Essen. Personalnot zwang Essener Metzger, vier Tage die Woche zu schließen. Aber es gibt sie noch: Frauen wie Amira, die für selbstgemachte Wurst leben.
Amira wirft lächelnd ihr langes blondes Haar zurück über die Schultern, bevor sie in einem schwarzen Blouson, einer dunklen Hose und neongelben Sneakern zur Pause eilt. Wenn die schlanke Frau gefragt wird, was sie beruflich macht, sind die Leute oft „geschockt“. Die 21-Jährige wird Fleischerin.
Metzger stöhnen, weil sie kein Personal finden. Ein Essener Betrieb musste vier Tage die Woche schließen – die mangelnde Arbeitsmoral sei existenzbedrohend. Aber es gibt sie noch: Menschen, die gerne Wurst in einen Schweinedünndarm abfüllen. Es sind Menschen wie Amira Bietmann.
Das gibt Muckis: Sie zerteilt mit der Handsäge die Knochen
Vor ihrer Ausbildung hat sie viel ausprobiert: „Ich habe erst in der IT gearbeitet, dann im Kindergarten, schließlich in der Unfallchirurgie. Da habe ich den Bundesfreiwilligendienst gemacht. Aber die Patienten haben mir zu viel gemeckert.“ Auch eine Ausbildung zur Drogistin hat sie begonnen – und gespürt: „Ich bin kein Make-up-Mensch.“ Aber einer, der gerne mit der Säge Knochen zerteilt.
Da kann sie sich das Fitnessstudio sparen. „Einen Tag nach meiner Zwischenprüfung hatte ich Muskelkater.“ So schwer ist es, die Knochen des Schweins zu zersägen. Amira Bietmann macht ihre Ausbildung bei einer Fleischtheke eines Supermarktes, mehrere Wochen im Jahr lernt sie in Essen: in der Bildungsstätte im Frischezentrum. Dort gibt es Klassenräume mit Tafeln, wie in jeder anderen Schule. Und darüber hinaus eine Werkstatt mit Stühlen wie im Hörsaal, damit man erstmal Peter Kleinlosen auf die Finger schauen kann, wie der Werkstattlehrer die Kuh zerteilt.
Amira kann Blut gut sehen, fremdes Blut
„Wenn man weiß, wie es geht, geht es ratzfatz“, sagt Amira Bietmann. Es gebe verschiedene Bindegewebsschichten, durch die man durch müsse. „Oft zeigt einem das Fleisch schon den Weg“, sagt die Schülerin, die über ihrer weißen Kluft eine Kettenschürze trägt – wie ein Ritter. Auch ein Kettenhandschuh schützt sie vor Klinge und Sägeblatt. Das Ganze läuft unblutiger ab als es die meisten für möglich halten. Wobei Amira Bietmann gut Blut sehen kann. „Blut macht mir nichts. Außer mein eigenes. Wenn mir Blut abgenommen wird, liege ich daneben.“
„Blut und iiih“, das sei die Vorstellung der Gesellschaft von diesem Beruf, sagt Peter Kleinlosen. „Der Job hat ein Imageproblem. Da hat meine Generation nicht aufgepasst“, so der 67-Jährige. Er bedauert, dass sich immer weniger junge Menschen für dieses Handwerk interessieren. „Amira könnte dafür sorgen, dass sich das Image wandelt, dass Leute auch wieder Spaß bei der Arbeit haben.“ Das hat Amira Bietmann: „Ich fühle mich bei der Arbeit wohl, da vergeht die Zeit schnell.“ Dabei ist sie als Frau immer noch die Ausnahme. In ihrer Klasse sitzt nur eine weitere.
