demokratie.“
Essener Schulleiter: „Wir halten nicht viel von Podiumsdiskussionen“
Für eine Essener Schulleiterin, die anonym bleiben möchte, kommt es hingegen nicht infrage, AfD-Politiker zu begrüßen. Deshalb wird in ihrer Gesamtschule in diesem Jahr keine Podiumsdiskussion stattfinden, obwohl sie das Format an sich unterstützt. „Ich will einer in Teilen rechtsextremen Partei keine Bühne bieten“, sagt sie. Die Schülerinnen und Schüler störe das nicht, sie hätten sowieso nicht den Wunsch danach geäußert.
Einen anderen Weg geht das Robert-Schumann-Berufskolleg in Essen. Statt Politikern sprechen dort Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Jugendlichen. In kleinen Gruppen informieren die Mitarbeitenden der Uni Duisburg-Essen über bestimmte Themen, wie etwa Fake-News. „Wir halten nicht viel von Podiumsdiskussionen“, sagt Schneider. „Da kommt es bloß zum rhetorischen Schlagabtausch der Parteien.“
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