Neheim. Nach 36 Jahren verlässt der beliebte Mediziner die Praxis in der Möhnestraße und freut sich nun auf den Ruhestand.
Ein Inserat in einem Ärztefachblatt bestimmte einen Lebensweg. „Allgemeinmediziner sucht Praxis in Mittelstadt“, ließ der Mann damals wissen, „auf’s Dorf wollten wir nicht“.
Es wurde eine Stadt im Sauerland. Der damals 33-Jährige machte die Neheimer Ärztin Frau Dr. Plattfaut auf sich aufmerksam. Über 36 Jahre später verlässt der inzwischen im Sauerland heimisch gewordene Dr. Heiner Thalmann heute endgültig „seine“ damals übernommene Praxis.
Ein Tag, der den Mediziner emotional nicht kalt lässt. Zwar hat er seine Praxis schon vor vier Jahren an das Ärzteehepaar Dr. Stefanie und Dr. Joachim Müller verkauft, doch haben ihm gerade seine letzten Jahre im Beruf sehr berührt. „Da habe ich mich mal wieder ganz auf das konzentrieren können, was man im Arztberuf gerne macht“, erzählt der heute 69-Jährige. Patienten statt Praxisverwaltung - das genoss Dr. Heiner Thalmann noch einmal.
Dr. Heiner Thalmann: „Es werden einige Tausend sein!“
Der Bezug zu seinen Patientinnen und Patienten war ihm immer besonders wichtig. „Ich habe ja damals schon Patienten übernommen, die seit 1956 in der Praxis gewesen waren und bis heute zu uns kommen“, erzählt er. Damals waren auch viele Kinder zu dem Allgemeinmediziner gekommen, die heute selber Eltern sind und deren Kinder er auch schon kennt.
„So etwas ist wirklich schön“, sagt er. Wie viele Menschen in Neheim er behandelt hat, das weiß er nicht genau. „Es werden einige Tausend sein!“, so Dr. Heiner Thalmann.
„Es hat Spaß gemacht, diese gut geführte Praxis weiterzuentwickeln“
In die Praxisräume am Neheimer Markt, die er heute verlässt, zog er nach zwei ersten Jahren in der Möhnestraße bereits 1987 ein. „Das war ein Neubau. Ich konnte die Praxis gestalten wie ich wollte“, erinnert er sich.
Er führte die Praxis bis 2017 alleine, hatte zwischendurch immer wieder angestellte Ärzte und war vorübergehend auch Gemeinschaftspraxis. Dr. Steffi und Jochen Müller waren schon 2009 in der Praxis, ehe sie Dr. Heiner Thalmann die Praxis abkauften
„Es hat Spaß gemacht, diese gut geführte Praxis weiterzuentwickeln“, sagen beide. Zusammen mit einer Kollegin in der Weiterbildung und acht medizinischen Mitarbeiter/-innen - darunter eine Auszubildende - geht es nun ohne Dr. Heiner Thalmann weiter.
Dr. Steffi und Joachim Müller: „Hausarzt zu sein, ist mehr als ein Beruf“
In den Jahren hat der Mediziner viele Menschen kennengelernt - und das ist für einen Hausarzt bei allem Wandel der Patienten immer noch das wichtigste. „Die Patienten sind freier, informierter und auch kritischer geworden“, weiß er.
Da sei es auch die Rolle des Arztes, die Balance zwischen Mündigkeit und des online abgefragten „Dr. Google“-Wissen zu erkennen und entsprechend darauf einzuwirken. Dafür müsse man sich kennen. Vertrauen - nur damit gehe es. Das bestätigen auch Dr. Steffi und Joachim Müller: „Hausarzt zu sein, ist mehr als ein Beruf“.
Thalmann: „Habe in dieser Zeit so viel Unterstützung durch meine Patienten erfahren“
Ein Gefühl, das keine Einbahnstraße sein muss. Das durfte Dr. Heiner Thalmann kurz nach dem Verkauf der Praxis erleben. Der Krebs machte aus dem helfenden Arzt plötzlich einen hilflosen Kranken. Ein Rollenwechsel, der Dr. Heiner Thalmann im Nachhinein tief beeindruckt hat.
„Ich habe in dieser Zeit so viel Rückkoppelung und Unterstützung durch meine Patienten erfahren, die sich um meine Gesundheit gesorgt haben“, erzählt er, „das war ein einmaliges Erlebnis und hat mich sehr gerührt“. Das ist für Dr. Heiner Thalmann das große positive Moment, das er mit aus seiner Praxis-Zeit in den Ruhestand nimmt.
„Zu 99 Prozent hat mir alles immer Spaß gemacht“
Und was war negativ? Dr. Thalmann denkt kurz nach, um entschlossen zu antworten. „Zu 99 Prozent hat mir alles immer Spaß gemacht“, sagt er. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten ihm immer den Rücken frei gehalten. Eines fällt dem Arzt dann aber doch noch ein: „Ich habe sicher etwas Raubbau an meiner Familie betrieben“, sagt er. Es sei halt doch immer wieder zu oft zu spät geworden. „Aber man kann einen Patienten doch nicht halb behandeln“, entschuldigt er sich.
Nun wird er Zeit haben. Zeit für sich, Zeit für seine Familie und seine Enkelkinder und Hobbys. „Ich bin wieder gesund“, sagt er glücklich und freut sich auf die kommenden Monate und Jahre. „Mit dem Wohnwagen wollen wir durch die Gegend fahren“, sagt er. Apulien stehe auf dem Reiseplan, die Straße der Romanik in Ostdeutschland oder das Baltikum. Die Romanik und Gotik habe es ihm mit den Jahren sowohl architektonisch als auch historisch angetan.
Das Corona-Virus macht den Einstieg in den Ruhestand schwierig
Das mit dem Reisen ist gerade ausgebremst. Das Corona-Virus macht Planungen schwierig. Auf der Zielgeraden seiner Berufslaufbahn wurde Dr. Heiner Thalmann von einer Pandemie eingeholt, die für ihn aber nicht überraschend kam. „Ich war mir immer ziemlich sicher, dass so etwas irgendwann kommen würde“.
Der Mediziner im künftigen Ruhestand sagt das nicht mit besserwissendem Pessimismus. Das wäre bei aller Krise so gar nicht seine Art. „Er ist immer gut gelaunt, gewinnt den Dingen immer etwas Positives ab und ist leicht zu begeistern“, sagen Steffi und Joachim Müller, „wir kennen keinen Menschen mit mehr ehrlichem Optimismus“.