Menden. Chefarzt Dr. Markus Berghoff sieht die neue Sorglosigkeit mit Sorge: Noch ist die Hälfte der Bevölkerung ungeimpft und schutzlos.
Das Mendener St.-Vincenz-Krankenhaus ist derzeit covid-frei. Einen Isolierbereich gibt es nur noch in der Schwesterklinik St. Elisabeth in Iserlohn. Doch Dr. Markus Berghoff, Chefarzt beider katholischer Krankenhäuser, sagt angesichts der Lockerungen und der Sorglosigkeit, die er jetzt beobachtet: „Ich habe den Eindruck, dass ein Gutteil der Bevölkerung auf einem anderen Planeten lebt. Covid ist nicht vorbei. Auch wir werden sehr wahrscheinlich – wie die fast durchgeimpften Briten, die schon wieder eine 80er-Inzidenz haben – die hochgradig ansteckende indische Delta-Variante bekommen. Und knapp die Hälfte aller Menschen im Kreisgebiet ist noch ungeimpft und damit völlig schutzlos. Sie verhalten sich jetzt nur nicht mehr so.“
Auch geimpfte Menschen können ansteckend bleiben
Auch geimpfte Menschen seien zwar besser geschützt vor schweren Verläufen, doch ansteckend könnten sie immer noch sein, betont der Mediziner. Er rate daher weiterhin allen zur Vorsicht. Wie eine Nachfrage dieser Zeitung beim Märkischen Kreis ergab, sind mittlerweile mehr als 50 Prozent aller Menschen im Kreis erstgeimpft (siehe Grafik oben).
Impfstoff bestimmt die Impfkurve
Fast ein Drittel hat demnach auch schon die zweite Impfe erhalten oder benötigte mit dem Vakzin von Johnson & Johnson ohnehin nur eine. Und: Es sei vor allem der Mangel an Impfstoffen, der verhindert habe, dass die Impfkurve nicht noch steiler nach oben zeigt, erläutert Alexander Bange, Pressesprecher des Märkischen Kreises.
St. Vincenz-Krankenhaus lässt seit knapp zwei Wochen wieder Besuche zu
Dr. Berghoff bestätigt seinerseits den Impferfolg, auch sei er angesichts der stark fallenden Inzidenzen keineswegs gegen Lockerungen. Auch das Mendener Krankenhaus lasse ja seit dem 7. Juni wieder Besucher zu, wenn auch nur einzeln und mit begrenzter Zeit. „Als optimistischer Mensch freue ich mich auf einen schönen Sommer, in dem wir alle wieder mehr unternehmen können. Wir dürfen jetzt nur nicht alle Umsicht verlieren.“ So gebe es auch im Krankenhaus bei jeder Patienten-Aufnahme weiterhin zwei Covid-Tests, den schnellen und den gründlichen. Überall herrsche weiter Maskenpflicht.
Von Medikamenten bis Beatmung: Covid-Behandlung seit Pandemiebeginn verbessert
Neben Impfungen und Tests hätten sich auch die Covid-Behandlungsmethoden gegenüber dem Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 stark verbessert, erklärt Berghoff. Das reiche von der ganzheitlichen Sichtweise auf Covid statt der anfänglichen Behandlung als Atemwegs-Erkrankung über neue Medikamente bis hin zu schonenderen Beatmungstechniken. Sorge bereite ihm die Möglichkeit, dass sich unter den Varianten weltweit eine herausbilden kann, die alle vorhandenen Impfstoffe umgeht. „Wir werden mit Covid noch lange zu kämpfen haben.“
Nachfrage auch in den zehn Mendener Testzentren flaut teils stark ab
143 Corona-Testzentren sind in den vergangenen Monaten im Märkischen Kreis aus dem Boden gewachsen, zehn davon in Menden. Mit der stabilen Inzidenz unter 35 sind Schnelltests in vielen Lebenslagen nicht mehr notwendig, ob beim Friseur oder im Biergarten. Das schlägt sich auch bei heimischen Test-Anbietern nieder – bei kleinen wie der Ernährungsberatungspraxis von Klaus Gerling in der Horlecke 15 und bei großen wie „Menden testet“, dem Drive-in Am Papenbusch 5, das laut Betreiber Alexander Schmidt 20 Beschäftigte zählt.
Ab Juli weniger Geld pro Test: Wer hält durch?
Klaus Gerling beziffert die Abnahme der Nachfrage gegenüber dem Mai auf 90 Prozent. „Für mich kein großes Problem, es ist nur ein Zusatzangebot zur Praxis. Das dürfte anderswo ganz anders aussehen“, sagt der Mendener. „An manchen Tagen bis zu 50 Prozent weniger, insgesamt 20 bis 30 Prozent“ – das sind die Zahlen bei Alexander Schmidt. „Damit sind wir noch gut ausgelastet, wohl auch, weil ein Drive-in die schnellste und komfortabelste Testmöglichkeit ist“, sagt Schmidt. Allerdings habe man sich von Anfang an nicht auf ein jahrelanges Engagement eingestellt. Und wenn es ab 1. Juli pro Test nur noch 8 statt 12 Euro gibt, während Kosten für Mieten und Personal stabil bleiben, dann werde man sehen, wer einen langen Atem besitzt.
Kreis hofft auf den Erhalt aller Teststellen, rechnet aber mit ersten Schließungen
„Wir hoffen sehr, dass uns alle Teststellen erhalten bleiben, vor allem in der Fläche“, erklärt dazu Alexander Bange für den Märkischen Kreis. Allerdings sei man auch im Kreishaus darauf gefasst, dass das Thema der Teststellen-Schließungen auch auf den MK zukomme.