Drolshagen/Ecuador. Das Land in Südamerika droht an der Corona-Pandemie zu zerbrechen. Heinz Stachelscheid ist unermüdlich im Einsatz.

Es gibt kaum noch ein anderes Thema. Alle sprechen über dieses Virus. Diese Krise, die die Gesellschaft lahmlegt. Unmut macht sich breit. Bei den Menschen, die nicht mehr arbeiten dürfen. Bei den Menschen, die das soziale Miteinander vermissen. Einige gehen sogar auf die Straße. Demonstrieren gegen die Schutzmaßnahmen, reden die Gefahr klein – weil sie es nicht sehen. Weil sie nicht sehen, wie es sein könnte. Die Menschen in Ecuador sehen es. Mehr noch. Sie erleben es jeden Tag. Heinz Stachelscheid aus Drolshagen arbeitet als Entwicklungshelfer vor Ort. Er erzählt von einem Land, das droht in der Corona-Welle zu ertrinken.

Es herrscht Ausnahmezustand

Ecuador ist bekannt für den Amazonas-Dschungel, die Galapagosinseln, das Andenhochland. Das Land an der Westküste Südamerikas ist beliebt bei Abenteurern, die die dichten Regenwälder oder prähistorischen Vulkane entdecken möchten. Doch mittlerweile bestimmen andere Bilder die Nachrichten. Menschen in Schutzanzügen, die Leichen aus den Häusern tragen. Improvisierte Feldkrankenhäuser. Das Gesundheitssystem ist überlastet, Beerdigungsunternehmen überfordert. Zu hoch sind die Infektions- und Todeszahlen. Natürlich hat die Regierung reagiert. In einigen Provinzen herrscht Ausnahmezustand. Es gelten nächtliche oder gar ganztägige Ausgangssperren. Versammlungsverbot. Strenge Maskenpflicht – selbst im Freien und im eigenen Auto. Dennoch: Die Zahlen sinken nicht.

Heinz und Diana Stachelscheid sitzen mit ihrem Hund auf der Terrasse ihres Hauses in Quito.
Heinz und Diana Stachelscheid sitzen mit ihrem Hund auf der Terrasse ihres Hauses in Quito. © WP | Privat

Heinz Stachelscheid sitzt im Wohnzimmer seines Elternhauses in Drolshagen. Er und seine Frau Diana wurden nach Deutschland evakuiert. Eigentlich leben sie in Quito, der Hauptstadt von Ecuador. Ein bisschen außerhalb der Stadt, auf einer ehemaligen Avocado-Plantage haben sie sich ein Haus gekauft. Im Grünen mit einem wunderschönen Garten vor der Haustür. Doch der Urlaub in der Heimat bei der Drolshagener Familie verläuft im vergangenen Jahr anders als gedacht. Plötzlich explodieren die Infektionszahlen, eine Rückkehr erscheint zu gefährlich. „Die Situation ist insgesamt sehr angespannt in Ecuador“, erzählt der 62-Jährige. „Die Menschen liegen vor den Krankenhäusern und kommen nicht rein.“

Aber warum trifft es dieses Land, in dem so strenge Schutzmaßnahme gelten, so hart? Viele Menschen in Ecuador leben in Armut. Sie können nicht einfach aufhören, zu arbeiten. Sie können sich daher nicht an Schutzmaßnahmen halten. „Es ist so furchtbar“, sagt Heinz Stachelscheid und berichtet von Menschen, die auf der Straße rumlaufen und den Autofahrern „Schutzkräuter“ gegen das Virus verkaufen. „Ich musste das Geld durch das leicht geöffnete Autofenster schieben und die Frau bitten, ihre Ware auf die Straße zu legen und einige Meter Abstand zu halten. Man will ja irgendwie helfen.“

Heinz Stachelscheid arbeitet seit 30 Jahren als Entwicklungshelfer, seinen ersten Einsatz hatte er in Ecuador 1991. Dort hat er auch seine Frau Diana kennengelernt, die beiden sind seit 23 Jahren verheiratet und haben zwei erwachsene Töchter. Heinz Stachelscheid ist Tierarzt und arbeitet fast ausschließlich mit bäuerlichen Familien, die wenig Land besitzen. Vielleicht ein oder zwei Kühe, Alpakas oder Lamas.

Der Entwicklungshelfer, der für „Brot für die Welt“ arbeitet, kümmert sich um die Tiere, bildet aber auch junge Bauern aus, vermittelt ihnen das notwendige Wissen, sich selbst zu helfen. Zurzeit arbeitet er aus dem Homeoffice. Er plant Projekte, die nach der Corona-Pandemie anlaufen sollen. Außerdem arbeitet er an seinem nächsten Buch, ein großes Handbuch über die Tierzucht und Tiergesundheit. Jeden Abend – aufgrund der Zeitverschiebung – hat er Zoom-Meetings mit den Kollegen vor Ort.

Große Trauer um Kollegen

Dort ist die Anspannung groß. Sorgen und Ängste begleiten sie täglich. Dass sich wieder ein Kollege ansteckt. So wie vor ein paar Wochen Iván García. Plötzlich wird er sehr krank. Die Corona-Infektion nimmt bei ihm einen schweren Verlauf. Drei Wochen liegt der 58-Jährige im künstlichen Koma. Aufgrund der Überlastung des Gesundheitssystems muss er in eine Privatklinik. 2500 Dollar am Tag kostet der Aufenthalt. Seine Versicherung deckt nur einen Teil der Kosten. Seine Kollegen verzichten auf Tagesgehälter, um ihm – wenigstens finanziell – helfen zu können. Doch Iván García stirbt. „Wir sind zutiefst erschüttert und sehr traurig“, sagt Heinz Stachelscheid. „Für meine Organisation in Quito ist dies ein herber Schlag, weil Iván eine besonders charismatische Person war.“

Heinz Stachelscheid und seine Frau Diana gehen wieder zurück. Zurück nach Ecuador. Noch in diesem Monat ist der Flug geplant. Dann, wenn beide ihren vollständigen Impfschutz haben. Es sind gemischte Gefühle, die ihn begleiten. Natürlich mache er sich Sorgen. Aber die Hoffnung, dass die Impfung sie wirklich schützt und das Ziel, seine Projekte weiterzuführen und zu beenden – das treibt ihn an. Und dann meldet sich da noch das Gewissen. Als Geimpfter in ein Land zurückzukehren, wo so viel Angst und Leid herrscht. In ein Land, wo die Impfkampagne erst schleppend angelaufen ist. Wo noch viel zu wenig Impfstoff vorhanden ist.