Hagen. Bei der Bundestagswahl im Herbst möchte der Medienmanager Christian Nienhaus für die CDU das Direktmandat holen. Wer ist der Mann eigentlich?
Christian wer? Da musste selbst der politische Gegner zunächst einmal ratlos googeln, als die Hagener CDU im April ihren Kandidaten für die Bundestagswahl präsentierte. In der Medienbranche gilt der 61-jährige Nienhaus seit Jahrzehnten als echtes Schwergewicht, doch auf dem lokalen Politik-Parkett sucht man seit seinem Antritt im 1994er Bundestagswahlkampf gegen den damaligen Oberbürgermeister Dietmar Thieser nach seinen Spuren vergebens. Stattdessen hat der Axel-Springer-Manager in den vergangenen Jahrzehnten die unternehmerischen Strippen in den großen Verlagshäusern der Republik gezogen. Nun möchte der Wirtschaftsexperte mit Hagener Wurzeln als unabhängiger Geist seine Erfahrungen mit einem Direktmandat in der Tasche in Berlin am liebsten als Mitglied der CDU-Regierungsfraktion einbringen. Aber zurück zur Ausgangsfrage: Wer ist dieser Christian Nienhaus eigentlich? Wie tickt der Typ, der künftig auf Wahlplakaten an jeder Ecke mit charmant-entschlossener Ausstrahlung auf Wählerstimmenfang geht? Höchste Zeit für einen ausgedehnten Spaziergang über den Drei-Türme-Weg, um den Menschen hinter der Karriere zu entdecken:
Dass der eher schlaksige 1,90-Meter-Wanderer gerne mal zu Fuß in der Natur unterwegs ist, verrät schon sein atmungsaktiver Dresscode in Kombination mit trittfestem Schuhwerk und Funktionsrucksack. Wer seinen privaten Wohnsitz südlich von Freiburg wählt, kann den Versuchungen der Wanderlust kaum widerstehen: „Die Hügellandschaft zwischen Obstplantagen und Weinbergen ist ein ideales Wochenenddomizil“, schwärmt er und empfiehlt die Region mit ihren Bilderbuchdörfern als klassische Urlaubsregion. „Ich habe mit Berlin immer ein wenig gefremdelt“, macht der studierte Wirtschaftswissenschaftler deutlich, dass er trotz seiner zahlreichen Jobs in Großstädten eigentlich nicht der geborene Metropolentyp sei. „Ich bin eher der Menschen fürs Grüne“, betont er diesmal ganz ohne politische Hintergedanken, auch wenn seine Frau Brigitte bei ihrem Kennenlernen im Lager der einstigen Ökopartei ihre Haltungswurzeln hatte.
Amors Pfeile im Haus Waldfrieden
Die Hagenerin lernte der Musik-Fan, dessen Playlist im Smartphone noch heute mit den Rockhymnen der 70er- und 80er-Jahre gefüllt ist, im „Haus Waldfrieden“ bei einem Konzertabend kennen, den die Junge Union im 1983er-Wahlkampf organisiert hatte: Eine Parteifreundin hatte Amors Pfeilen sekundierend die Richtung gewiesen: „Bei einem Auftritt der Rockgruppe ,Ring‘ haben wir uns beim Tanzen vor der Bühne das erste Mal geküsst.“ Fortan mussten die Hagener Jungunionisten es tolerieren, dass bei Parteiveranstaltungen im Hintergrund immer wieder eine junge Frau aus dem Grünen-Lager Platz nimmt und stumm, aber aufmerksam lauscht und strickt. Sich von Andersdenkenden inspirieren zu lassen, genießt der CDU-Kandidat bis heute: „Ich diskutiere gerne, lese und höre gerne Polit-Thriller und historische Biografien. Zuletzt habe ich Bücher über Willy Brandt, Konrad Adenauer und Charles de Gaulle gelesen“.
Nienhaus hat in seiner Hamburger (Gruner + Jahr), Essener (WAZ) und Berliner Zeit (Axel Springer) stets vor den Toren der Städte gewohnt. Erst zuletzt ist er in der Hauptstadt in den Bezirk Mitte gerückt, „weil der wahnsinnig aggressive Verkehr nervte“. Nun blickt er im Botschaftsviertel im Ortsteil Tiergarten von seinem Balkon in die grüne Oase der NRW-Vertretung und steuert auch meistens mit dem Fahrrad sein Büro im Verlagshochhaus im Zentrum an.
Dass er es gerne beschaulich mag, führt der überzeugte Unionist, der einst als 16-Jähriger bei Alt-OB Wilfried Horn seinen CDU-Mitgliedsantrag unterschrieb, durchaus auf seine Hohenlimburger Wurzeln zurück. Der gebürtige Hammer, der bereits als vierjähriges Kleinkind und Sohn des Elseyer Volksschulleiters an die Lenne übersiedelte, verbrachte dort seine gesamte Jugendzeit. Die Straßen rund um das Kirchenbergstadion sowie die Wälder in Richtung Humpfertturm entdeckte er als seine Abenteuerwelt; am Schlossparkplatz oder im Schlesierland trifft er sich noch heute mit Wegbegleitern seiner Hagener Zeiten zum Wandern, Schlemmen und Schwelgen in Erinnerungen.
