Arnsberg.. Die Sanierungsarbeiten im Kloster Wedinghausen in Arnsberg eröffnen den Archäologen einen spannenden Blick in mehr als 800 Jahre Geschichte.
Das Kloster Wedinghausen ist ein wahrer Schatz. Nicht nur, weil dieses über 800 Jahre alte Gemäuer als „der“ Geburtsort Arnsbergs gilt und weil es über Jahrhunderte als geistiges Zentrum das heutige Südwestfalen prägte. Nein, auch für Historiker und Archäologen ist das vom Prämonstratenser-Orden errichtete Gebäudeensemble eine Fundgrube mit nahezu täglich neuen Überraschungen. So gibt jetzt das Kloster im Rahmen der aktuellen Umbau- und Restaurierungsarbeiten immer wieder neue Geheimnisse preis, von denen es jetzt für die beteiligten Wissenschaftler einige zu enträtseln gilt.
Knarrend wie ein Sargdeckel im Gruselfilm öffnet sich hoch oben in dem alten, verwinkelten Gemäuer - irgendwo zwischen Erdgeschoss und Dach - eine Tür. Und gibt nach vorsichtigen Schritten über eine schmale Treppe den Blick frei auf ein verwirrendes Labyrinth von Stegen, die sich über das gesamte Deckengewölbe der Propsteikirche - der Klosterkirche - erstrecken. Mit Ehrfurcht steigt man weiter, über Seilzüge für das Geläut hinweg.
Fast hat der Besucher den Eindruck, zurück in das 13. Jahrhundert katapultiert worden zu sein und dass die Steinmetze gerade erst ihre Arbeit vollendet haben. Denn aus der Rückseite des vom Kircheninneren heraus schön anzusehenden Deckengewölbes ragen die dicken, behauenen Steinklötze heraus - so wie man sie vor 800 Jahren gesetzt und dann auf dieser unzugänglichen Seite nicht verputzt hat. Und automatisch sucht man die gewölbte Oberfläche nach vergessenem Werkzeug ab, um die Arbeiter zurückzurufen und zur Ordnung anzuhalten. Und in der Luft der Geruch nach Mörtel, nach Holz, nach Weihrauch.
„Für die beiden Archäologen, die hier vor Ort den Umbau begleiten, ist Wedinghausen eines der spannendsten Objekte, an denen sie bislang gearbeitet haben,“ sagt Propst Hubertus Böttcher. Denn schließlich, schwingt auch beim Hausherrn ein wenig Stolz auf das geschichtsträchtige Gemäuer mit, gebe es nur wenige Klöster, die noch „im Komplex“ erhalten seien. „So lässt sich hier eine über 800 Jahre lange Entwicklung in insgesamt acht Bauphasen ablesen.“ Wie aus einem offenen Buch über Bau- und Kulturgeschichte.
Bei dem jetzt „größten baulichen Eingriff seit Jahrhunderten,“ erläutert Böttcher, „greifen wir aber die Spuren unserer Vorgänger auf. Weil wir wieder ein Gespür für die Geschichte bekommen und dieses auch vermitteln wollen.“
„Aus tiefem Glauben heraus“
Und die Spuren der frühen Baumeister und Mönche finden sich überall: Unter der früheren Bühne im Kapitelsaal kommen Hinweise auf ein längst verschwundenes Kellergewölbe nach langem Dunkel wieder ans Licht. Direkt daneben nackter Fels. Darauf die alten Grundmauern, angelegt in feinem Fischgrätmuster. „Das“, sagt Hubertus Böttcher, „ist die Urbasis des Klosters Wedinghausen.“ Schon allein daran lasse sich erkennen, welche Knochenarbeit für dessen Bau habe geleistet werden müssen: „Es ist einfach erstaunlich, was die Menschen damals aus Gottesverehrung und tiefem Glauben heraus geschaffen und welche Mühen sie dafür auf sich genommen haben.“
Wieder geht es eine Treppe hoch. In der Wand ein kleines, wohl mit dem Hammer frisch geschlagenes Loch. Dahinter: Fragmente einer alten Wendeltreppe, deren Treppenhaus irgendwann vermauert wurde und erst jetzt wiederentdeckt ist. Warum vermauert? Das weiß kein Mensch. Ein weiteres Rätsel.
