Elspe. Jochen Bludau, langjähriger Geschäftsführer der Karl-May-Festspiele Elspe, hat viel erlebt und gewährt Einblicke ins Leben eines Theaterchefs.
Jochen Bludau, der am Tag der Premiere der diesjährigen Winnetou-Saison in Elspe, am 2. Juli, seinen 80. Geburtstag feiern durfte, ist über Jahrzehnte hinweg der Motor der Karl-May-Festspiele auf dem Elsper Rübenkamp. Auch heute noch führt er Regie, die aktuelle Inszenierung des „Ölprinzen“, die Jung und Alt in ihren Bann zieht, trägt seine Handschrift. Wer eine so lange Zeit solche Festspiele an vorderster Front geleitet hat, hat eine Menge zu erzählen, hat er doch mit Film- und TV-Stars wie Pierre Brice, aber auch Martin Semmelrogge oder Katy Karrenbauer, um nur einige zu nennen, hautnah zusammengearbeitet.
Frage: Herr Bludau, Sie haben schon mit neun Jahren den Sohn von Wilhelm Tell auf der Elsper Bühne gespielt, können Sie sich noch erinnern, wie aufgeregt Sie damals waren?
Die Freilichtbühne ist damals, also 1950 gegründet worden, ich hab den zweiten Sohn von Wilhelm Tell gespielt, der auch Wilhelm hieß und nebenher lief. Walter war der mit dem Apfel auf dem Kopf. Aufgeregt war ich gar nicht. Wir waren als kleine Burschen Teil dieser Theatergruppe, die sehr homogen war.
Gab es auch schon Theateraufführungen in Elspe, bevor die Freilichtbühne eröffnet wurde, bei denen Sie mitwirkten?
Ja, das erste mal 1948, da lief die Passion. Meine Mutter sagte mir, was ich zu tun hatte: ,Falte die Hände!’. Das tat ich dann, es war mein erster Auftritt in einem Theaterstück.
Wer hatte eigentlich die Idee, ausgerechnet in Elspe eine Naturbühne fürs Theater zu nutzen?
Der Theaterverein, den es ja schon seit den 30-er Jahren gab, war sehr aktiv, und durch diese Aktivität war auch die Nachfrage der Bevölkerung für die Theaterstücke so groß, dass einfach kein Platz mehr da war für so viele Zuschauer. Die Säle wurden zu klein.
Und wer gab den Anstoß zur Naturbühne?
Das war Franz Kaiser. Er war Vorsitzender des Theatervereins, sehr aktiv, und er hat den Umbau zur Freilichtbühne maßgeblich vorangetrieben.
Mussten die Erfinder der Naturbühne noch große Veränderungen am Rübenkamp vornehmen, oder hat Ihnen die Natur diese Bühne geschenkt?
Die Natur ist dort die Bühne, unverändert, bis auf Kleinigkeiten.
Und wer hatte die Idee, dort irgendwann Karl May-Geschichten in Szene zu setzen?
Das war auch Franz Kaiser, der noch immer Vorsitzender war und zur Kenntnis nehmen musste, dass die Nachfrage nach den bis dahin gespielten Theaterstücken enorm nachließ.
Was habt Ihr denn bis dahin gespielt?
Wilhelm Tell, Dreizehnlinden, die Jungfrau von Orleans, Andreas Hofer, und so weiter. Aber die Menschen wurden damals mobiler, konnten andere Theater besuchen. Das Interesse an der Kultur vor Ort sank, und die Karl-May-Geschichten erlebten durch das Fernsehen einen enormen Aufschwung.
Wie muss man sich die damalige Bühne und den Zuschauerraum vorstellen?
Der Zuschauerraum war von einer Holzkonstruktion etwa zur Hälfte überdacht, die Menschen saßen auf Bänken, auch schon etwa 2.000 Zuschauer. Und die Aufführungen waren oft ausverkauft.
Wie viel passen heute rein?
Knapp 4.000.
Springen wir in die 70-er Jahre, als plötzlich ein Kino-Weltstar in Elspe auf der Bühne stand. Wer kam auf die kühne Idee, diesen Kontakt zu Pierre Brice herzustellen?
Man muss noch ein Stück zurückgehen. Es wurde irgendwann deutlich, dass wir etwas tun mussten. Es gibt immer solche Entwicklungen, eine Sättigung der Zuschauer für gewisse Themen. Nachdem wir Ende der 50-er Jahre Winnetou und Der Schatz im Silbersee gespielt hatten, wechselten wir 1960 zum Orientstück In den Schluchten des Balkan. In dem Jahr ging das Zuschauerinteresse, was die Zahlen angeht, um etwa die Hälfte zurück. Deshalb setzten sich im Theaterverein diejenigen durch, die wieder eher klassische Theaterliteratur wollten.