Bis in die Basketball-Bundesliga
Dazu zählt auch seine für einen Hagener nahezu unvermeidliche Basketball-Vergangenheit. Nachdem er als Elfjähriger mangels begnadeten Talents das Fußballspielen aufgegeben hatte, versuchte sich der in frühen Jahren schon hochgeschossene Jugendliche als Center beim TV Hohenlimburg. „Der Filigrantechniker war ich nicht, ich kam mehr über den Kampf ins Spiel“, profitierte er von der Inspiration durch seinen Sportlehrer Peter Krüsmann und Klassenkameraden Klaus Risse. In die Bundesliga schaffte er es für zwei Jahre dennoch – als Vizepräsident des USC Freiburg.
Das etwas Kleinteilige und im besten Sinne Provinzielle fasziniert den Vagabundierenden zwischen den deutschen Verlagssitzen bis heute: „Ich habe durch die viele Umzieherei sicherlich eine besondere regionale Empathie entwickelt und zugleich einen weit verteilten Freundeskreis gefunden.“ Als Geschäftsführer der Badischen Zeitung entwickelte er seine Liebe zum Breisgau, wo er vor zwei Jahrzehnten sein Familiendomizil fand. „Ich habe in meinem Managerleben immer viel Zeit in Hotelzimmern verbracht. Und meiner Frau war es irgendwann egal, wo ich abends nicht zu Hause bin.“
Wer in der Berufswelt mit den Entscheidern dieser Republik auf exponierter Bühne seine Zeit verbringt, braucht den Kontrast: „Während man bei Springer häufig in einer Veranstaltungsblase lebt und von einem Empfang zum nächsten Event hetzt, erdet ein Wochenende im Dorf hingegen sehr. Dort bin ich nicht der Verlagsgeschäftsführer, sondern der Christian. Den Leuten dort ist es völlig egal, was ich beruflich mache. Im Gegenzug bekomme ich einen Perspektivwechsel pur. Im ländlichen Raum und in im Vergleich zu Berlin deutlich kleineren Städten werden die Probleme des ÖPNV beispielsweise ganz anders wahrgenommen als in der Hauptstadt.“ Gleichzeitig betont der BVB-Fan, dass er bis heute bei politischen Diskussionen gerne mit dem Kopf die Hagener Perspektive einnimmt, weil hier einst sein Blick auf die Themen – irgendwo zwischen Junge-Union-Revoluzzertum und Hagener Ratsmandat – geschärft wurde. An der Seite von Willi Strüwer, Helmut Diegel und anderen späteren CDU-Granden wurde Nienhaus in der Volmestadt politisch sozialisiert. „Hier habe ich in der Kommunalpolitik gelernt, wie Politik funktioniert.“
Zur rechten Zeit am richtigen Ort
Dass sein beruflicher Werdegang letztlich ins Medienmanagement führen würde, hatte der Wirtschaftswissenschaftler, der an der Ruhruni Bochum in den 80er-Jahren gerade auf dem Weg zu seiner Promotion war, niemals konkret angestrebt: „So eine Karriere kann und sollte man nicht planen. Vielmehr gilt es, immer wieder neu zu überlegen, ob man die Chance nutzt, wenn irgendwo eine Tür aufgeht. Dann muss man aber auch konsequent handeln und nicht mehr zurückblicken.“ Entsprechend ergriff er als Hochschulassistent die Gelegenheit, als das Medienunternehmen Bertelsmann Führungsnachwuchs für den „Gruner + Jahr“-Verlag suchte. Der renommierte Journalist und Publizist Johannes Gross, einst prägendes Gesicht der „Bonner Runde“ und eine Ikone des Politik-Journalismus, suchte einen Assistenten. „Bei solch einem tollen Einstieg konnte ich nicht Nein sagen“, pfiff Nienhaus auf den Doktor-Titel und bog zunächst einmal auf journalistische Pfade ab. Doch als seinerzeit Gruner + Jahr die Hamburger Morgenpost übernehmen wollte, wurde Nienhaus als Wegbereiter für dieses Geheimprojekt rekrutiert, agierte dort als kommissarischer Verlagsleiter sowie geschäftsführender Redakteur unter dem damaligen Chef Wolfgang Clement und wurde letztlich mit 27 Jahren zum Geschäftsführer ernannt.
Bei den großenVerlagen zu Hause
Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Christian Nienhaus war zu Beginn seines beruflichen Wirkens von 1984 bis 1995 für den Verlag Gruner+Jahr tätig.Von 1995 bis 2000 agierte er als Geschäftsführer des Badischen Verlages in Freiburg und von 2000 bis 2001 als Geschäftsführer der Süddeutschen Zeitung GmbH. Danach wechselte er zur Axel Springer AG.Von 2008 bis 2014 war er in Essen als Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe tätig und maßgeblich an ihrer Umstrukturierung zur Funke-Mediengruppe beteiligt.2015 kehrte er wieder zu Springer zurück und wurde sowohl Vorsitzender der Geschäftsführung von Sales Impact als auch von Media Impact. Aktuell ist Nienhaus Geschäftsführer des Verlagsbereiches News Media Print.
