Essen/Duisburg. Algen schmecken nicht nur als Sushi. Sie könnten auch den Klimawandel mildern. Zu Besuch bei einer der weltweit größten Algensammlungen.
Die eine Alge erinnert an grünes Haar, die andere an Scheibchen von sauren Gürkchen. Doch mit dem bloßen Auge sind sie oft gar nicht zu erkennen in dem rot, lila oder grün gefärbten Wasser. Schaut man sich die Mikroalgen jedoch unter dem Mikroskop an, „ergeben sich ganz andere Welten“, schwärmt Sophie Schleifer. Da sieht man auf einmal Sterne, dort „fliegt“ man mit grünen Planeten durch ein unbekanntes Universum. Die 29-Jährige ist eine der beiden „Gärtnerinnen“ dieser ungewöhnlichen Farm im Keller der Universität in Essen: Mit über 7000 verschiedenen Stämmen ist sie eine der weltweit größten Algensammlungen.
Die Biologisch Technische Assistentin schaut regelmäßig nach, ob es ihren „Pflänzchen“ gut geht. Manche Algen schweben zum Beispiel im Wasser, wenn sie sich wohlfühlen – und fallen zu Boden, wenn sie nicht mehr können. Algen betreiben genauso wie Pflanzen Photosynthese, sie binden Kohlendioxid (CO₂) und produzieren Sauerstoff. Sie sind neben dem Regenwald die zweite „grüne Lunge“ unseres Planeten. Auch deshalb sind sie so interessant für die Forschung.
Es gibt Ideen, wie man mit Algen den Klimawandel abschwächen könnte. Würde man sie vermehren, könnten sie auch mehr CO₂ binden. Oder sie könnten eingesetzt werden, um Abgase von CO₂ zu befreien, bevor sie in die Atmosphäre gelangen, nennt Bánk Beszteri Beispiele. Aber der wissenschaftliche Koordinator der Algensammlung der Uni Duisburg-Essen macht deutlich, dass viele Ansätze noch zarte Gedankenpflänzchen sind.
Andere Ansätze sind da schon viel konkreter. Insbesondere für die hiesige Wasserforschung ist die Algensammlung interessant. Mit den Algen kann man zum Beispiel Flüsse überprüfen. Beszteri: „Je nachdem, welche Algen dort vorkommen, kann man daraus schließen, wie es dem Gewässer geht.“ Schließlich wachsen manche wie Unkraut, während andere Arten wählerisch sind. „Algen sind auch sehr wichtig für die Wasser-Reinigung“, ergänzt Olga Matantseva, die Kuratorin der Sammlung. Nicht nur bei der natürlichen Selbstreinigung, sondern auch in Kläranlagen helfen sie, Schadstoffe zu filtern.
Manche Algen fressen wie kleine Tiere
„Algen sind mikroskopische Organismen, die sich durch Zellteilung vervielfältigen“, erklärt Beszteri weiter. Und zwar wachsen sie exponentiell. „Das exponentielle Wachstum kennt man ja seit Covid.“ Nicht alle Algen sind pflanzenähnlich. Blickt man durchs Mikroskop auf die Alge Ceratium, erinnert sie mit dem kleinen Horn und Schwanz an ein winziges Tier. Diese Alge zählt nicht nur zu den schnellsten Schwimmern, „sie ist flott unterwegs“, sagt der Professor für Algenkunde, sie frisst auch andere Zellen.
„Es hat sicherlich auch etwas mit dem Schiffsverkehr zu tun, dass die Algen deutlich mehr um die Welt kommen.“
„Die tierische und pflanzliche Trennung ist hier nicht so scharf“, sagt der 48-Jährige. So gibt es Algen, die Photosynthese betreiben, andere, die Zellen fressen, und wieder andere, die beides tun. Und dann gibt es die sogenannten Blaualgen, die eigentlich gar keine Algen sind, sondern Bakterien, „die ursprünglichen Erfinder der sauerstoffproduzierenden Photosynthese“. Manche Algen sind auch giftig.
