Brilon-Thülen. Die Schnellsten fahren beim Viertel-Meile-Rennen die Strecke in 9 Sekunden. Blick in die faszinierende Welt, mit vielen Bildern und einem Video.
Was der hier herausbläst, können wir gleich wegfegen - das ist schon kein Feinstaub mehr.“ Im Minutentakt haut die Moderation am Startpunkt des Viertel-Meile-Rennens in Thülen Fahrzeiten und markige Sprüche raus. Die Zuschauer hinter der Absperrung aus rotem Flatterband werden abwechselnd in Wolken aus teils tiefschwarzen Abgasen und rauchendem Gummi gehüllt. Dazu tiefes Dröhnen und ohrenbetäubende Knallgeräusche. Der gemeine Sonntagsfahrer ist hier so gut aufgehoben wie ein Helene-Fischer-Fan bei Motörhead. Schnell wird klar: Die Jungs (und auch Mädels), die sich am Wochenende auf dem Flugplatz im Thülener Bruch trafen, sind hier in ihrer ganz eigenen Welt.
Schreckliches Unglück führt zum Umdenken
Autorennen - das Wort hat für viele einen faden Beigeschmack. Denkt man dabei doch längst nicht nur an Formel-1-Boliden auf dem Nürburgring, sondern auch an die gefährlichen Straßenrennen, die schon zu viele Menschen das Leben gekostet haben. Das weiß niemand besser als Veranstalter Nico Klassen selbst. Mit gerade mal 18 Jahren, wenige Tage nach dem er seinen „Lappen“ in der Hand hatte, fuhr er sein erstes Straßenrennen. Es wurde zur Sucht. Anderthalb Jahre drehte sich alles um Speed, Speed, Speed. Dann riss ihn der Tod eines guten Freundes jäh aus dem Rausch. Bei einem illegalen Rennen verlor der die Kontrolle über sein Motorrad. Das Geräusch seines Helms, als er gegen ein Verkehrsschild prallte, hallt bis heute in Klassens Kopf nach.
Autorennen in Brilon: Bilder vom Viertel-Meile-Rennen Thülen
Nach dem Unfall trat er auf die Bremse, beschäftigte sich als KfZ-Mechaniker aber weiterhin viel mit Autos und Motoren. Irgendwann hörte er von den Viertel-Meile-Rennen in den USA. Nach anfänglichen Schwierigkeiten veranstaltete der Mittvierziger dann 2007 in Höxter sein erstes Rennen. Auf 402,33 Metern sollen Geschwindigkeitsjunkies wie er selbst einer war, legal und vor allem ohne Gefahr für Leib und Leben, Vollgas geben dürfen. Die Schnellsten fahren die viertel Meile in 9 Sekunden.
Fast 1000 Besucher beim Viertel-Meile-Rennen in Thülen
Mit EFR-Germany, European Fun Race, veranstaltet der in Hamm geborene Klassen zahlreiche Veranstaltungen verteilt über ganz Deutschland. Schon zum 18. Mal war er am Wochenende in Thülen. „Wir fahren hier in verschiedenen Klassen. Kleine Diesel, große Diesel, Benziner, Elektro, Hybrid...die können alle gegeneinander fahren.“, so Klassen. „Wenn die Bock drauf haben, auch ein kleiner Diesel gegen `nen 5-Liter-Ami.“
„Mir geht es nicht darum, am Ende der Gesamtsieger zu sein. Der Reiz ist für mich, sich mit anderen zu messen, sich im Vorfeld zu necken `Ich schaff dich, ich krieg dich, heute bist du dran!`“
Am Samstag sind rund 900 Besucher vor Ort, davon ca 95 Teilnehmer. Um die Siegerehrung am Sonntag gehe es den Leuten dabei eigentlich nicht, sagt Klassen. „Die wollen einfach nur Spaß haben, Gas geben.“
Das bestätigt auch Andreas Osendorf aus Quakenbrück, der mit seinem Opel Kadett C, Baujahr ’74 angereist ist: „Mir geht es nicht darum, am Ende der Gesamtsieger zu sein. Der Reiz ist für mich, sich mit anderen zu messen, sich im Vorfeld zu necken `Ich schaff dich, ich krieg dich, heute bist du dran!`“ Er lacht. „Das macht viel mehr Spaß, als die Bestzeit zu fahren.“
Seine Begleiter Marco Siebert (Ford Capri, Baujahr ’85) und Maren Köwner sehen das genauso. Pro Tag fahren sie etwas 4 bis 5 Mal und sind „eigentlich regelmäßig hier, wenn Wetter und Terminplaner es zulassen.“ Über die Jahre seien viele Freundschaften geschlossen worden. „Das ist ja auch das Schöne, man trifft sich hier immer wieder.“, erzählt Maren Köwner. Sie selbst fahre nicht, sei aber immer dabei. Wenn Marco und Andreas gegeneinander fahren, gibt’s als Preis für den Sieger auch schonmal ‚ne Bratwurst. Häufig gehe es auch nach Aldenhoven, zur „Alarm für Cobra 11“-Autobahn. Die scheint ein kleines Mekka zu sein. Mit wem man auch spricht, jeder erzählt von ihr.
