Hagen.

Im SPD-Ortsverein Altenhagen fliegen die Fetzen, verschiedene Lager intrigieren auf Augenhöhe. Doch der tiefe Graben, der dort zwischen Altgenossen und angeblich gezielt eingeschleusten Neu-Mitgliedern aufgerissen ist, spiegelt letztlich jene Befindlichkeiten exemplarisch wider, die seit der Kommunalwahl 2009 das angespannt-fragile Innenleben der Hagener SPD prägen. Während der Ortsvereinsvorsitzende Waldemar Stange sich von seinem Stellvertreter Giutzel Ali Oglu im Rahmen der Jahreshauptversammlung der „Gestapo-Methoden“ bezichtigen lassen musste, wenden sich alt gediente Sozialdemokraten mit Grauen von ihrer SPD ab. Dabei handelt es sich lediglich um einen Stellvertreter-Krieg, der in dem kleinen Ortsverein tobt: Hintergrund der Auseinandersetzungen, so die Wahrnehmung vieler Genossen, sei offenkundig eine gezielte, scheibchenweise Unterwanderungsstrategie, mit der eine Gruppe um den Juso-Vorsitzenden Timo Schisanowski die Mehrheitsführerschaft zu erobern versuche.

Das Ränkespiel begann bereits vor etwa einem Jahr, als bei der Jahreshauptversammlung des Altenhagener Ortsvereins, zu der sich üblicherweise nur ein Dutzend Genossen verirrt, plötzlich 43 Mitglieder im AWo-Saal an der Fraunhofer­straße auftauchten. Viele von ihnen zum ersten Mal und einige dabei sogar dusselig genug zu verraten, dass sie nur auf Geheiß von Juso-Chef Schisanowski vorbeischauen würden. Dieser hatte, so berichten mehrere SPD-Mitglieder einhellig, zuvor auf fünf Beitrittserklärungskarten der Neuen den Ortsverein Altenhagen höchstselbst handschriftlich eingetragen. Also der gezielte Versuch, die klassischen Mehrheitsverhältnisse bei Vorstands- und Delegiertenwahlen zugunsten der SPD-Nachwuchsorganisation zu kippen? „Bösartige Unterstellungen“, dementiert Schisanowski, der seine jüngste Wiederwahl als Juso-Chef nicht zuletzt der Anwesenheit vielköpfig erschienener Hasper Boxsportler, die wiederum mit einem Abendessen mitsamt Getränken „entlohnt“ wurden, zu verdanken hat. Er habe an jenem Abend als Mitglied des geschäftsführenden Unterbezirksvorstandes gemeinsam mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionschef Claus Rudel nur deshalb vorbeigeschaut, um in Vertretung für Parteichef Jürgen Brand ein waches Auge auf den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung zu werfen.

Übernahme des Ortsvereins verhindert

Die Altenhagener hatten im Vorfeld der Jahreshauptversammlung jedoch Lunte von aufkommenden Putsch-Plänen gerochen: Nach dem Rücktritt des Ex-Vorsitzenden Martin Schulz-Beiss wurden somit genügend Alt-Mitglieder mobilisiert, um Nachfolger Waldemar Stange im Rahmen einer abgestimmten Liste die Mehrheit für den Vorsitz zu sichern. Eine Übernahme des Ortsvereins durch vorzugsweise jüngere Mitglieder mit Migrationshintergrund wurde zunächst vertagt. Für den gerade einmal seit zwei Jahren in der Partei agierenden Versicherungskaufmann Giutzel Ali Oglu reichte es an diesem denkwürdigen Abend zunächst nur für den Stellvertreter-Posten. Eine Rolle, in der der aufstrebende Lokalpolitiker mit griechischem Pass und türkischen Wurzeln nach Angaben des Unterbezirksvorsitzenden Jürgen Brand seitdem für 30 Neueintritte – vorzugsweise von Migranten aus dem osmanischen Kulturkreis – sorgte.

