Hagen. Wenn keiner mehr hilft, machen sie Hoffnung: Mitglieder des Vereins Unsichtbar kümmern sich in der Nacht um Obdachlose in Hagen.
Es leuchtet da ein helles Licht am Ende dieses dunklen Wegs. Der führt ein wenig bergan durch eine triste Zufahrt unter einem Altbau an der Bergstraße in Hagen hindurch in einen Hinterhof. Die Lampe, die hier vor einem Müllcontainer für ein kleines bisschen Helligkeit sorgt, hängt über einem Eingang, der ein Hinterhaus erschließt. Viktor kauert in diesem Lichtkegel, haucht seinen Atem in die Hände und reibt sie gegeneinander – vor dem Haus. Er hat kein Haus. Er hat ja nicht einmal eine Wohnung.
Doch als er den Mann und die Frau in den leuchtend grünen Jacken mit den Taschenlampen sieht, passiert das, was Tanja Nürnberger zuvor als ihren „schönsten Augenblick“ beschrieben hat: Dieser Mann, ein personifiziertes Häufchen elend – seine Augen strahlen.
Es ist ein Strahlen an einem Ort, an dem einem nicht nach strahlen zumute ist. Viktor, der den äußerlichen Anschein erweckt, als sei er Anfang 70, der aber erzählt, dass er 45 Jahre alt geworden ist, hockt hier auf einer Holzpalette. Zwei Bretter an jeder Seite bilden eine Art Giebel, über den Viktor eine Plane ziehen kann. Das ist das Zuhause des Mannes mit den knöchernen Fingern. Es ist eben ein Ort, an dem einem nicht nach strahlen zumute ist.
Verein Unsichtbar in Hagen unterwegs
Viktor aber strahlt – weil er weiß, dass es jetzt ein heißes Getränk („Keinen Kaffe, sonst nix schlafen“) und würzige Tütensuppe und warme Worte gibt. Er strahlt, als Olaf Schilling noch einmal zurück an die Straße geht, aus dem Kombi einen nagelneuen Schlafsack und eine unbenutzte Isomatte holt und sie ihm in die Hand drückt. Viktor strahlt. „Nicht so viel kalt“, sagt er, zieht an einem Zigarrenstummel, „vielen Dank.“
Unsichtbar steht auf den Jacken von Tanja Nürnberger (Erzieherin) und Olaf Schilling (Sachbearbeiter). Unsichtbar heißt er, der Verein, für den sie sich engagieren. Unsichtbar sind vielleicht Menschen wie Viktor, der Obdachlose, der alleine auf einem Hinterhof in dieser Stadt lebt. Aber Tanja Nürnberger und Olaf Schilling, die mit einem ausgebauten Kombi durch Hagen und andere Städte der Umgebung rollen, sind alles andere als unsichtbar. Sie strahlen mit ihren Jacken, mit ihrem leuchtendgrünen Auto. Sie strahlen mit ihren Lampen in die Hinterhöfe dieser Stadt. Und sie spenden jenen Hoffnung, die die Gesellschaft zu vergessen droht.
Helfer kommen, wenn Bahnhofsmission und Suppenküche schließen
Tanja Nürnberger und Olaf Schilling brechen auf, wenn es anders wo keine Hilfe mehr gibt. Am Abend fahren sie mitten hinein in die dunkle und triste Nacht. Wenn die Suppenküche, wenn die Bahnhofsmission, wenn Luthers Waschsalon und die anderen Anlaufstellen, die sich um Menschen ohne ein Dach über dem Kopf kümmern, längst geschlossen haben. „Das geht nur, wenn auch die Familien mitspielen“, sagen beide. Olaf Schilling, verheiratet, Vater von zwei Kindern, macht sich an bis zu drei Abenden auf den Weg.
Sichtbar sind sie, nicht unsichtbar. So aber lautet der Name dieses besonderen, vielleicht sogar einzigartigen Vereins, den Holger Brandenburg vor sieben Jahren gegründet hat. Ein Mann, der selbst in seinem Leben nicht immer auf der Sonnenseite stand. Er sagt das, ohne auf die Details eingehen zu wollen. Nur so viel: „Gesundheitlich und privat hat es mich aus dem Leben katapultiert. Ich war tief gesunken. Aber obdachlos war ich nie.“
Ein Leben ohne Dach über dem Kopf
Ohne Obdach, ohne ein festes Dach über dem Kopf sind Menschen wie Viktor, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt. Es sind Menschen, um die sich die Ehrenamtlichen Unsichtbar kümmern. „An sechs Tagen in der Woche sind wir unterwegs“, sagt Holger Brandenburg. „Bis 1 Uhr morgens. Und wenn eine akute Meldung hereinkommt, auch noch danach. Unsichtbar ist unbürokratisch. Wir fragen nicht nach dem Warum. Wir helfen sofort. Ich kenne sonst niemanden, der so arbeitet, der so etwas leistet.“ Ehrenamtliche, aufsuchende Sozialarbeit – im besten und im wahrsten Sinne.
An diesem Abend auch auf dem Bahnhofsvorplatz Hagen, wo Tanja Nürnberger und Olaf Schilling das Unsichtbar-Mobil ziemlich sichtbar parken. Dirk kommt herbei. Kaffe und Suppe für den 30-Jährigen, der sein Zuhause irgendwo in den Tiefen des Stadtwaldes hat und hier zu den Stammkunden zählt: „Das ist eine riesige Hilfe. Es ist so gut, dass es den Verein gibt.“
Obdachloser hat Respekt vor der Kälte
Hagen: Herzkalender unterstützt Familien
Neben der direkten Obdachlosenhilfe gibt es im Verein Unsichtbar noch das Projekt Herzkalender.Es wendet sich an sozial schwache Familien. Dazu zählen auch solche, in denen ein oder beide Elternteile arbeiten und am Ende des Monats das Geld trotzdem nicht reicht.So werden diesen Familien beispielsweise Bummelpässe für den Weihnachtsmarkt zur Verfügung gestellt. Es gibt in der Weihnachtszeit einen virtuellen Wunschbaum.Wer Unsichtbar unterstützen möchte: Sparkasse Gevelsberg, IBAN DE97 4545 0050 0000 0218 32.
Gerade jetzt, wo die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen. „Angst vor der Kälte habe ich nicht, aber Respekt“, sagt Dirk, nippt an seinem Becher und erklärt, was ihm dieser respektvolle, dieser menschenwürdige Umgang bedeutet. „Scheiß Obdachlose – das hört man doch immer wieder. Ich freue mich für jeden, der ein Dach über dem Kopf hat. Aber ich muss mich eben mit Zelt, Isomatte und Schlafsack begnügen.“
Keine Frage nach dem Warum. Nur Respekt für einen Menschen und sein Leben. Einen Menschen, der sogleich von einem minderjährigen Mädchen berichtet, das in einer alten Industriebrache in der Nähe lebt. Noch ein Fall für die beiden Unsichtbaren, die doch so sichtbar sind. Es leuchtet ein helles Licht am Ende der dunklen Wege, die Tanja Nürnberger und Olaf Schilling an Abenden und in Nächten gemeinsam gehen.