Hagen. Ihre Geschichten richten andere Menschen auf: Mehr als ein Jahr später sprechen die fünf Hagener Mutmacher wieder mit der Redaktion
Fünf Menschen, fünf Hagener, fünf bewegende Geschichten. Was diese Menschen eint: Sie machen durch das, was sie erlebt haben, durch das, was sie tun, anderen Mut. „Mutmacher“ heißt deshalb die große WP-Serie, in der wir unter anderem über Sabrina Paul, Norbert Neukamp, Nils Schumann, Volker Theimann und Meicel Külhorn berichtet haben. Für diese Reportagen und für Artikel, die in anderen Lokalteilen erschienen sind, ist die WESTFALENPOST mit dem angesehenen Zeitungspreis „European Newspaper Award“ ausgezeichnet worden. Anlass für die Stadtredaktion Hagen, noch einmal auf jene Menschen zu blicken, über die wir vor mehr als einem Jahr berichtet haben.
Meicel Külhorn
Meicel, mittlerweile 36 alt, ist ein Kämpfer, Nach einem schweren Unfall, bei dem der ehemalige Förderschüler, der Teile seiner Kindheit in einem Frauenhaus verbracht hat, schwerste Verletzungen erlitt, hat er sich zurückgekämpft ins Leben.
Meicel, der Legastheniker – eigentlich hatte er im Leben keine Chance. Und trotzdem hat er sie schließlich ergriffen. Sein ehemaliger Lehrer und Schulleiter Jürgen Schalk ist zu einer Art Lebensbegleiter für ihn geworden. Meicel hat einen Hauptschulabschluss geschafft, hat eine Ausbildung absolviert, hat einen Job gefunden, einen richtigen Beruf.
Er arbeitet in der Qualitätskontrolle eines Bochumer Unternehmens, das große Kupplungen für den Kran-, Seilbahn- und Schiffsbau produziert. Und da gibt es gute Neuigkeiten: „Mein Vertrag ist entfristet worden“, erzählt Meicel Külhorn, „ich habe jetzt einen sicheren Job.“ Nach drei Monaten Kurzarbeit bedingt durch die Corona-Krise startet seine Firma jetzt wieder durch.
Meicel wird dieser Tage umziehen, noch einmal einen Mietvertrag unterschreiben. Denn er, der einst unzählige Schufa-Einträge hatte, hat seine Schulden abbezahlt, kann jetzt Geld zur Seite legen. „Ich habe einen Bausparvertrag abgeschlossen“, sagt er. „In acht Jahren möchte ich eine eigene Wohnung kaufen. Das ist mein Traum. Und den werde ich mir auch erfüllen.“
Volker Theimann
Seinen Traum lebt auch Volker Theimann. Und das – die Formulierung sei erlaubt – in den besten Jahren. Denn erst mit 57 Jahren hat er eine Ausbildung in jenem Beruf begonnen, der seine große Leidenschaft ist. Theimann (heute 58) wird Altenpfleger oder formal: examinierte Pflegekraft.
Und so drückt der Mann, der einst Koch bei der Marine war, Mitarbeiter in der Logistik, Betreuer von Asylbewerbern, sich um Suchtkranke kümmerte, dann arbeitslos wurde, in einer Gärtnerei arbeitet und schließlich Pflegehilfskraft wurde, heute die Schulbank mit jungen Menschen, die fast seine Enkel sein könnten.
„Es macht immer noch riesig Spaß“, sagt jener Mann, der gerade wieder einen praktischen Teil im Haus Wohlbehagen an der Berchumer Straße leistet. „Ich habe diesen Schritt noch in keinem Moment bereut.“
Gleichwohl macht auch ihm die Corona-Zeit zu schaffen. „Das hat die Arbeit natürlich verändert“, sagt Theimann, „auch bei den Bewohnern hinterlässt die Corona-Zeit natürlich Spuren. Wer lange einsam Zeit auf seinem Zimmer verbringt – bei dem ändert sich das Wesen. Die Menschen werden zurückhaltender, verschlossener.“
Norbert Neukamp
Und auch Norbert Neukamp lässt sich nicht unterkriegen. Täglich zieht der 73-Jährige seine Runden durch Eppenhausen, und das stets in Begleitung seines Rollators.
