Hüsten. Nephrologisches Team verbringt 60% der Zeit am Telefon, um Medikamentenmangel zu bewältigen. Jetzt spricht das Team Dr. Bachmann offen.

Es seien fast 60 Prozent der Arbeitszeit, so schätzt es Kathrin Niggemann, die das nephrologische Team derzeit am Telefon verbringe. Immer wieder müsste es erklären, dass gewisse Medikamente, die bei Patienten mit Nierenerkrankungen eingesetzt werden, um die Übersäuerung des Körpers auszugleichen, derzeit nicht bzw. nur bedingt lieferbar sind. Die Krankenschwester arbeitet im Nephrologischen Zentrum Sauerland neben dem Klinikum in Hüsten. Gemeinsam mit der leitenden Angestellten Natascha Käse und Dr. med. Jürgen Bachmann betreut sie die rund 2500 ambulant zu behandelnden Patientinnen und Patienten.

„Wir betreuen im Bereich des Hochsauerlandkreis über 450 Dialysepatienten, davon über 60 mit der Peritonealdialyse -Bauchfell-Dialyse-, meist Heimbehandlung“, erklärt Dr. Bachmann, „An den Standorten in Hüsten, Meschede und Brilon sind zudem große nephrologische Ambulanzen, wo es darum geht, die Nierenfunktion der uns anvertrauten Patienten trotz zum Teil schwerwiegender Erkrankungen möglichst gut zu erhalten und dadurch die Dialysebehandlung zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. Dies gelingt bei entsprechender Therapie recht gut.“

„Wir sind inzwischen von Indien und China abhängig“

Aktuell sei jedoch genau das ein Problem, denn die Praxis habe mit Lieferschwierigkeiten wichtiger Medikamente zu kämpfen. „Wir müssen uns dauernd erklären“, so Krankenschwester Niggemann weiter. „Denn letztlich rufen die Patientinnen und Patienten bei uns an, um zu fragen, was sie nun machen sollen.“ Ihr und ihren Kolleginnen bzw. Kollegen bliebe dann oft nur der Verweis auf die Apotheken - und manchmal auch der Verweis auf Online-Apotheken. „Wir behandeln viele Menschen, die genau diese Medikamente bekommen, wo es aktuell hakt.“

Dies bedeute für die Menschen, erklärt Dr. Bachmann, dass die Gefahr des kompletten Nierenversagens oder anderer Komplikationen erheblich zunehme, weil eben diese wichtigen Medikamente nicht lieferbar sind. „Unsere Patienten berichten uns täglich über diese Lieferschwierigkeiten, und wir werden andauernd von Apotheken deswegen angerufen“, sagt er, „Es handelt sich hier um einen politischen Skandal, der insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass es wegen der zum Teil krassen Preispolitik der Krankenkassen und der Gesundheitspolitiker zu einem immer weiteren Abbau von Produktionskapazitäten in Europa gekommen ist. Wir sind hier inzwischen von Indien und China abhängig.“

„Es handelt sich hier um einen politischen Skandal, der insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass es wegen der zum Teil krassen Preispolitik der Krankenkassen und der Gesundheitspolitiker zu einem immer weiteren Abbau von Produktionskapazitäten in Europa gekommen ist. Wir sind hier inzwischen von Indien und China abhängig.“

Dr. med. Jürgen Bachmann
Facharzt für Nephrologie

Inzwischen seien sogar ganz einfache Präparate nicht mehr lieferbar - wie beispielsweise Nepresol oder Ozempic, aber auch preiswerte Substanzen wie Bicanorm oder Nephrotrans. Die Folge dieser fehlenden Medikamente? Der Säurehaushalt kann nicht, wie innerhalb der Behandlung erforderlich, ausgeglichen werden, so dass früher oder später dann doch eine Dialyse durchgeführt werden muss. Sprich, bis zu dreimal die Woche müssen Patientinnen und Patienten dann mehrere Stunden in der Praxis verweilen, um ihr „Blut waschen“ zu lassen.

Apothekerverband bestätigt Medikamenten-Engpässe

Das bestätigt auch der Apothekerverband Westfalen-Lippe e.V. (AVWL). „Tatsächlich bestehen Lieferengpässe bei Arzneimitteln für Patienten mit Nierenerkrankungen. Zuletzt betroffen war daneben zum Beispiel ein Präparat, welches bei Dialysepatienten eingesetzt wird, um die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern. Hier handelt es sich um ein Notfallmedikament, das heißt, der Bedarf ist nicht planbar“, so Sprecherin Nina Grunsky auf Nachfrage dieser Redaktion. „Zwar entspannt sich die Lage bei diesem Präparat aktuell etwas, allerdings ist das Mittel seit Jahren immer wieder von Lieferschwierigkeiten und Engpässen betroffen.“

„Die Patienten sind wirklich schon sehr leidensfähig, daher wünschen wir ihnen nicht auch noch Ängste davor, dass sie nicht richtig versorgt werden können.“

Kathrin Niggemann
Krankenschwester

Insgesamt seien die Lieferengpässe ein langwieriges Problem, vor dem die Apotheken auch seit Jahren gewarnt hätten. Lösungen gebe es bislang jedoch nicht - zumindest nicht bei Arzneimitteln für Erwachsene. „Die Politik muss daher endlich dauerhafte Lösungen für das Problem der Lieferengpässe finden. Insbesondere muss die Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln unter hohen Umweltschutz- und Sozialstandards wieder verstärkt in der EU stattfinden. Zudem brauchen die Apotheken ausreichende Handlungsspielräume, um im Falle eines Engpasses flexibel reagieren zu können.“

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Apotheken vor Ort täten alles, um im Falle eines Engpasses im engen Austausch mit den Ärzten Lösungen zu finden - allerdings setze dies voraus, dass es auch zukünftig ein flächendeckendes Netz von Apotheken vor Ort gibt. „Das Bundesgesundheitsministerium plant jedoch derzeit eine Apothekenreform und will Apotheken ohne Apotheker schaffen. Ohne Apotheker aber ist ein effektives Lieferengpassmanagement nicht möglich“, so Grunsky weiter.

„Es gibt zu den nicht lieferbaren Medikamenten auch keine Alternative“, sagt Dr. med. Jürgen Bachmann, „nichts Gleichwertiges - und außerdem mit vielen Nebenwirkungen. Es ist ein einfaches Medikament, hat aber eine große Wirkung.“ Und genau diese Wirkung möchte das Team der nephrologischen Praxis ihren vorwiegend Ü-60-Patientinnen und Patienten nicht zumutzen. „Die Patienten sind wirklich schon sehr leidensfähig“, sagt Kathrin Niggemann, „daher wünschen wir ihnen nicht auch noch Ängste davor, dass sie nicht richtig versorgt werden können.“