Kreis Olpe. Offenbar hat die AfD im Kreis Olpe die Unterschrift einer Seniorin erschlichen, um genügend Kandidaten zu bekommen. Die Partei weist das zurück.
„Ich bin fast vom Stuhl gefallen.“ Das Entsetzen ist dem Wendener immer noch anzuhören, als er erzählt, wie er aus unserer Zeitung erfuhr, dass ausgerechnet seine Schwiegermutter bei der Kreistagswahl für die AfD kandidiert. „Ich habe die Welt nicht mehr verstanden.“
In einem Wahlkreis fern des eigenen Wohnortes wird sie am 13. September auf dem Wahlzettel stehen, obwohl sich die Seniorin bislang nie groß mit Politik auseinander gesetzt hat. Der Wendener hat mit seiner Schwiegermutter darüber gesprochen, auch Kontakt zur AfD gesucht. Um zu verstehen. Zwei Wochen später sagt er: „Für mich ist das unlauterer Wettbewerb.“ Er fühlt sich an Betrüger erinnert, die mit dem Enkel-Trick immer wieder Erfolg haben bei älteren Menschen.
In rechtlicher Hinsicht ist die Kandidatur seiner Schwiegermutter nicht mehr zu verhindern. „Dem Kreiswahlausschuss liegt ein unterschriebenes Dokument vor“, berichtet er. Wie die AfD an die Unterschrift gelangte, sei aber zumindest aus moralischer Sicht verwerflich, behauptet der Schwiegersohn.
Vertrauen der Seniorin ausgenutzt?
Eine Bekannte seiner Schwiegermutter lebe mit AfD-Kreissprecher Klaus Heger zusammen. Sie habe das Vertrauen der Seniorin gewonnen. Und nutze dieses Vertrauen aus, so mutmaßt die Familie der älteren Dame, um sich die notwendige Unterschrift zu erschleichen.
Bei einer ersten Aufstellungsversammlung Anfang Juni hatte die AfD zunächst Bewerber für 20 der 24 Wahlbezirke bestimmt. Damit wäre die Partei in vier Kreistagswahlbezirken nicht zu wählen gewesen. Kurze Zeit später habe sich die Bekannte gemeinsam mit Klaus Heger die Unterschrift der Seniorin aus dem Wendener Land besorgt. An einem Wochenende. „Sie haben bei der Freundin zu Hause gesessen – auch noch mit anderen Frauen“, so erzählt es der Schwiegersohn und geht von einer gemütlichen, ungezwungenen Atmosphäre aus. Dann unterschrieb die ältere Dame ein Formular, ohne genau auf den Inhalt zu achten. „Sie dachte, sie müsse das unterschreiben, um wählen zu können.“ Stattdessen beförderte sie sich durch die Unterschrift auf den Stimmzettel. Bis zu einer zweiten Wahlversammlung konnte die AfD schließlich auch die vier noch offenen Bezirke besetzen.
Partei legt E-Mail-Adresse an
Als die Kreistagskandidaten auf einer eng bedruckten Doppelseite veröffentlicht wurden, taucht der Name der Seniorin erstmals in der Öffentlichkeit auf. Zusammen mit einer E-Mail-Adresse. Dabei hat die Bewerberin wider Willen nach Angaben ihres Schwiegersohnes noch nicht einmal einen Internetzugang. Die Angabe einer Mail-Adresse ist als Ersatz für die Wohnanschrift notwendig, um sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Es ist auch zulässig, dass eine Partei dafür eine neue Adresse anlegt, wie es in diesem Fall passiert zu sein scheint. Sie müsse nur sicherstellen, so die Auskunft des Kreises, dass der Kandidat oder die Kandidatin auch Zugang zu diesen E-Mails hat. Eine Nachricht des Schwiegersohns an die vermeintliche Adresse der Seniorin blieb allerdings unbeantwortet. „Sie kriegt davon gar nichts mit.“
„Mittlerweile weiß meine Schwiegermutter, dass sie einen großen Fehler gemacht hat“, sagt der Wendener. „Sie schämt sich dafür.“ Mit der Zeitung möchte sie nicht darüber sprechen.
AfD-Kreissprecher Klaus Heger betont auf Anfrage, dass „kein Kandidat und keine Kandidatin der AfD ohne eigenes Wissen für die Kreistagswahl in Olpe aufgestellt wurde“. Alle Bewerber seien auch darüber aufgeklärt worden, welche Informationen über sie in der Presse und im Internet veröffentlicht würden. „Selbstverständlich waren sich alle Kandidaten der Bedeutung der Kandidatur bewusst“, erklärt Klaus Heger. Durch sein „gewissenhaftes Vorgehen“ habe es eineinhalb Jahre gedauert, bis er alle Kandidaten für die 24 Wahlbezirke auf Kreisebene zusammen hatte. Viele AfD-Mitglieder oder -Sympathisanten seien vor einer Kandidatur zurückgeschreckt, weil sie berufliche Nachteile fürchteten.
Zweimal zur Kandidatur bereit erklärt
Die Bewerber für die Kreistagswahl hätten sich sogar zweimal bereit erklären müssen: Erst persönlich oder durch eine unterschriebene Erklärung auf der Aufstellungsversammlung, anschließend mit einer Unterschrift auf der „Zustimmungserklärung zur Aufnahme in einen Wahlvorschlag in einem Wahlbezirk“, den die AfD dann beim Kreis Olpe einreichte. „Die Bedeutung der Erklärung war angesichts des geschilderten Procedere sicher allen bekannt und bewusst.“
Auch zur Frage der E-Mail-Adresse äußerte sich Klaus Heger: Vier Kandidaten ohne Internetanschluss sei eine „parteiseitig generierte Mailadresse“ angeboten worden. Die Maileingänge würden regelmäßig geprüft, bislang seien dort aber noch keine Nachrichten eingegangen.
Meldungen über Ungereimtheiten bei der Aufstellung von AfD-Kandidaten gibt es auch aus anderen Regionen Nordrhein-Westfalens. Der Schwiegersohn kann darüber nur mit dem Kopf schütteln. „Aber wir fühlen uns sicherer, dass wir nicht alleine sind.“