Sundern. Heimatforscher Werner Neuhaus hat ein neues Buch zum Judenhass in Sundern und dem Sauerland veröffentlicht. Das sind die Hintergründe.

Begriffe wie Antisemitismus oder Judenhass werden oft mit der Zeit der Naziherrschaft in Deutschland zwischen 1933 und 1945 in Verbindung gebracht. In neuer Zeit rücken die Begriffe wieder in den Fokus, nachdem es zuletzt vermehrt Übergriffe und Angriffe auf sowie Beleidigungen gegen Juden in diesem Land gab. Der Sunderner Lokalhistoriker Werner Neuhaus hat sich mit einer Thematik befasst, die vielen Menschen dagegen weit weniger bekannt ist. „Vor vier Jahren bin ich auf die Thesen des Münsteraner Historikers Olaf Blaschke aufmerksam geworden“, berichtet Neuhaus. Olaf Blaschke, Verfasser des Buches „Die Kirche und der Nationalsozialismus“ vertritt die These, dass es auch im Kaiserreich verstärkt Judenhass in der Gesellschaft gegeben habe - besonders im katholischen Milieu.

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„Ich wollte dieser These nachgehen, weil ich davon bislang nicht wirklich etwas gehört hatte und herausfinden, ob es im katholischen Teil des Sauerlandes Anhaltspunkte dafür oder dagegen gab“, sagt Werner Neuhaus. Der ehemalige Lehrer am Städtischen Gymnasium Sundern recherchierte im Archiv der Stadt Arnsberg. „Ich habe mir die Ausgaben des Central-Volksblatts der 1870er-Jahre ausführlich angeschaut. Seite für Seite bin ich durchgegangen, um herausfinden, ob dort hetzerische Artikel gegen Juden zu lesen waren.“ Bei dem Central-Volksblatt handelte es sich um eine katholische Tageszeitung, die in der damaligen Zeit enormen Einfluss hatte.

Lokalhistoriker und Heimatforscher Werner Neuhaus
Der ehemalige Gymnasiallehrer Werner Neuhaus aus Sundern erforscht die heimische Geschichte. Sein neuestes Buch beschäftigt sich mit dem Antisemitismus in Sundern im 19. Jahrundert. © Eric Claßen | Eric Claßen

Werner Neuhaus stellte fest, dass die Vorwürfe des Historikers Olaf Blaschke keineswegs aus der Luft gegriffen waren. „Allerdings gab es keine dauerhaften Hetzereien gegen Juden. Vielmehr sind die antisemitischen Artikel wellenartig veröffentlicht worden. Manchmal gab es mehrere Tage oder Wochen in Folge solche Veröffentlichungen, danach konnte es aber auch passieren, dass es wochen- oder monatelang sehr ruhig gewesen ist.“ Während des sogenannten Kulturkampfs zwischen Katholiken und Protestanten im Kaiserreich erfasste die katholische Seite eine regelrechte Verfolgungsmanie, bei der man behauptete, die Juden stünden hinter einer Verschwörung gegen die Katholiken. Begründet wurde die These der katholischen Seite u.a. damit, dass es damals einflussreiche jüdische Mitbürger in der Wirtschaft, Presse, im Bankenwesen und an der Börse gab. Krude Behauptungen, die ein halbes Jahrhundert später dankend von den Nationalsozialisten aufgegriffen wurden. „Der Unterschied zwischen dem Judenhass im Kaiserreich und dem in der Weimarer Republik ist der, dass im Kaiserreich ein Religionshass herrschte. Die Nazis wiederum haben den Fokus auf den Rassenhass gelegt“, so der Sunderner.

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In einem 50-seitigen Aufsatz fasste Neuhaus seine Erkenntnisse zusammen. Peter Bürger, Herausgeber der Reihe „leutekirche sauerland“, nahm Kontakt zu Neuhaus auf und fragte, ob er nicht Lust habe, ein Buch über die Thematik zu veröffentlichen, nachdem Neuhaus bereits an weiteren Aufsätzen zu diesem umfangreichen Themenkomplex arbeitete. „Wir kennen uns, weil ich bereits ein anderes Buch in dieser Schriftreihe veröffentlicht habe.“ Letztlich einigten sich Werner Neuhaus und Peter Bürger. Das Buch trägt den Titel „Isoliert oder integriert? Studien zur Geschichte von Juden und Antisemitismus in Sundern/Sauerland im langen 19. Jahrhundert.“ Auf insgesamt 200 Seiten beschäftigt sich der Autor in vier Aufsätzen mit der Thematik.