Viele Menschen achten auf den Preis, nicht auf die Qualität
Der Beruf sei im Wandel, da sich die Nachfrage ändere, erklärt Peter Kleinlosen: „Der Trend geht in der Fleischerei zu Convenience-Produkten. Die Leute wollen nicht mehr kochen – oder können es auch nicht mehr. Alles muss fix und fertig sein.“ Am besten direkt genießen. Leider fehle es an Wertschätzung für dieses Lebensmittel: „Für die Masse muss es günstig sein.“
Ein Tier schlachten darf Amira Bietmann auch als Fleischerin nicht. Daher möchte sie später noch den Schlacht- und Jagdschein machen, nach ihrem Meister. Dabei hat sie das Handwerk schon früh kennengelernt: Ihr Opa, ein Rassegeflügelzüchter aus Havixbeck, nahm die achtjährige Amira mit, wenn es Huhn, Gans, Ente oder auch größeren Tieren an den Kragen ging. Sie sollte lernen, woher das Essen kommt – nämlich nicht abgepackt aus dem Supermarkt. „Das Tier, das ich mit der Flasche aufgezogen habe, hatte ich später im Topf.“ Amira Bietmann wurde mit dem Spruch groß: „Erst klein, dann groß, dann lecker.“
Amira liebt ihren Beruf – nur mit Hack hat sie manchmal Probleme
„Wir haben früher schon Bratwurst selber gemacht.“ Amira reinigt und desinfiziert am Waschbecken in der Schulwerkstatt die Hände. Dann geht sie zur Wurstfüllmaschine. Mit ihrem Oberschenkel kann sie ein Pedal drücken, das die gewürzte Fleischmasse in Bewegung setzt, damit Amira Bietmann sie in die Hülle abfüllen und zu einer Mettwurst abbinden kann. Gibt es für sie keine Nachteile beim Fleischer-Job? „Nichts, bis auf die ganzen Vorurteile gegenüber diesen Beruf.“ Und dann fällt ihr doch noch etwas ein, woran sie sich erstmal gewöhnen musste: „Hackfleisch unter den Fingernägeln.“ Denn das wird mit bloßen Händen geknetet.
Es gibt immer mehr Vegetarier. Sie selbst hat schon mal ein halbes Jahre versucht, sich vegan zu ernähren, weil die Oma meinte, das sei gesünder. „Ich habe mein Fleisch vermisst, meine Milch, meine Eier.“ Wer Fleisch essen möchte, sollte auch keine Scheu haben, damit zu arbeiten, ist Amira Bietmann überzeugt. Junge Frauen, „die mehr Girlies sind“, könnten ihren Traumberuf nicht nachvollziehen, würden behaupten, sie ermorde Tiere. „Es sind Nutztiere“, entgegnet die angehende Fleischerin.
Die Liebe zum Steak
Das Bild vom Fleischer würde natürlich gar nicht zu ihr passen: „Ein stattlicher Mann mit Hackebeil, Schürze und rohem Fleisch. So sehe ich nicht aus“, sagt sie lachend. Nachdem Männer ihren anfänglichen Schock über ihre Berufswahl überwunden hätten, seien sie meistens begeistert. Schließlich ist das Steak-Braten ein weiterer Trend. Kleinlosen: „Das ist ein gewisser Hype geworden, kommt von den Amis. Die Amis kennen ja nur Steak oder Hack. Sie haben keinen Rinderbraten oder Suppenfleisch.“ Dann habe man sich überlegt: „Warum nur Rumpsteak essen? Schneiden wir doch auch woanders etwas vom Tier ab und nennen es Steak“, sagt Kleinlosen schmunzelnd. „Rib-Eye-Steak klingt doch viel besser als ,Hohe Rippe ohne Knochen‘ – ist aber dasselbe.“
„Ich möchte weiter Fleisch essen, ich möchte eine Tradition bewahren, ich möchte es besser machen“, begründet Amira Bietmann ihre Berufswahl. Massentierhaltung sieht sie kritisch. Sie träumt von einem kleinen Hof mit eigenen Tieren, „die ein Leben hatten“. Bevor sie in die Wurst kommen.
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Dieser Artikel erschien das erste Mal am 17. Oktober 2024.