Was passierte dann?
Aber mit Wilhelm Tell und Johanna von Orleans blieben die Zuschauerzahlen auf dem niedrigen Niveau, so dass wir uns im Jahr 1964 wieder Karl May widmeten. Die Karl-May-Spielfilme prägten zu diesem Zeitpunkt das Bewusstsein der Zuschauer für Winnetou und Old Shatterhand. Es war der verklärte Indianer, den die Leute sehen wollten. Ab den 70ern haben wir uns nur noch auf Winnetou konzentriert und ab 1976 die Idee umgesetzt, den Winnetou von der Leinwand hierhin zu holen.
Aber man kann ja nicht einfach den Telefonhörer in die Hand nehmen, einen Weltstar anrufen und fragen: Hey, haben Sie nicht Lust, in Elspe gegen das Böse zu reiten?
Seine Agentur war zu diesem Zeitpunkt in Rom, wo er auch gedreht hatte. Aber er war nicht zufrieden mit dem dortigen Rollenangebot. Und deshalb war er zu einer Agentur in Deutschland gewechselt, der Agentur Killer in München. Passte irgendwie.
Aber es gab damals doch eine regelrechte Winnetou-Hysterie durch die Filme, wieso bekam er keine größeren Rollen, kam er aus dem Klischee nicht mehr heraus?
Die Winnetou-Begeisterung gab es nur in Deutschland. In Frankreich ist das bis heute nicht bekannt. Da ist er als Winnetou nicht vorgekommen. Karl May ist allenfalls in Deutschland und den angrenzenden früheren Ostblockstaaten das Idol, wie wir es kennen.
In den USA auch nicht?
Nein, überhaupt nicht.
Wie ging es weiter mit Pierre Brice?
Die Agentur Killer suchte etwas, und da bot sich Elspe für ihn an, denn Karl-May-Filme wurden nicht mehr gedreht. Dass er dann hier einen solchen Erfolg haben würde, hat er übrigens nicht für möglich gehalten. Das steht in einem Buch über seine Filmkarriere, das seine Ehefrau im wesentlichen geschrieben hat. Er konnte damals kein Wort Deutsch, als er zu uns kam. Er wusste auch nichts vom derart großen Interesse in Deutschland für Winnetou. Das ist ihm erst hier klar geworden.
Hatten Sie denn keine Befürchtungen, dass Brice die Naturbühne mit exorbitanten Gagenforderungen in den Bankrott treiben würde?
Die Gagen, die er beim Film bekommen hatte, waren relativ gering. Er war bereit, im ersten Jahr bei uns für 60.000 Mark zu spielen.
Die ganze Saison?
Ja.
Das hat sich aber vermutlich gesteigert.
Ja natürlich. Er hat zehn Jahre hier gespielt, bis 1986.
Und in welcher Größenordnung lag die Gage zum Schluss?
Zum Schluss lagen wir zwischen 300.000 und 400.000 Mark pro Spielzeit.
Das war vermutlich mehr als der gesamte Rest des Ensembles bekam?
Ja natürlich.
Hat es sich dennoch finanziell gelohnt?
Auf jeden Fall. Wir haben uns damals, was die Zuschauerzahlen angeht, enorm gesteigert. 1975 lagen wir bei rund 104.000 Zuschauer, mit ihm dann bei 250.000. Das steigerte sich weiter bis über 400.000.
Das ist bis heute Rekord?
Ja, das ist der Zuschauerrekord.
Wie oft haben Sie an seiner Seite gespielt?
Zehn Jahre.
Wie alt waren Sie da?
Können Sie ausrechnen, ich bin 1941 geboren, war also 1976 35 Jahre alt. Brice war damals schon 47.
War Pierre Brice ein begnadeter Schauspieler, oder hat er eher von seinem blendenden Aussehen, von seiner Ausstrahlung vor allem auf Frauen profitiert?
Eher von Letzterem. Die Menschen wollten aber auch Winnetou so sehen, wie er war. Pierre Brice hat das auch nicht gespielt, er war einfach Winnetou. Er hat nicht den Fehler mancher Schauspieler gemacht, die unbedingt eine Rolle spielen und sich verstellen wollen.
Hand aufs Herz, wie viele Bücher von Karl May haben Sie gelesen?
