Duisburg. Hunderttausende Männer sollen sich auf der Plattform Bilder kleiner Mädchen angesehen haben. Auch zwei Tatverdächtige aus NRW in Haft.
Diesmal haben sie nicht „nur“ die User. Sie glauben, die Hintermänner zu haben: In sechs Bundesländern ist der Polizei der Schlag gegen eine „schwindelerregend große“ Plattform für Kinderpornografie gelungen. Im Darknet sollen Hunderttausende Männer über fünf Jahre hinweg Bilder von Mädchen ausgetauscht haben. Mit dem Abschalten des vor allem aus Deutschland betriebenen „Girl-Lover-Forums“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul, habe man vor zwei Wochen „kein Strohfeuer, sondern einen Flächenbrand“ gelöscht.
Alles nimmt seinen Anfang in Duisburg: Ermittler aus Bayern stoßen 2020 im Darknet auf einen Duisburger, der sich nur ein einziges Mal auf der Plattform eingeloggt hat. Der Verdächtige zeigt sich reumütig, gibt seine Daten der Polizei preis. Das ist die Eintrittskarte zu einem der langlebigsten Pornoringe, zudem die Ermittler je Zugang hatten. Und der Grund, warum die Polizei Duisburg den Großeinsatz führt und am Dienstag vorstellt, gemeinsam mit der ZAC NRW, der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime des Landes.
Schlag gegen Kinderporno-Plattform: über 1500 Asservate
Ein erstes Verfahren wird bereits 2022 abgeschlossen, aber geheimgehalten, um das große Ganze nicht zu gefährden. In der letzten Septemberwoche nun durchsuchen 200 Polizeikräfte sieben Objekte, sie stellen umfangreiches Beweismaterial sicher: allein 1517 sogenannte Asservate wie Laptops und Handys, dazu Berge von Datenträgern. Nur diese DVDs und Videokassetten füllen 94 Umzugskartons. In einigen Fällen, erklärt Reul, sei eine Live-Datensicherung „am offenen PC“ gelungen.
Die exakte Datenmenge kann derzeit noch gar nicht abgeschätzt werden. Ein Beispiel von Innenminister Reul: Auf dem Rechner eines einzigen Beschuldigten sei eine Datenmenge von 13,5 Terabyte auszuwerten – geht man davon aus, dass ein Foto im Schnitt vier Megabyte hat, entspreche das etwa 3,4 Millionen Fotos.
Große Belastung für die Ermittlerinnen und Ermittler
Eine große Belastung für alle, die sich das Material auf lange Zeit werden ansehen müssen. Nicht nur psychisch: Reul spricht von „abscheulichen Fantasien und Gräueltaten“, die zur Schau gestellt würden. Oft noch schlimmer für die Fahnder, weiß Duisburgs Polizeipräsident Alexander Dierselhuis, seien die Berge an Daten, die sie nach Dienstschluss unbearbeitet zurücklassen müssten: „Jedes Video könnte ein aktiver Missbrauch sein, der noch weitergeht.“ Den die Polizei also vorerst noch nicht stoppen kann. Deren Leistung nennt ihr oberster Dienstherr Herbert Reul „unermesslich“, alle Ermittlerinnen und Ermittler melden sich für solche Aufgaben freiwillig.
Die Arbeit, sagt Alexander Dierselhuis, komme in diesem riesigen Tatkomplex einem „Blick in ein Museum der Kinderpornografie“ gleich: Bei den Durchsuchungen fand die Polizei Datenträger von Magnetbändern über VHS-Videokassetten und CD-Roms bis zum USB-Stick. Das zeige, wie Täter über Jahrzehnte jede technische Neuerung mitgenommen hätten. „Die Speichermethode wird immer kleiner, die Datenmenge wächst dabei ins Unermessliche.“
Wie viele Opfer es diesmal gibt, können sie indes noch lange nicht beziffern. Reul spricht von einem „entsetzlichen Martyrium der Schwächsten unserer Gesellschaft“, Polizeipräsident Dierselhuis weiß: „Die Kinderseelen sind für immer zerstört.“ Für ihn ist zudem „völlig abartig“, dass sich Täter schönredeten, was sie tun: Es gebe Männer, die behaupteten, ein Kind erfahre so seine Sexualität.
Das hat auch der Leiter der Ermittlungskommission Kai-Arne Gailer schon häufig gehört. Männer rechtfertigten sich damit, „dass Kinder das möchten“. Auf Tonspuren, bei denen ihm schlecht geworden sei, hat der Kriminalhauptkommissar gehört, wie sich Täter austauschten über Geschenke und Drogen, mit denen sie selbst Babys und Kleinkinder gefügig gemacht hätten. Selbst dass ein kleines Mädchen beim Spiel „Hoppe, hoppe, Reiter“ lache, gelte solchen Männern als „Aufforderung zu Zärtlichkeiten“.
Mehr als die halbe Führungsriege hinter Gittern
Die Tatverdächtigen sollen zwei 45 und 56 Jahre alte Männer aus Jüchen und Minden in Nordrhein-Westfalen sein, ein 43-Jähriger aus Schleswig-Holstein, ein 61-Jähriger aus Baden-Württemberg, ein 62-Jähriger aus Niedersachsen, ein 69-Jähriger aus Rheinland-Pfalz und ein 45-Jähriger aus Bayern. Sechs Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft: mehr als die halbe Führungsriege des kriminellen Netzwerks, das weltweit aktiv war.
Ein solcher Schwerpunkt in Deutschland sei ungewöhnlich, heißt es. Man habe in diesem Fall, sagt NRW-Justizminister Benjamin Limbach, nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Hintermänner gefasst, die im dunklen Teil des Netzes „eine verborgene Welt erschaffen“ hätten. Ihr Antrieb sei dabei nicht nur das Geld gewesen, das es mit Kinderpornografie zu verdienen gibt. „Das Verlangen nach Bildern produziert immer neue Fälle.“ Das bestätigt Kripomann Gailer: Bilder seien im Netz schnell alt und verbraucht, dann würden neue gebraucht. Und immer stehe dahinter „ein geschädigtes Kind“. Viel Material ist offenbar auch kostenfrei ausgetauscht worden – um sich in der Szene einen Namen zu machen.
Polizeieinsatz sorgt für Unruhe im Darknet
Diese Szene übrigens soll irritiert auf den Polizeieinsatz und seine Folgen reagiert haben. In Duisburg berichten die Ermittler von Unruhe in der Community. Dort werde genau verfolgt, was die Polizei unternehme und die Frage diskutiert: „Wer ist gefallen?“ Auch die Einladung zur Duisburger Pressekonferenz, die digital übertragen wird, sei im Darknet geteilt worden. Erkennbar an Profilbildern und -beschreibungen nehmen am Dienstag auf der Plattform X nicht nur Pressevertreter teil.
Ermittlungschef Gailer wendet sich deshalb auch an jene aus der Szene, „die den Livestream gucken“: „Sie zerstören diese Kinder!“, ruft er ihnen hörbar bewegt zu, Sie fördern nur Ihr eigenes Ego.“ Die Opfer seien kleine Kinder, die sich nicht wehren könnten. Die Täter hätten noch eine Chance, „wenn, dann jetzt! Falls wir bei Ihnen noch nicht waren.“