Kirche Enkhausen
In der Kirche von Enkhausen befindet sich ein Glasfenster, das der jüdische Geschäftsmann Moses Grüneberg gestiftet hat. Es ist auch auf dem Titel des neuen Buchs von Werner Neuhaus zu sehen. © Eric Claßen | Eric Claßen

Waren Juden in ihrem ländlich-katholischen Umfeld integriert und akzeptiert oder doch eher isoliert und gesellschaftlich an den Rand gedrängt? Diese übergeordnete Frage wird konkret in einer generationenübergreifenden Untersuchung zur jüdischen Großfamilie Grüneberg aus Hachen erörtert. Zur Sprache kommen auch Aspekte, die in ortsgeschichtlichen Untersuchungen oft wenig Beachtung finden. Licht fällt auf Probleme bei der Eheanbahnung zwischen einem landsässigen westfälischen katholischen Adligen und der Tochter eines rheinischen Privatbankiers, der trotz - oder wegen - seines Reichtums in Köln mit antisemitischer Ausgrenzung zu kämpfen hatte. Das abschließende Kapitel lenkt den Blick auf Erzählungen und Romane eines katholischen Geistlichen aus dem Sauerland, der in einigen seiner literarischen Arbeiten der 1870er-Jahre ein negatives Judenbild entwickelt hat.

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Besonders die Geschichte der jüdischen Großfamilie Grüneberg in Hachen liefert anschaulich einen Blick auf die Denkweise vieler Menschen in der damaligen Zeit. Die Grünebergs waren Viehhändler und Metzger. Moses Grüneberg, der es im Laufe der Zeit zu Wohlstand gebracht hatte, stiftete ein Fenster in der Enkhäuser Kirche. „Die Grünebergs waren nicht richtig isoliert, da wohl viele Bewohner Hachens bei der Familie eingekauft haben, doch zugleich war man auch nicht vollständig integriert. Es gab Verleumdungen gegen die Grünebergs und auch im Vereinsleben waren sie außen vor. Zumindest findet man keine Mitgliedschaften von Familienmitgliedern.“

Auch das Schloss Melschede und die dort lebenden Freiherrn von Wrede-Melschede spielen eine Rolle bei den Forschungen von Werner Neuhaus.
Auch das Schloss Melschede und die dort lebenden Freiherrn von Wrede-Melschede spielen eine Rolle bei den Forschungen von Werner Neuhaus. © WP

Aus Sicht von Werner Neuhaus hat sicherlich Neid eine große Rolle beim Judenhass vieler Katholiken in der damaligen Zeit gespielt. Grund sei dabei auch das Thema Bildung gewesen. „Die Juden waren meistens besser ausgebildet und haben daher auch Berufe ausgeübt, die Katholiken oftmals verwehrt blieben“, so Neuhaus. Er habe allerdings auch herausgefunden, dass der Judenhass nicht flächendeckend in Sundern und dem Sauerland vorkam und eben auch nicht dauerhaft. „Man kann sagen, dass nicht automatisch alle Katholiken in Sundern Antisemiten waren oder Hass auf Juden hatten.“

Buch Antisemitismus Sundern Kaiserreich
Das Buch von Werner Neuhaus ist ab sofort im Buchhandel erhältlich. © Eric Claßen | Eric Claßen

Das Buch ist ab sofort im Buchhandel unter der ISBN-Nummer 978-3-7693-1166-2 erhältlich. Marilies Engelbertz, Inhaberin des Bücher-Ecks, erklärt: „Ich bin froh, dass das Buch da ist, weil die Thematik immer wieder von Kundinnen und Kunden nachgefragt wird. Wir haben einige Exemplare vorrätig und auch bereits erste Bücher verkauft.“

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