Ein Zeckenbiss vor fast 20 Jahren in Cuxhaven an der Nordsee hat das Leben des früheren Kirchenmusikers und Theatermannes komplett verändert. Anfangs gingen die Ärzte von einem Sonnenbrand aus, erst Jahre später wurde die Diagnose Borreliose gestellt.
Doch die heimtückische Infektionskrankheit hat Norbert Neukamp nicht aus der Bahn geworfen, im Gegenteil, der Mutmacher schrieb das Buch „Mein Rolli und ich“ mit 50 kurzen Gedichten und satirischen Texten.
Der Rollator helfe ihm, sein Gleichgewicht besser halten zu können, sagt Neukamp ohne Groll.
Gerade jetzt in der Corona-Zeit zieht er in Wind und Wetter mit seinem „Freund“ durchs Viertel, häufig unterhält er sich mit Eltern und appelliert an sie, ihren Kindern, bevor sie raus ins Freie gehen, Strümpfe und langärmlige Shirts anzuziehen, denn nur das könne sie vor Zeckenbissen schützen.
Sabrina Paul
Sabrina Paul gibt 2018 ihr Leben und ihre Selbstständigkeit in Hagen auf, um völlig neu auf Mallorca anzufangen – sie verkauft fast ihr gesamtes Hab und Gut, packt ihre Kartons und reist auf die Mittelmeerinsel. Der Traum von einer Selbstständigkeit in der Sonne.
„Es lief nichts wie geplant und vor allem fehlte mir eins: mein privates und berufliches Netzwerk.“ Schon nach wenigen Tagen merkt sie, dass es sie zurück in die Heimat zieht – nach Hagen.
„Ich habe auch dieses Scheitern ganz offen kommuniziert“, sagt Sabrina Paul. Alle ihre Erfahrungen teilt sie in den sozialen Netzwerken.
Sabrina Paul war immer ein offener Mensch. Aber so bekommt auch jeder mit, dass ihr Traum scheitert. „Das war schon ein Tiefpunkt für mich.“
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Sie nimmt sich eine Auszeit von der Öffentlichkeit. Rappelt sich wieder auf und macht in Hagen dort weiter, wo sie aufhörte. Als Personal Trainerin und Coach nimmt sie einen neuen Anlauf, betreut Führungskräfte und Unternehmer - sportlich, aber auch im Bereich von Mental-Coaching.
„Bis heute bin ich glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Für mich war es der richtig, zurückzukommen. Mit meinen Erfahrungen und meiner Arbeit helfe ich nun meinen Klienten in herausfordernden Zeiten“, sagt die 29-Jährige.
Nils Schumann
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Diese Selbstverständlichkeit. Eigentlich unglaublich. Zorn würde man erwarten. Verärgerung über diese Ungerechtigkeit des Lebens. Stattdessen: Eifer. Zuversicht. Fleiß. Bei einem Badeunfall im Jahr 2013 an einem See in Mecklenburg-Vorpommern brach sich der heute 21-Jährige Nils Schumann einen Wirbel und sitzt seither im Rollstuhl. Der damals 14-Jährige wollte per Kopfsprung in den See tauchen, hob ab, prallte mit dem Kopf auf einen Stein und überschlug sich dabei.
Der wuchtige Aufprall auf einen Stein in besagtem Badesee hat Schumanns Rückenmark an der betroffenen Stelle schwer gequetscht – aber nicht durchtrennt. Es besteht die Hoffnung – das zeigen laut Familie Schumann vergleichbare medizinische Fälle – dass die Funktionalität dieses Nervs wieder zurückkehrt. Bislang ist das aber nicht geschehen.
Doch Nils Schumann kämpft. Jeden Tag. Er trainiert viel und er nimmt am Leben teil. Vor der Tür steht ein eigens für ihn umgebautes Fahrzeug, mit dem er mobil ist. Er studiert Wirtschaftswissenschaften an der Fernuni in Hagen.
Das Haus der Schumanns wurde für ihn möglichst barrierefrei umgebaut, inklusive Treppenlift. „Mein Zustand, im Vergleich zu unserem letzten Gespräch, ist gleich gut geblieben“, sagt Nils Schumann heute. „Das ist eine gute Nachricht. Ich bin zuletzt auch öfter schon am Rollator gelaufen.“
Der große Traum bleibt: eines Tages wieder selbstständig gehen können. Darauf arbeitet Nils Schumann weiter hin.