Nico und Luca, beide Anfang 20, sind aus Detmold angereist. Kennengelernt habe Nico das Viertel-Meile-Rennen durch seinen Onkel. „Vor drei Jahren bin ich dann damit gestartet, mit meiner BMW S 1000 R, Baujahr 2014. Da hab ich Blut geleckt und dann ging’s weiter.“ Samstagnachmittag hat der begeisterte Motorradfahrer schon 14 Rennen hinter sich. Im letzten Jahr habe er einmal nicht an den Start gehen können. „Weil ich keinen Führerschein mehr hatte.“ Immerhin ehrlich. Mit sieben weiteren Freunden campen sie auf dem Flugpatz, sind aktuell mit einem 3000-Euro-Projekt beschäftigt: Einen Smart mit Motorradmotor bauen. „Mit ‚ner Turbo Hayabusa. Nichts ist unmöglich!“, sagt Nico lachend. Sein Freund Luca ist mit seinem Audi A4 da, ist sieben Mal gefahren. „Aber jetzt ist mir die Kupplung abgeraucht.“ Macht aber nix. Der restliche Tag ist eh schon verplant: „Bier trinken und grillen!“
Ein Smart mit Motorradmotor klingt abenteuerlich, doch wenn man sich umschaut, wundert einen nichts mehr. Da sind ganz normale Straßenwagen, anderen haben nicht einmal Türen. Fahrer von Fahrzeugen ohne Zulassung dürfen übrigens nur mit Helm an den Start.
Jeder Unfall, der verhindert wird, ist den Aufwand wert
Aus dem Emsland sind George Gates und Sohn Max, zusammen mit etlichen weiteren Freunden, nach Thülen gekommen. Mit 14 Jahren habe Max mit Autocross angefangen. „Das ist wie DTM, aber auf Sand. Kein Stockcar, aber ein bisschen Kontaktsport ist schon dabei. Aber eben ein richtiges Rennen, nur halt auf Sand, auf’m Acker.“ Da habe der Sohn aber irgendwann keine Lust mehr drauf gehabt. „Weil ständig das Auto verbeult ist.“ Irgendwann sei er dann eben auch zum Viertel-Meile-Rennen gekommen. Da er noch keinen Führerschein hat, besuchte er einen Lehrgang für eine Rennlizenz. „Das ist eine nationale C-Lizenz, damit darf er sogar auf dem Nürburgring fahren.“, erklärt Gates. „Wir bauen für nächstes Jahr einen Corsa A auf. Mit Einzeldrossel, Leichtbau und so weiter. Und das Ding soll dann auch auf Bergrennen und Slalomrennen. Wir wollen also noch ‚‘ne Stufe höher gehen und dafür suchen wir noch Sponsoren.“ Gerade Jugendförderung würden auch die Veranstalter in Thülen „total feiern“. Durch das zeitintensive Hobby hätten die Jugendlichen eben keine Zeit mehr für Drogen oder anderen Unsinn. Allerdings sei es eben nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv. „Zum Vatertag habe ich dieses Jahr eine Tasse von meinem Sohn bekommen. Da steht drauf: „Alles Gute zum Vatertag wünscht dir deine finanzielle Belastung.“ George Gates nimmt es mit Humor. Er selbst fahre zwar nicht mit, teile die Leidenschaft aber trotzdem und ist sichtlich stolz. „Max lebt das total. In Aldenhoven hat er letztes Jahr aus dem Stand den ersten Platz gemacht und hier liegt er in seiner Klasse mit seinem schwarzen Corsa B mit seiner Bestzeit von 15,1 Sekunden aktuell auch an der Spitze.“ Ihr „Team GKO“, benannt nach den Gründungsmitgliedern Gates, Kaiser und Osenberg, ist auch in den sozialen Medien sehr präsent, etwa bei Instagram oder TikTok. „Wer uns da unterstützen möchte, wir freuen uns wirklich über jeden kleinen Betrag.“ Auch beim Team GKO ist die weitere Abendplanung mit „Grillen & Chillen“ schnell zusammen gefasst.
Dass er nicht alle jungen Leute von den illegalen Straßenrennen auf die sichere Seite holen kann, das ist Nico Klassen schmerzlich bewusst. Ein Vorbild ist er dennoch und jeder verhinderte Unfall ist die Mühen wert. Er hat die Spur gewechselt und will etwas Gutes tun. Darum hat er auch 200 Spendenshirts drucken lassen, die am Wochenende auf dem Flugplatz verkauft wurden und deren Erlös dem Familienzentrum Leuchtturm in Brilon zugute kommen.
Übrigens: Max Gates konnte seinen schwarzen Corsa am Sonntag wie vorausgesagt zum Klassensieg jagen.