Etwa zehn.
Auch die Orientbücher?
Ja, ich habe versucht, Bücher aus allen Themenbereiche kennenzulernen. Insgesamt gibt es ja über 90 Werke.
Was war in den vielen Jahren der schwierigste Augenblick für die Festspiele?
Das war 1980. Da hat der WDR ihm eine Fernsehserie angeboten, und dann war erst einmal weg für uns.
Aber er ist doch wiedergekommen.
Das will ich Ihnen ja gerade erzählen. Das war die Serie ,Mein Freund Winnetou’, die der WDR in Mexico gedreht hat. Dann gab es noch etwas anderes:; Der Sohn seiner Münchner Agentin Killer hatte Brice angeboten, er könne eine Karl May-Welttournee mit ihm machen. Eigentlich auch das, was wir hier machten, aber eben immer an anderen Spiel-Orten. Sie waren dann mal in Dortmund in der Westfalenhalle, in Wien in der Stadthalle und in Wuppertal.
Und was haben Sie ohne Winnetou gemacht?
Wir haben 1981 die Karl May-Geschichten über Old Surehand ins Programm genommen, immerhin mit dem damaligen TV-Star Claus Wilcke in der Hauptrolle.
Percy Stuart, da habe ich jede Serienfolge gesehen.
Ja, Wilcke gehörte zu den bekannten Fernsehstars in dieser Zeit.
Und wie ging’s dann weiter?
Die Tournee von Pierre Brice endete 1982, der Veranstalter ging pleite. So einfach geht das eben nicht. Zu dem Zeitpunkt hatten wir eigentlich einen anderen Winnetou-Darsteller verpflichtet, einen Ungarn. Der erfüllte aber unsere Erwartungen nicht, hatte sprachliche Probleme. Ich habe Pierre Brice dann eine Woche vor der Premiere in Paris angerufen und ihn gefragt, ob er noch mal Winnetou bei uns spielen will.
Was hat er geantwortet?
Ich habe ihn an einem Samstag Vormittag angerufen und ihm gesagt, wenn er spielen wollte, müsste er Sonntag morgen hier sein. Er war Sonntag morgen um 5 Uhr hier.
Also hatte es ihm hier offenbar sehr gefallen?
Ja, und die finanzielle Sicherheit war da, im Gegensatz zum Engagement bei einer Pleitefirma.
Was war ihr schönster Moment in den ganzen Jahren?
Es gab viele schöne Momente. Vor allem, dass wir es mit diesem Team geschafft haben, diesen Erfolg über die vielen Jahre aufrecht zu erhalten. Manche sind ja schon Jahrzehnte dabei. Teilweise waren das Mitarbeiter, die in anderen Firmen beschäftigt waren, die sich uns angeschlossen und das Risiko nicht gescheut haben.
Gab es auch mal einen Augenblick, an dem Sie gedacht haben: Ich werf’ alles hin?
Nein, in den ganzen Jahren nicht.
Gibt es einen Traum, den Sie sich als Regisseur noch erfüllen wollten, wenn das möglich wäre. Vielleicht noch mal etwas ganz anderes machen?
Ich bin jetzt 80 Jahre alt, und ich denke, dann sollte man das Schicksal nicht herausfordern. Ich bleibe bei Winnetou und Old Shatterhand.
Wenn Sie sich einen Schauspieler oder eine Schauspielerin hätten aussuchen können während der vielen Jahre, und die Gute Fee hätte die Gage übernommen, wen hätten Sie sich für welche Rolle ausgesucht?
Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Aber ich würde mir einen Bösewicht aussuchen. Klaus Kinski wäre meine Idealbesetzung.
Das hätten Sie nicht überlebt.
Oder er.
Sie sind bekannt als großer Collie-Fan. Haben Sie immer noch einen?
Ja, der ist auch schon ziemlich betagt, wird 15 Jahre alt.
Zur Person
Jochen Bludau wurde am 2. Juli 1941 in Krefeld geboren, wuchs aber in Elspe auf. Er studierte in Siegen Hauptschulpädagogik, arbeitete bis 1975 als Lehrer an der Grundschule Halberbracht und der Hauptschule Meggen.
1972 wurde er Geschäftsführer des Elspe Festivals.
Bludaus Sohn Oliver übernahm die Geschäftsführung von 2011 bis 2014, drei Jahre auch die Rolle des Old Shatterhand, musste sein Engagement aus gesundheitlichen und zeitlichen Gründen aber beenden. Oliver Bludau starb im November 2019.