Wenden. Jens-Peter Wolf ist Pflegedienstleiter im St. Josefsheim der Caritas in Wenden. Im Interview spricht er über die schwierige Situation.
Der Tag der Pflege steht bevor, am Donnerstag, 12. Mai, ist es soweit. Doch wie steht es eigentlich derzeit um die Situation in der Pflege? Sind Pflegekräfte maßlos überlastet, gibt es zu wenige Mitarbeiter und wie steht es um den Nachwuchs? Jens-Peter Wolf, Pflegedienstleiter im St. Josefsheim der Caritas in Wenden, klärt diese Fragen im Gespräch mit der Redaktion.
Hallo Herr Wolf, erzählen Sie doch mal, wie steht es eigentlich derweil um die Situation in der Pflege? Von vielen Seiten hört man immer wieder, dass Pflegekräfte maßlos überlastet sind und ein enormer Mangel herrscht. Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Jens-Peter Wolf: Diese Aussage vereinfacht eine sehr komplexe Problemstellung etwas zu sehr. Ja, es gibt einen eklatanten Mangel an Pflegekräften. Die Altersstruktur unserer Gesellschaft (Stichwort: Demografische Entwicklung) trägt zu großen Teilen dazu bei, dass die steigende Anzahl pflegebedürftiger Menschen von einer geringer werdenden Anzahl von Pflegekräften versorgt werden muss. Hinzu kommen enge gesetzliche Vorgaben, die Einfluss auf die Personalstruktur von Einrichtungen haben. Die ersten politischen Maßnahmen, um diesem Missverhältnis entgegenzuwirken, sind eingeleitet und unterstützen Einrichtungen, über die Personalschlüssel hinaus Mitarbeitende einzustellen.
Aber Stress beinhaltet der Beruf dennoch – oder?
Meiner Meinung nach sind Berufe dann herausfordernd, wenn viele verschiedene Kompetenzen zeitgleich verlangt werden. Die Versorgung Pflegebedürftiger bringt genau das oft mit sich. Gleichzeitig ist der Umgang mit Menschen genau das, was diesen Beruf so erfüllend machen. Aber auch der Pflegeberuf in der stationären Altenhilfe hat sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert.
Inwiefern?
Die Menschen befinden sich heutzutage viel länger in ambulanter Pflege oder werden in einer Tagespflege versorgt. Somit kommen Bewohnende oft mit vergleichsweise hohem Pflegebedarf in stationäre Pflegeeinrichtungen. Wenn ich auf unser Team blicke kann ich feststellen, dass sich unsere Mitarbeitenden aus Überzeugung bei jedem einzelnen Bewohnenden enorm viel Mühe geben. Für die Pflegekräfte heißt dies, jederzeit auf höchstem professionellen Niveau zu agieren, um den individuellen Bedürfnissen der Bewohnenden optimal begegnen zu können. Dafür ist enormes Fachwissen notwendig und es gilt zu wissen, was der Bewohnende braucht und was die Pflege leisten kann.
Man findet also Kompromisse?
Genau. Die Pflege ist immer individuell auf den jeweiligen Bewohnenden zugeschnitten. Es ist ein richtiges Miteinander. Wir sind immer auf der Suche nach Kompromissen, sodass für beide Seiten das bestmögliche Ergebnis herauskommt.
Kann man die Situation in einem Pflegeheim mit der in einem Krankenhaus vergleichen?
Nein, die Situation im Krankenhaus ist überhaupt kein Vergleich zu der in der stationären Pflege. Hier in der Pflege begleiten wir die Menschen mitunter sehr lange und sind fester Bestandteil Ihres Lebens. Im Krankenhaus geht es eher darum, dass der Patient gesund gepflegt wird, damit er langfristig gesehen wieder nach Hause gehen kann. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, ich war jahrelang Intensivpfleger im Krankenhaus in Altenhundem. In der stationären Pflege lernen Pflegekräfte die Bewohnenden wirklich gut kennen, sind Bestandteil ihres direkten sozialen Umfelds. Die Bewohnenden teilen mit uns ihre Wünsche, Ängste, Sorgen und wir lernen ihre Biographie kennen. Im Krankenhaus ist dies aufgrund der meist kurzen Verweildauer überhaupt nicht möglich.
Nun wird auch immer wieder erwähnt, dass es zu wenig Pflegekräfte gibt, stimmt das denn?