Mehr als drei Jahrzehnte später zählt er heute mit 61 Jahren eher zu den Dinosauriern in diesem Metier. Der neue, sich gerade auf dem CEO-Sessel etablierende starke Mann bei Springers deutschem Mediengeschäft ist mit 35 Jahren beinah halb so alt. Nienhaus in seiner aktuellen Rolle als „Senior Vice President Strategy“ mit zig angedockten Geschäftsführer-Jobs ist Realist genug, heute schon abzusehen, dass seine Geschäftsführertätigkeit – sollte sein Weg in den Bundestag nicht gelingen – in den nächsten Jahren enden und er eher eine Beraterrolle für den Verlag einnehmen wird.
Dass er in all den Jahren gutes Geld verdient hat, macht den passionierten Audi-Fahrer in seinem Denken umso unabhängiger: „Aus finanzieller Sicht muss ich nach 37 Jahren im Medienmanagement nicht mehr arbeiten. Wenn man da nicht völlig bekloppt das Geld aus dem Fenster rausschmeißt – und dazu neige ich als Beamtenkind nicht –, dann muss man nicht mehr so fürchterlich auf jeden Euro achten.“ Zudem ist ihm die Rückendeckung von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner sicher, für den es „ein Akt des Patriotismus“ sei, seine Bundestags-Kandidatur zu unterstützen.
Auch den eigenen Städten helfen
Dabei ist sich Nienhaus durchaus bewusst, dass ihm die politische Konkurrenz im Wahlkampf sicherlich als Makel vorhalten werde, als Mitverantwortlicher das Aus der Zeitungsredaktionen der Westfälischen Rundschau besiegelt zu haben: „Das war eine wirtschaftlich notwendige Entscheidung“, spricht der Manager damals wie heute von vielen Jahren mit hochdefizitären Bilanzen: „Es gab keine Perspektive für schwarze Zahlen – und dann ist auch in der Verlagsbranche das Unternehmen verpflichtet, die anderen Geschäftsfelder und Arbeitsplätze zu schützen und Verlustquellen zu schließen.“
Was seinerzeit für den einzelnen Titel des Essener Regionalzeitungsimperiums galt, betrachtet der leidenschaftliche Hollandurlauber mit Blick auf den immensen Schuldenberg in Hagen durchaus differenzierter. „Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass Gemeinden, die wirtschaftlich besser dastehen wie beispielsweise Breckerfeld, es kritisch sehen, wenn Altschulden sozialisiert werden.“ Gleichzeitig verweist er darauf, dass angesichts der Corona-Belastungen und Klimathematik der Bund riesige Finanzprogramme auflegen werde und damit anderen verschuldeten Ländern in der EU helfen werde. „Dann müssen wir im Bund auch den eigenen Städten helfen“. Zudem hätten die Städte auch über lange Jahre Dinge finanzieren müssen, die ihnen von Bund und Land zwar auferlegt, aber nie ausreichend gegenfinanziert worden seien. „Wenn man das alles berücksichtigt, dann muss man eine Lösung für die alten Schulden der hoch verschuldeten Städte finden, die jahrelang einen Solidarbeitrag für die teils reichen Städte im Osten Deutschlands geleistet haben“, betont er. Und der Bund müsse dafür Sorge tragen, dass die Kommunen für neue Aufgaben, wie das verpflichtende Angebot der Ganztagsbetreuung an Schulen auch die nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt bekommen.
30-Prozent-Marke im Blick
Ohnehin ist der Ökonom kein großer Fan staatlicher Programme und Lenkung. Er fremdelt auch ein wenig mit der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock: „Sie ist eine sympathische Frau, die ihr Wort machen kann und in Talkshows vielleicht sogar besser funktioniert als Armin Laschet. Der aktuelle Hype ist mir allerdings zu überzogen, sie hat im Gegensatz zu Laschet noch nicht bewiesen, dass sie eine Regierung erfolgreich führen kann. Sie hat keinerlei Führungserfahrung außerhalb ihrer Partei.“ Anspruch der CDU, so steckt Nienhaus klar das Ziel für September ab, müsse es bleiben, über die 30-Prozent-Marke zu kommen. Dann, so merkt er mit gesundem Optimismus an, habe er auch in Hagen eine realistische Chance, das Direktmandat im Wahlkreis 138 (Hagen/EN) zu erobern.
Sollte dies gelingen, so verspricht er, werde er neben der dann ja weiterhin notwendigen Bleibe in der Hauptstadt sich wieder einen Wohnsitz in Hagen – bevorzugt in Hohenlimburg – suchen, um sich adäquat um seinen Wahlkreis kümmern zu können. „Und in den nächsten Monaten bis zur Wahl werde ich sowieso viel vor Ort im Wahlkreis sein.“ Schließlich sollen die Menschen dann in vielen direkten Gesprächen erleben können, wer dieser Christian Nienhaus tatsächlich ist . . .