Wandel im mönchischen Leben
Wenige Stufen höher ein Türsturz, der auf eine direkte Verbindung in die Klosterbibliothek - lange Zeit vom benachbarten Laurentianum als Musiksaal genutzt - hindeutet. Und ein weiterer neu entdeckter Raum gibt Grund zu neuen Fragen. „Vielleicht war es eine Toilette für die Mönche, aber auch das wissen wir noch nicht,“ sagt Böttcher.
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Dann wird es wieder spannend: Die Archäologen haben direkt im Anschluss an das Dormitorium die Spuren eines „geheimnisvollen Übergangs“ in die Klosterkirche entdeckt, dessen Ausgang hinter den großen Grabdenkmalen derer zu Fürstenberg lag, die noch heute im Inneren die hintere Südwand der Propsteikirche schmücken. So konnten sich die Mönche vom Bett direkt zum Gebet in die Kirche begeben. Auch eine Art von Komfort.
Jetzt geht es durch weitere Türen, um Ecken herum und Treppen hinauf - zum Dachboden über dem Dormitorium. Dort ein Balken mit einer Inschrift, die sich nicht entziffern lässt. Noch nicht. „Da müssen jetzt die Experten ans Werk“, sagt Küster Wilfried Ortmann, der sich in die Klostergeschichte hingearbeitet hat wie kaum ein anderer.
Vermutlich, so Ortmann, habe dieser mächtige Balken zuvor in einem anderen Gebäude Verwendung gefunden. Also historisches Recycling. „Aber Genaues wissen wir nicht.“ Aufschluss, hoffen die Archäologen, könnte das Enträtseln der Schriftfragmente bringen. Immerhin: „Einige der Holzbalken, die hier im Kloster, dem ältesten Haus der gesamten Stadt Arnsberg, eingebaut wurden, sind über 1000 Jahre alt,“ ergänzt Propst Böttcher. Was entsprechende Untersuchungen ergeben hätten.
Spannender Komplex
Wieder Türen, wieder Treppen. Die Orientierung fällt dem Unkundigen da nicht leicht. Und noch eine Tür - und man steht: im Kreuzgang. Ganz unten. Obwohl man sich noch immer hoch über der Stadt fühlt. Ein unglaublicher Gebäudekomplex, ein spannender Gebäudekomplex.
„Und darum wollen wir diesem Ort wieder die Bedeutung geben, die er einst für die Region und darüber hinaus hatte,“ nennt Hubertus Böttcher die Zielrichtung von Sanierung und Umbau. Das sei auch der Wunsch des zuständigen Erzbistums Paderborn, das daher für die Kosten aufkomme. Die, sagt der Propst, allerdings noch einmal deutlich angestiegen sind: von ursprünglich 2 auf nun rund 3 Millionen Euro. Aber auch das sei kein Problem. „Daran kann man erkennen, für wie wichtig Paderborn diesen Ort erachtet.“
Und wie wichtig er einst war. Denn der Ruf Wedinghausens reichte weit. Bis nach England. Von dort machte sich im Mittelalter der Mönch Richard - heute bekannt als Richard von Arnsberg - auf den beschwerlichen und gefahrvollen Weg ins Sauerland. Zu Fuß. Dessen erhaltene schwarze Schreiberhand sorgt heute noch für Grusel beim Betrachter - und erzählt zugleich von der hohen Kunstfertigkeit der im Kloster tätigen Kalligraphen.
Aber ohne die Shalom-Bewegung, deren erste Mitglieder - wie berichtet - bereits in der Gemeinde eingetroffen sind - hätte man nicht sanieren, manches vergessene Kapitel der Klostergeschichte nicht öffnen können. „Denn nur aus diesem Grund finanziert das Erzbistum die Arbeiten. Weil Shalom ein entscheidender Faktor für die Neubelebung als geistiges Zentrum ist.“