Iserlohn. Der langersehnte Impfstart macht Mediziner nicht nur stolz, sondern bringt auch Strapazen mit sich.
Freude und Erleichterung hatten am Mittwochabend die Anspannung und Ungewissheiten der vorherigen Tage und Wochen vertrieben: In der Hausarztpraxis von Dr. Andreas Hartmann sind die ersten Patienten gegen das Corona-Virus geimpft worden.
Seit Wochen waren der Mediziner und seine Mitarbeiterinnen auch in ihrer Freizeit damit beschäftigt gewesen, ein System auszuklügeln, wie reguläre Sprechstunden und Impftermine getrennt voneinander angeboten werden können, wie alles ablaufen soll, wenn das lang ersehnte Vakzin endlich da ist, und so weiter. „Wir haben Fortbildungen des Hausärzteverbandes besucht, da gab es viele praktische Tipps“, erzählt Dr. Hartmann. So groß die Freude über den Startschuss des Impfens auch sei, gibt es auch für die Hausärzte zahlreiche Stolpersteine.
So hatte die Kassenärztliche Vereinigung beispielsweise darum gebeten, dass die Ströme „normaler“ Patienten und der Impflinge sich nicht begegnen. Da der Impfstoff – zurzeit wird den Allgemeinmedizinern ausschließlich Biontech angeboten – immer dienstags von Großhändlern an die jeweiligen Apotheken geliefert wird und nur begrenzt haltbar ist, blieb nur der Mittwochnachmittag für die Impfungen. Dann muss das Vakzin auf unerwünschte Verfärbungen und Partikel geprüft werden, bevor es durch vorsichtiges zehnmaliges Umdrehen gemischt werden kann. Verdünnt wird es mit einer Injektion von 1,8 Milliliter 0,9-prozentigem Natriumchlorid. Zahlreiche weitere Schritte sind erforderlich. „Das macht man nicht jeden Tag“, sagt Hartmann und verweist auf die „umfangreichen Anweisungen“, die mitgeliefert wurden. Er und seine Mitarbeiterin Antje Milde seien eine Stunde und 15 Minuten damit beschäftigt gewesen, die 25 Dosen herzustellen. „Wir haben parallel gearbeitet und uns jeden einzelnen Schritt immer wieder angesagt“, erzählt er. Im Anschluss seien beide wahrlich „mental erschöpft“ gewesen, weil eben eine besondere Hygiene und Genauigkeit der Abläufe erforderlich sei. Er sagt: „Unsere Apotheke war so nett, mit uns an Dummys alles zu üben.“
Was allerdings passiert, wenn es mehr Impfdosen für die Praxen gibt, vermag der Arzt noch nicht zu sagen: „Kaum vorzustellen, wie das laufen soll, wenn wir 100 Leute impfen sollen.“ Im Wissen um die noch beschränkten Kapazitäten hatte er für diese Woche 30 Dosen bestellt, 25 wurden geliefert.
Ablauf ist genau durchgeplant
Die ersten Patienten, die am Mittwoch geimpft wurden, wurden von Hartmanns Mitarbeiterin Anja Schäfer in Empfang genommen. Bei ihr mussten sie die ausgefüllten Aufklärungsformulare, die Krankenkassen-Karte und das Impfbuch abgeben. Dann gab es ein Gespräch mit Dr. Hartmann, der mit ihnen alle noch offenen Fragen durchging, bevor sie von Antje Milde den „Pieks“ erhielten. Im Wartezimmer wurden sie 15 bis 30 Minuten von Jörg Milde beobachtet, für den Fall einer Reaktion auf das Vakzin wurde eigens auch ein Schockraum vorbereitet.
Jörg Milde war fast 39 Jahre als Feuerwehrbeamter in Iserlohn im Einsatz, ist ausgebildeter Rettungsassistent und befindet sich seit eineinhalb Jahren im Ruhestand. Dass er die Betreuung der Geimpften ehrenamtlich übernommen hat, ist für ihn selbstverständlich.
Zeigen die Geimpften keine Reaktion, erhalten sie beim Auschecken von Anja Schäfer dann gleich den zweiten Termin, alle Unterlagen und das Impfbuch mit dem Stempel.
Dankbare und entspannte Stimmung
„Wir sind sehr stolz“, erklärt Dr. Andreas Hartmann im Gespräch mit der Heimatzeitung am Mittwochnachmittag. Es habe bei den Impflingen eine sehr dankbare und entspannte Stimmung geherrscht, ganz anders als während der vergangenen Wochen in den regulären Sprechstunden. Vor allem kurz vor dem Impfstart habe das Telefon nicht mehr still gestanden, riesig sei das Interesse – nicht nur in der Praxis von Hartmann, sondern auch bei vielen anderen Hausärzten. „Wenn wir raustelefonieren mussten, haben wir schon unsere privaten Handys nutzen müssen“, schildert der Mediziner den Andrang. Bei ihm wurden jetzt Patienten geimpft, die auch schon hätten nach Lüdenscheid fahren können, weil sie entweder zu den priorisierten Jahrgängen oder durch Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören. Die Fahrt ins Impfzentrum hatten viele unter anderem aus Altersgründen abgelehnt – und auch, weil das Vertrauen in den Hausarzt, der sie teils jahrelang betreut, einfach deutlich größer ist.
Trotz aller Strapazen erklärt Dr. Hartmann: „Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um irgendwann endlich wieder zur Normalität zurückkehren zu können.“