Dass es sich dabei häufig um auswärtige Leute handelt, die zum Kollegenkreis des um ein Ratsmandat ringenden Aktivisten zählen, aber keinerlei Verbundenheit zu Altenhagen mitbringen, sieht der SPD-Chef Brand, der weiterhin als Richter am NRW-Verfassungsgerichtshof urteilt, gelassen: „Triebfeder dieser Leute ist offensichtlich die landsmannschaftliche Verbundenheit“, verweist er darauf, dass es für die Mitgliedschaft in einem SPD-Ortsverein grundsätzlich keine Residenzpflicht gebe. Der Bewerber müsse lediglich in seinem Antrag auf Ausnahmegenehmigung eine nachvollziehbare Begründung für die Mitgliedschaft in einem wohnortfremden Ortsverein liefern. Unter der Prämisse dieser Gummi-Regelung wurden zuletzt sogar zwei Neu-Genossen in Altenhagen aufgenommen, die als Wohnsitz Dortmund und Georgsmarienhütte angeben. Mit deren leibhaftigem Erscheinen wird jedoch erst dann ernsthaft gerechnet, wenn die nächsten Wahlen anstehen.

Meldeadresse ohne Klingel und Briefkasten

Ali Oglu selbst gibt vor, in der Boeler Straße 15 – also direkt in Altenhagen - zu wohnen. Doch in diesem Mehrfamilienhaus ist ein Mieter dieses Namens unbekannt. Aufgeflogen war diese Diskrepanz, als der SPD-Landesverband sich in Altenhagen meldete, weil das für den Genossen versandte Parteiorgan „Vorwärts“ regelmäßig als unzustellbar zurückkam und obendrein der Kassierer vergeblich wegen fehlender Mitgliedbeitragszahlungen nach einer Klingel suchte. Ebenso musste der Ortsvereinsvorsitzende Waldemar Stange unverrichteter Dinge wieder umkehren, als er – um Portokosten zu sparen – Mitgliederpost persönlich einwerfen wollte.

Als der 46-Jährige daraufhin bei seinem Stellvertreter im Rahmen der jüngsten Jahreshauptversammlung (24. Februar 2011) sich nach dessen tatsächlichem Wohnort erkundigte, verlor Ali Oglu die Fassung und unterstellte, ihm würde im Stile der Nazi-Schergen von der Gestapo nachgestellt. „Ich bin fast vom Hocker gefallen“, verwehrt sich Stange entschieden gegen derartige Vorwürfe: „Ich bin kein Faschist!“ Sein 45-jähriger Vize bestreitet derweil gar nicht, dass der „Gestapo“-Begriff im Rahmen einer hitzigen Debatte aus seinem Munde gefallen sei. Er möchte sich mit weiteren Stellungnahmen jedoch zurückhalten, bis die Sache intern geklärt sei.

Im Gespräch mit unserer Zeitung lässt er lediglich durchblicken, dass es im Ortsverein immer dann zu Problemen komme, wenn Neu-Mitglieder aktiv mitgestalten wollten. Wiederholt habe der Vorsitzende, der – so Ali Oglu in einem innerparteilichen Schreiben, das der Redaktion vorliegt - angeblich auch einer jungen Genossin nachstellte, ihm „nachspioniert“. Darüber hinaus sei die Boeler Straße 15 durchaus seine offizielle Meldeadresse, es gebe dort allerdings weder Klingel noch Briefkasten. Er wohne derzeit noch in Eppenhausen und müsse erst seine privaten Verhältnisse regeln: „In der Sache möchte ich festhalten, dass Waldemar in meinem persönlichen Umfeld fortlaufend rumgeschnüffelt und mich das sehr verletzt hat.“

Ränkespiele verprellen Alt-Genossen

Waldemar Stange, der sich anwaltliche Schritte vorbehält, beobachtet derweil mit Sorge, wie sein SPD-Ortsverein schleichend von Mehrheiten übernommen wird, die keinerlei Bezug zu dem Stadtteil mitbringen. „Ich genieße bei den aufrechten Genossen aus Altenhagen den vollen Zuspruch, aber viele Mitglieder, die seit 40, 50 Jahren dabei sind, haben einfach die Nase voll“, warnt er davor, dass sein Ortsverein durch Ränkespiele vor die Wand gefahren werde.

Dabei deutet er vor allem auf das Wirken der Hagener Jusos und nennt ausdrücklich die Namen von Timo Schisanowski (SPD-Chef Haspe-Süd), SPD-Ratsfraktionschef Mark Krippner (SPD-Chef Hohenlimburg) und Christian Peters (SPD-Chef Eppenhausen-Halden), die von den Hagener Alt-Genossen auch gerne als die „Kleinen Strolche“ tituliert werden. Diesen gehe es vor allem darum, im Stil einer feindlichen Übernahme mit herbeizitierten Gefolgsleuten künstliche Mehrheiten bei Vorstands- und Delegiertenwahlen zu konstruieren. Langfristiges Ziel dieser Aktivitäten sei es, bei der Nominierung von Landtags- und Bundestagskandidaten gegen MdL Wolfgang Jörg und MdB René Röspel mit eigenen Leuten und eigener Hausmacht bestehen zu können.

