Hagen/Arnsberg/Menden. Fast die Höchststrafe trotz Geständnissen, die den Ermittlern im Fall Umarex geholfen haben: Jetzt hofft ein Mendener Waffen-Dealer auf Milde.

Was ist ein Geständnis wert, in Monaten oder gar Jahren? Darum geht es im Umarex-Revisionsprozess, der am Mittwochmorgen vor dem Landgericht Arnsberg begonnen hat. Als Waffenhändler und Haupttäter in einem schwunghaften Pistolen- und Munitionshandel bekam ein Mendener, damals 27, vor knapp zwei Jahren sein Urteil: vier Jahre und neun Monate Gefängnis. Das Landgericht blieb damit nur wenig unter dem höchstmöglichen Strafmaß von fünf Jahren Haft. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob das Urteil im Revisionsverfahren in Teilen wieder auf.

Der Schuldspruch bleibt bestehen – doch das Strafmaß muss neu verhandelt werden

Zwar bleibt der Schuldspruch bestehen, doch der Tenor lautet: Wer voll geständig ist und den Ermittlern vier vorher unbekannte Mittäter nennt, wer alle Chatverläufe offenlegt und weitere Verurteilungen ermöglicht, wer dabei das persönliche Risiko von Repressalien der Ex-Kumpane auf sich nimmt, der soll dafür auch eine spürbare Strafmilderung bekommen. Somit muss das Arnsberger Landgericht nachsitzen: Die Kammer unter Richter Pagel hat das Strafmaß für den heute 29-Jährigen neu zu bestimmen. Am ersten Prozesstag werden lediglich die Urteile von Landgericht und BGH verlesen, noch im Januar soll es weitergehen.

Schwunghaften Waffenhandel betrieben – egal, wer die scharfen Pistolen bekam

Zwei Ausbildungen abgebrochen

Der Lebenslauf des heute 29-Jährigen klingt wenig chancenreich: Nach der Übersiedlung aus Kasachstan nach Menden verlässt er die Hauptschule nach der neunten Klasse, zwei Ausbildungen bricht er ab.In der Hochphase des Waffenhandels im Jahr 2017 heiratet der Mendener und wird Vater einer kleinen Tochter. Er ist bis heute zwar auf freiem Fuß, weil sein Urteil nicht rechtskräftig ist, und er arbeitet mit befristetem Vertrag in einer Fabrik. Doch seit zweieinhalb Jahren muss er sich als Auflage regelmäßig bei der Polizei in Menden melden.Vor dem Urteil wegen Waffenhandels war er polizeilich nicht in Erscheinung getreten.

Rückblende: Laut Landgerichtsurteil kauft und verkauft der Mendener zwischen 2016 und März 2019 zahlreiche halbautomatische Pistolen der Marke Walther P22 und PK 380 und sowie eine besonders gefährliche vollautomatische Ceska samt Munition an vier Abnehmer: drei aus Hagen, einen aus Dortmund. Die Kunden stammen zum Teil aus dem Rockermilieu der Bandidos. Doch wem er da scharfe Waffen liefert, schert den jungen Mendener nicht: Er verdient gut an den Deals. Auf mindestens 54.000 Euro schätzt das Gericht später seinen Reibach.

Umarex-Beschäftigter klaut Teile zusammen – der Mendener kauft die fertigen Waffen

Die Waffen liefert ihm ein Beschäftigter der Arnsberger Waffenschmiede Umarex, der sich die Pistolenteile über die Jahre bei seinem Arbeitgeber zusammenklaut. Der Deutsch-Portugiese schmuggelt Läufe, Griffe und Abzüge aus der noch weitgehend ungesicherten Firma und baut sie dank gestohlener Konstruktionspläne bei sich zu Hause zu funktionstüchtigen Walther-Pistolen verschiedener Kaliber zusammen. Anfangs macht er das nur gelegentlich, doch als der Mendener mit ihm Kontakt aufnimmt und bei ihm immer größere Mengen bestellt, kommt das Geschäft richtig in Fahrt. Bis der Hagener Polizei die vielen Walther-Waffen auffallen, die in der Halbwelt kursieren. Allein drei versuchte Tötungsdelikte werden in Hagen mit Walther P22 begangen. Nur Umarex stellt diese Pistolen her. Jetzt wird auch dort scharf überprüft.

Am 27. März 2019 klicken auch in Menden die Handschellen

Nicht lange, und der Deutsch-Portugiese geht am Firmenausgang ins Netz, als er mit einem Pistolenlauf im Rucksack nach Hause gehen will. Diesmal geht die Polizei mit – und hebt bei ihm ein Waffenlager mit großen Mengen an Pistolen und Munition aus. Der verhaftete Deutsch-Portugiese nennt der Polizei seinen Abnehmer. Kurz darauf klicken auch in Menden die Handschellen. Es ist der 27. März 2019.

Geständnis hilft Ermittlern: Abnehmer genannt und Chatverläufe offengelegt

Um seine Chancen zu verbessern, legt der junge Zwischenhändler ein umfassendes Geständnis ab. Er bestätigt nicht nur die Angaben seines Umarex-Lieferanten. Gegenüber den Ermittlern legt er auch seine eigenen Abnehmer offen. Von ihm präsentierte Chatverläufe in der Signal-App sorgen für weitere Verurteilungen – einer seiner Kunden fährt wegen zusätzlicher Delikte sogar für acht Jahre ein. Kurz: Der Umarex-Prozess wird zum großen Erfolg für Polizei und Justiz.

Kein Lohn der Angst: Landgerichts-Urteil fällt trotz der Einlassungen knallhart aus

Der schlagzeilenträchtige Umarex-Prozess vor zwei Jahren: Hier der ermittelnde Staatsanwalt Thomas Schmelzer.
Der schlagzeilenträchtige Umarex-Prozess vor zwei Jahren: Hier der ermittelnde Staatsanwalt Thomas Schmelzer. © WP | Martin Haselhorst

Nur der Mendener hat nichts davon. Ihm verpasst das Landgericht trotz eines laut BGH „von Reue getragenen Geständnisses“ fast die Höchststrafe, denn er gilt als Spinne im Netz. Seine Einlassungen zählen wenig, im Fall des Umarex-Lieferanten gar nichts. Denn hier hat er laut Landgericht nur bestätigt, was man schon von dem Waffendieb wusste. Doch so einfach, sagt der BGH sinngemäß, darf man sich das nicht machen. Auch die Bestätigung einer Information ist eine Information.

Seit zwei Jahren bestehender Haftbefehl soll jetzt aufgehoben werden

Anwalt Thomas Mohrmann stellt am Mittwoch den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls: „Mein Mandant hat stets pünktlich alle Melde-Auflagen und Termine erfüllt.“ Richter Pagel und Staatsanwalt Schmelzer lassen durchblicken, dass der Antrag Chancen hat.

Der Prozess soll am 18. Januar fortgesetzt werden. Falls notwendig, findet am 28. Januar der voraussichtlich letzte Termin statt.