Die Tendenz ist wirklich dramatisch. Der Bedarf an Pflegekräften nimmt zu, während immer weniger Menschen sich für diesen Beruf entscheiden. Zusätzlich bestehen die genannten gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Politik hat diese Entwicklung wahrgenommen und mit Gesetzesänderungen reagiert. Diese erlauben uns, ab 2023 zusätzliches Personal einzustellen.
Das ist natürlich toll, aber lässt sich dieses Personal überhaupt finden?
Leider nicht - und genau da liegt das Problem. Und die Corona-Situation in den letzten Jahren macht das Ganze natürlich noch schwieriger.
Corona hat wahrscheinlich verheerende Folgen..
Auf jeden Fall. Auch wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr so präsent ist, begleitet uns die Pandemie in unserem Beruf weiterhin jeden Tag – und stellt unsere Pflegekräfte immer wieder vor Herausforderungen. Unsere Mitarbeitenden müssen während der Arbeit nicht nur sich selbst, sondern eben auch die Bewohnenden schützen. Die Belastung durch die anhaltende Situation trifft dabei sowohl Bewohnende als auch Mitarbeitende. Letztgenannte müssen sich ja auch privat anpassen und aufpassen. Sie mussten häufig auch ihre eigenen Sozialkontakte einschränken, um unsere Bewohnenden zu schützen. Da ist es natürlich auch nicht verwunderlich, dass es Mitarbeitende gibt, die an ihre Grenzen gehen.
Das klingt wirklich nicht einfach.
Ist es auch nicht.
Was macht das denn mit ihren Mitarbeitern?
Das Teamwork im St. Josefsheim ist wirklich bemerkenswert. Auch bei krankheitsbedingten Engpässen oder in Belastungsspitzen arbeiten alle Mitarbeitenden unermüdlich für das Wohl unserer Bewohnenden. Ohne das Engagement unserer Kolleginnen und Kollegen hätten wir die vergangenen Jahre nicht so gut durchgestanden.
Also ist es schon belastend?
Natürlich belastet die Situation Pflegekräfte wie auch Bewohnende. Daher ist es umso wichtiger, als Team dazustehen und niemanden mit seinen Gefühlen alleine lassen. Der Caritasverband Olpe sowie das Caritas-Zentrum Wenden legen viel Wert darauf, Mitarbeitende mit allen notwendigen Ressourcen auszustatten, damit zur Belastung durch fehlende Kolleginnen und Kollegen nicht weitere Belastungen hinzukommen. Neben der Unterstützung unserer Mitarbeitenden durch Fort- und Weiterbildung, ein betriebliches Gesundheitsmanagement und individuelle Zusatzleistungen, investieren wir permanent in die Infrastruktur, um das tägliche Arbeiten zu erleichtern. Aktuell entsteht im Caritas-Zentrum Wenden der Ersatzneubau für unser St. Josefsheim. Die Aussicht, zeitnah in einer modernen Einrichtung arbeiten zu können, motiviert natürlich zusätzlich. Die gegenseitige Unterstützung kann allen Beteiligten helfen, auch in schwierigen Situationen zurechtzukommen. Und auch das macht diesen Beruf zum schönsten Job der Welt.
Warum ist der Beruf denn so toll?
Wo soll man da anfangen? Dieser Beruf ist im besten Sinne abwechslungsreich und sinnstiftend. Man kann Hilfesuchenden die Unterstützung bieten, die sie brauchen und benötigt dafür ein sehr breites Fachwissen. Es gibt kaum eine Profession, in der es so sehr darauf ankommt, mit Menschen umzugehen; sich auf Menschen einzulassen. Nur so ist es möglich, die Bedürfnisse wahrzunehmen und unseren Bewohnenden zu helfen. So herausfordernd die Aufgaben manchmal sein mögen, sind sie doch auch jederzeit bewegend und zutiefst menschlich. Zugleich ist der Pflegeberuf auch langfristig sicher und attraktiv. In der öffentlichen Diskussion wird oft nicht deutlich, wie erfüllend der Job dabei sein kann. Es ist sicherlich nicht für jeden etwas, aber wer gerne nah am Menschen sein und sich selbst entwickeln möchte, um Pflegebedürftigen zu helfen, der findet hier sicher seine Erfüllung. Bei Bewerbern habe ich persönlich immer einen ganz besonderen Anspruch. Es muss möglich sein, dass man es als Mitarbeitender schafft, dem Bewohnenden einmal am Tag, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Das ist mir wirklich wichtig.