Ein strategisches Konzept, das als das „System Johannes Kahrs“ bereits bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete, gleichzeitig Sprecher des einflussreichen konservativen Seeheimer Kreises, gilt als entscheidender Strippenzieher, der einst dem örtlichen Juso-Chef durch ein putschartiges, gezieltes Überrennen des Ortsvereins Hamburg-Eimsbüttel die notwendige Delegierten-Mehrheit für eine Bundestagskandidatur verschaffte. Ein Drehbuch, so spekulieren viele etablierte Hagener SPD-Mitglieder, das Alt-Oberbürgermeister Dietmar Thieser, selbst Mitglied des Seeheimer Kreises und graue Eminenz im Hintergrund, gemeinsam mit der örtlichen Juso-Organisation fleißig für die Volmestadt umgeschrieben habe.

Unterstellungen von Scharfmachern

Verschwörungstheorien, die auf Unterstellungen einiger Scharfmacher fußten, meint hingegen der Juso-Chef. „Darauf möchte ich eigentlich gar nicht reagieren“, macht Schisanowski deutlich, dass nicht etwa er die meist jüngeren Neu-Mitglieder für Altenhagen anwerbe, sondern die Migranten sich vom stellvertretenden Ortsvereinsvorsitzenden Ali Oglu angezogen fühlten. „Nur weil ich einige dieser Leute kenne, habe ich sie noch lange nicht geschickt.“

„Ich beobachte auch, dass da versucht wird, Tendenzen aufzurichten“, mahnt SPD-Chef Brand, der als Förderer des Partei-Nachwuchses gilt, dennoch zur Gelassenheit. „Früher hat es auch schon Versuche gegeben, auf diese Weise Mehrheiten zu schaffen – das kann man nicht verhindern“, erinnert der promovierte Jurist daran, dass es sich im Fall von Altenhagen lediglich um einen fünfprozentigen Ausschnitt der Hagener SPD handele. Außerdem verfüge der Ortsverein über genügend Mitglieder, um Übernahme- oder Unterwanderungstendenzen von Außen aus eigener Kraft zu blockieren.

Ob Waldemar Stange für diesen Abwehrkampf selbst noch die Kraft und Motivation aufbringen möchte, hält er sich momentan offen: „Dass es bei uns nicht mehr um die praktische politische Arbeit, sondern nur noch um Schiebereien und Seilschaften geht, stößt den Alt-Genossen nur noch übel auf“, sieht er auch den Unterbezirksvorsitzenden Brand auf der Seite der „Kleinen Strolche“ und vermisst von dessen Seite die persönliche Rückendeckung.

Unterbezirkschef Brand will Lage sondieren

Am 24. März will der SPD-Unterbezirkschef im Rahmen einer außerordentlichen Ortsvereinsversammlung versuchen, die Lage in Altenhagen vor Ort zu sondieren: „Die Auswirkungen dieser Zuwanderungen müssen wir in den Griff kriegen“, wirbt Brand dafür, die innerparteiliche Integration hinzukriegen. Mit Blick auf die Gestapo-Äußerungen möchte er „versuchen, die Situation zu befrieden“, schließt aber ein Parteiordnungsverfahren auch nicht aus.

Darüber hinaus schwelt über der ohnehin angespannten Lage der Vorwurf, dass einige der Altenhagener türkischstämmigen Neugenossen sich sogar dem radikalen Gedankengut der „Grauen Wölfe“ verbunden fühlten. Diese nationalistisch-faschistoide Organisation steht unter verschärfter Beobachtung des NRW-Verfassungsschutzes, der der Gruppierung vorwirft, „zur Entstehung einer Parallelgesellschaft in Europa“ beizutragen und damit die Integration der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland zu verhindern. Sollten SPD-Mitglieder dieses Geistes sich in Altenhagen tatsächlich wiederfinden, sieht der Unterbezirksvorsitzende die Grenzen des Tolerablen endgültig überschritten: „Das würde nicht gehen. Wir haben Möglichkeiten, uns von solchen Leuten zu trennen – das würde Konsequenzen haben.“