Hohenlimburg. Erstmals seit über 500 Jahren hat das Wahrzeichen des Schlosses Hohenlimburg die Burgmauern verlassen. Die Schwarze Hand wurde abgeholt.
Ein bisschen ist es so, als hätte man den Berlinern die Viktoria von der Siegessäule geschraubt. Als Restaurator Andreas Weisgerber gestern Vormittag vorsichtigen Schrittes eine Alukiste über den knarrenden Holzboden des Schlosses Hohenlimburg hinaus in den Schlosshof trägt, da nimmt er ein Wahrzeichen dieser Höhenburg mit. Zum ersten Mal verlässt in diesem Augenblick die Schwarze Hand das Schloss. Sie wird erst am 21. November zurückkehren.
Im Jahr 1811 schlägt ein Blitz auf Schloss Hohenlimburg ein. Seine Bewohner finden kurz darauf, was bis heute das für Tausende Besucher in vielen Jahrzehnten spannendste Mysterium dieser Höhenburg ist: die Schwarze Hand. Dass ihre Legende nicht stimmt, hatte ein Paläontologe im Jahr 2010 herausgefunden. Sie ist nicht das Überbleibsel eines Knaben, der die Hand gegen seine Mutter erhob.
Ein CT-Scan und eine Radiokarbondatierung ergeben damals: Die Hand ist 500 Jahre alt. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die Wissenschaftler finden heraus, dass es sich um eine rechte Hand handelt, wohl die eines erwachsenen Mannes. Alle Fingerendglieder fehlen sowie ein Teil der Handwurzelknochen. Ein Rest Kordel am Daumen deutet nach Auffassung des Forschers auf eine ältere Etikettierung hin. Keine Hackhiebe, Schnitte, Krankheiten oder Geschwüre. Die Schwarze Hand soll ein Leibzeichen sein, der abgetrennte Körperteil eines Ermordeten. Die Rechtsprechung sah vom Mittelalter bis zur Frühneuzeit vor, dass Täter und Opfer vor Gericht anwesend sein müssen. Das „Leibzeichen” war sozusagen die Vertretung der würdig bestatteten Leiche.
Seit ihrem Fund ist die Hand auf Schloss Hohenlimburg das, was der Sängersaal auf Schloss Neuschwanstein ist – ein Publikumsmagnet. Und als solchen hat Schlossherr Maximilian zu Bentheim-Tecklenburg die Hand an das Osthaus-Museum verliehen, das sie ab dem 4. September in der Ausstellung „Hagen – die Stadtgeschichte, Kultur, Musik“ anlässlich des 275-jährigen Stadtjubiläums zeigen wird.
Versichert mit 500.000 Euro im Schadensfall
Für den Transport in die dortige erste Etage reiste gestern Restaurator Andreas Weisgerber vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe aus Münster an. Da stand die Hand schon nicht mehr an ihrem üblichen Platz im abgedunkelten Turmzimmer, sondern in einem hellen Raum mit Blickrichtung Hohenlimburg. Mit Gummihandschuhen hob Weisgerber die mit 500.000 Euro versicherte Hand vorsichtig von ihrem Tuch aus einer Vitrine und verstaute sie zunächst in einem Pappkarton, der wiederum in eine gepolsterte Alubox verschwand – in Begleitung der Museumsmitarbeiterinnen Julia Wahlsdorf und Ramona Demandt. Wenig später war die Hand bereits im Osthaus-Museum wieder hervorgeholt und in einer weiteren Vitrine platziert worden.
Das Fürstenhaus erhebt keine Leihgebühr. Im Sinne einer modernen Museumskonzeption sei eine Ausleihe durchaus sinnhaft, erklärte Maximilian zu Bentheim-Tecklenburg zuletzt gegenüber unserer Zeitung. Und weiter: „Wenn man bewusst Exponate an andere Stellen bringt, bringt das auch Schloss Hohenlimburg etwas.“ Die Hand wird zwischen September und November weg sein – eine eher besucherschwache Zeit auf Schloss Hohenlimburg, wo ab Ende des Jahres übrigens ein Drehkreuz den Einlass zur Schlossanlage regeln soll.
Ein hoher fünfstelliger Betrag aus Bundesmitteln wurde bewilligt, um im Eingang eine Zaun- und Toranlage mit bargeldlosem Kassenautomaten zu realisieren. Der Trägerverein Fürstliche Schlösser konnte sich erfolgreich für Gelder aus dem Fördertopf „Neustart Kultur für Heimatmuseen, private Museen und öffentlich zugängliche Gedenkstätten“ bewerben. Wie die Öffnungszeiten angesetzt werden und bei welchem Betrag der Eintrittspreis liegt, waren zuletzt zwei der vielen Fragen, die noch im Detail geklärt werden sollen.
Vor elf Jahren lüftete eine Holthauserin übrigens ein lange gehütetes Familiengeheimnis, das einen Schaden an der Hand erklärt. Gabriele Burkat aus Holthausen offenbarte damals in dieser Zeitung: „Meine Uroma hat die Hand nämlich fallen gelassen, als sie als junges Mädchen in Diensten des Hofes stand. Da ist der Finger abgebrochen.”
Geheimnis um fehlenden Finger
Burkats Urgroßmutter Luise Ermert war am 29. August 1885 zur Welt gekommen und begann mit 14 Jahren, also 1899, ihre Lehre als Köchin in der Schlossküche. „Sie wollte die Hand wohl abstauben. Dazu stieg sie auf einen Stuhl und nahm sie herunter. Da sprang der kleine Finger ab”, berichtete die Urenkelin seinerzeit. Die kleine Küchenmamsell fürchtete sich natürlich vor Strafe, und so hatte sie es nur ihrer Familie erzählt. Die behielt auch Stillschweigen, vielleicht aus Furcht, auch noch Jahrzehnte danach belangt zu werden.
Uroma Luise war, wie auch ihr Ehemann Friedrich Wilhelm Ihne, in den 70er-Jahren verstorben. „Meine Eltern haben immer wieder mit mir an Schlossführungen teilgenommen. Einmal hat mein Vater mich erwischt, als ich mir einen Stuhl geholt hatte und gerade dabei war, der Ritterrüstung den Helm abzunehmen. Vater hat mir rechts und links ein paar Backpfeifen gegeben. Bestimmt dachte er an das Missgeschick seiner Großmutter und wollte keine Wiederholung durch die eigene Tochter”, erinnerte sich Gabriela Burkat in der Ausgabe vor elf Jahren.
Eine Frage bleibt offen
Sie hatte auf die eingangs beschriebenen Untersuchungsergebnisse des Paläontologen Dr. Wilfried Rosendahl reagiert. Die Redaktion hatte den Wissenschaftler auch befragt, ob er diesen frischeren Bruch nicht habe feststellen können. „Nein, das geht nur, wenn ein Bruch frisch ist. Die ganze Hand war aber schwarz. Wir wissen letztlich nicht, wie das Leibzeichen den Finger und die Fingerendglieder verloren hat”, erklärte der Wissenschaftler damals.