Giftige Algen vor Grönland
„Früher war es so, dass man toxische Algenblüten nur aus den gemäßigten Breiten, aus den Tropen und temperierten Regionen, gekannt hat. Jetzt haben wir zum Beispiel ein Projekt, bei dem wir die toxischen Algen vor den Küsten Grönlands untersuchen“, sagt Beszteri. Die veränderten Umweltbedingungen, darunter Erwärmung der Ozeane und schmelzende Gletscher, haben zu diesem neuen Vorkommen geführt. Und: „Es hat sicherlich auch etwas mit dem Schiffsverkehr zu tun, dass die Algen deutlich mehr um die Welt kommen.“
Um zu gedeihen, brauchen viele Algen Wasser, das mit Mineralien angereichert ist. Die meisten in der Sammlung liegen in Süßwasser, die anderen mögen es salzig. Die Kolben sind verschlossen mit Silikonstöpsel, die Luft hereinlassen, aber keine Bakterien. Für die Sammlung in den fensterlosen Räumen wurden besondere Regale gebaut: Die lichtdurchfluteten Regalbretter lassen sich dimmen, denn bei der Lichtstärke gibt es ebenfalls verschiedene Bedürfnisse. Die eine Alge fühlt sich in der Klimakammer bei 15 Grad am wohlsten, die andere bevorzugt sommerliche 23 Grad.
Sicherheitskopien sind auch für die Algensammlung wichtig
In der Sammlung befinden sich viele Algen aus Deutschland, die man zum Beispiel durch Wasserproben gewonnen hat. Aber auch Algen aus der ganzen Welt sind nun in Essen beheimatet. Von jeder Kultur stehen drei Kolben im Regal, quasi Sicherheitskopien: Die Gärtnerinnen entnehmen an sterilen Arbeitsplätzen ein paar Zellen und geben sie in ein frisches Medium – „die Suppe, in der sie liegen“, macht es Beszteri anschaulich. Bei manchen Algen ist das alle paar Wochen nötig, andere fühlen sich auch dann noch wohl, wenn sie einige Monate im selben Bad schwimmen.
In einem großen Kolben blubbert eine grüne Flüssigkeit, wie ein Hexentrank. „Das sind Grünalgen“, erklärt Biologin Dr. Olga Matantseva. Sie werden für eine Firma gezüchtet, die sie als Futter für Krebse benötigt. Die 36-Jährige ist neu an der Uni, seit August dieses Jahres arbeitet sie als Kuratorin der Sammlung, die ihren Anfang 1974 in Hamburg nahm, dann in Köln weiter gepflegt wurde, bevor sie schließlich 2020 nach Essen kam. Olga Matantseva nimmt Anfragen von Unternehmen oder von anderen Universitäten entgegen und beliefert natürlich auch die Wissenschaftler der Uni Duisburg-Essen.
Es gibt ja auch unglaublich viele Einsatzmöglichkeiten für Algen: Auf die Energiefrage geben sie eine Teil-Antwort. Als Lieferant für Bio-Kraftstoffe blockieren sie im Gegensatz zu Mais keine landwirtschaftlichen Flächen. Und verschönern sollen sie auch noch: Algen-Pigmente sind bereits heute in der Kosmetik-Industrie beliebt.
Algen gelten als gesund. Aber ob sie sich als Hauptnahrungsquelle eignen?
Aktuell ist ein DNA-Projekt an der Uni Duisburg-Essen in Zusammenarbeit mit einer US-Forschungseinrichtung zustande gekommen, dem Joint Genome Institute in Berkeley. Das Wissenschaftler-Team unter der Leitung von Alexander Probst und André Soares erhofft sich, wenn es die DNA der Algen in der Essener Sammlung entschlüsselt, mehr über die Geschichte des Lebens zu erfahren und die Rolle der Algen in unseren Ökosystemen.
„Algen sind auch sehr wichtig für die Wasser-Reinigung.“
„Wir haben eine hohe Vielfalt an Algen“, sagt Beszteri. So groß die Sammlung in Essen auch ist: Es gibt natürlich noch viel mehr Arten, schätzungsweise mehrere Hunderttausend. Darunter auch die essbaren, zum Beispiel den Seetang, mit dem man den Sushi-Reis einrollt. Die essbaren Algen gelten mit ihrem Nährstoffreichtum als gesund. Auch das wird erforscht: wie Algen die Ernährung der Menschen verbessern könnte. Sie wachsen schneller als die Pflanzen an Land. Das sei ein Vorteil, unterstreicht Olga Matantseva. Noch müsse allerdings erforscht werden, wie sich Algen als eine vorstellbare Hauptnahrungsquelle auf die Gesundheit der Menschen auswirkt. Schließlich seien womöglich nicht alle Bestandteile unbedenklich. Trotzdem ist die Wissenschaftlerin überzeugt: „Ich glaube, dass wir in Zukunft mehr Algen essen werden.“
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Dieser Text ist das erste Mal am 20. September 2024 erschienen.