Bochum. Kriege, Inflation und jetzt noch das Ampel-Aus: Derzeit jagt eine Krise die nächste. Ein Psychologe erklärt, wie wir wieder Stärke finden.

Klimawandel, Kriege, Inflation und jetzt auch noch das Aus der Ampel-Regierung: Viele Menschen an Rhein und Ruhr leiden unter den Dauerkrisen. Was können wir tun, um die Hoffnung nicht zu verlieren? Darüber hat Laura Lindemann mit dem Bochumer Psychologen Jürgen Margraf gesprochen. Der ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum, gibt Tipps, wie wir in schwierigen Zeiten widerstandsfähig bleiben können.

Herr Margraf, Donald Trump wurde zum Präsidenten der USA gewählt, zeitgleich wurde in Deutschland das Ampel-Aus besiegelt. Wie werden wir als Gesellschaft auf diese Tage zurückblicken?

Wie diese Zeit in Erinnerung bleibt, hängt ganz davon ab, was nun folgen wird. Viele Menschen in Deutschland haben negative Erwartungen im Hinblick auf die kommende Amtszeit von Donald Trump. Wir müssen abwarten, wie sich das entwickelt. Und was das Ampel-Aus betrifft: Für Deutschland kann das auch eine Chance sein, dass sich nun etwas ändert.

Jürgen Margraf ist Psychologe und ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum.
Jürgen Margraf ist Psychologe und ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. © RUB, Nelle | Marion Nelle

Inwiefern?

In unserer Befragung haben sich die meisten Menschen klar gegen ein „Weiter so!“ ausgesprochen. Die jetzige Regierungskrise bietet die Chance, dass wir bald eine neue starke Regierung bekommen. Und wir können handeln, indem wir wählen. Das gibt uns ein Stück weit Kontrolle zurück.

Lesen Sie hier: Psychologe rät: Aktiv werden, wenn die Seele leidet

Corona, Klimawandel, Kriege und jetzt das Zersplittern der Regierung: Gab es multiple Krisen in dieser Form bereits in der Vergangenheit?

Ich würde sagen, dass eine solche Situation eher eine Besonderheit ist – vor allem in dieser Häufung. Zudem wird etwa die Klimakrise jetzt viel deutlicher sichtbar.

Was macht das mit uns?

Viele Menschen fühlen sich in diesen Zeiten hilflos. Ihnen fehlt das Gefühl, wichtige Teile ihres Lebens unter Kontrolle zu haben. Hierbei handelt es sich zwar immer noch um eine Minderheit, aber die Verunsicherung wächst derzeit in der Gesellschaft. Ereignisse wie die Wahl Trumps oder das Einbrechen der Bundesregierung schlagen genau in diese Kerbe rein.

Was hilft bei all den Krisen, um den eigenen Alltag weiter gut zu bewältigen?

Aktiv sein ist immer besser als in eine passive Rolle zu gehen. Es ist sinnvoll, sich politisch oder anders ehrenamtlich zu engagieren. Aber es hilft auch schon, mit anderen über die Themen zu sprechen. Und am besten nicht nur mit Menschen, die die gleiche Meinung haben. Auch, wenn das manchmal unbequem ist.

Zudem ist es wichtig, sich zu informieren. Die Quelle ist dabei entscheidend. Unsere Daten zeigen deutlich: Wer sich über die Öffentlich-Rechtlichen oder andere Qualitätsmedien informiert, hat deutlich weniger Stresssymptome, mehr Kontrollüberzeugung und neigt seltener zu Verschwörungstheorien. Nachrichtenkonsum in den sozialen Medien sollte man hingegen möglichst vermeiden. Besonders negativ scheint der Effekt bei Videoplattformen wie TikTok und YouTube zu sein.

Also lieber auch mal das Handy aus der Hand legen?

Viele sind in einem inneren Zwiespalt – einerseits wollen sie sich informieren, andererseits schlagen die negativen Nachrichten oft auf die Stimmung. Ich rate dazu, sich einmal täglich zu informieren und sich nicht andauernd durch die News zu klicken. Und es ist total in Ordnung, sich auch mal nicht informieren zu wollen und keine Lust auf schlechte Nachrichten zu haben.

Resilienz kann in diesen Zeiten sicher helfen. Wie können wir sie erlernen?

Ja, Resilienz lässt sich immer trainieren. Gut ist, was unser Gefühl von Kontrolle stärkt und uns in die Selbstwirksamkeit bringt. Wenn man eine herausfordernde Erfahrung gemacht hat, ist es etwa wichtig, sich nicht darauf zu konzentrieren, was unangenehm war, sondern auf das, was man geschafft hat. Mein Tipp: Versuchen Sie sich an eine Herausforderung in Ihrem Leben zu erinnern, die sie bereits bewältigt haben. Schauen Sie sich genau an, wie Sie das gemacht haben und mit welchem Erfolg Sie daraus gekommen sind. Die selbe Übung können Sie dann auch noch mit einer zweiten und einer dritten Erfahrung machen. Das steigert das Selbstbewusstsein enorm. Außerdem empfehle ich immer das altbekannte Rezept: Sport, gesunde Ernährung und genügend Schlaf. Das sind echte Wundermittel. Außerdem kann es beruhigend sein zu wissen, dass man sich an Krisenzustände gewöhnen kann.

Bei vielen Menschen ist eine regelrechte Abneigung gegen Politiker zu spüren. Sollte man versuchen, diese zu überwinden?

Absolut. Es ist sinnvoll, sich ab und zu mal in Politiker hineinzuversetzen. Man muss sich bewusst machen, dass ihr Beruf oft sehr herausfordernd ist und sie meist unter einem großen Druck stehen. Zudem macht jeder Mensch Fehler, auch Politiker. Dabei ist es völlig in Ordnung, Inhalte und Handlungsweisen zu kritisieren. Aber sich klar zu machen, dass Politiker auch nur Menschen sind, kann helfen, Abneigungen abzubauen.

Wie merke ich, dass ich nicht mehr alleine klarkomme, und wo finde ich Hilfe?

In Deutschland leiden etwa 25 Prozent der Menschen an einer psychischen Erkrankung. Sie sollten sich psychologische Hilfe suchen, wenn sie stark leiden, nicht mehr richtig funktionieren oder ihren Alltag nicht mehr bewältigen können. Politikunzufriedenheit, Unbehagen oder ein Gefühl der Hilflosigkeit sind erstmal keine Anzeichen für eine psychische Erkrankung.

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