Hallenberg. Es gab Beifall im Stehen für eine besondere Premiere! Die Freilichtbühne Hallenberg reist „In 80 Tagen um die Welt“ und entstaubt einen Klassiker.
„In 80 Tagen um die Welt“ feiert Freilichtbühnen-Premiere
Kann man auf einer vor Wind und Wetter geschützten Holzbank sitzend in zweieinhalb Stunden einmal um den Globus fahren? Ganz ohne Gepäck, Reisepass, Jetlag, Flugangst oder Seekrankheit? Und kann man dabei Spaß haben? Ja, das geht! Und zwar auf der Freilichtbühne in Hallenberg. Die hat am Sonntagnachmittag vor 528 Premiere-Gästen den Jules-Verne-Klassiker „In 80 Tagen um die Welt“ gespielt. Am Ende gab es Beifall im Stehen für eine ausgesprochen unterhaltsame, pfiffige und erlebnisreiche 5-Sterne-Reise voller Phantasie und Illusionen.
Die originär patriarchisch geprägte Geschichte aus dem 19. Jahrhundert ist schnell erzählt. Die Mitglieder des elitären Londoner Reform-Clubs wetten dagegen, dass der britische Gentleman Phileas Fogg es schaffen kann, die Welt in 80 Tagen zu umrunden. Der versucht (Achtung, Spoiler-Alarm: und schafft) es dennoch und erlebt dabei unterwegs diverse Abenteuer. Punkt. Das war`s. „Streng genommen könnte man die Story mit zwei, drei Personen erzählen. Das wäre aber langweilig, zumal sich die heutigen Möglichkeiten des Reisens im Vergleich zu damals total verändert haben“, sagt ein überglücklicher Regisseur Uwe Bautz unmittelbar nach der gelungenen Premiere. Daher hat er tief in die Trickkiste gegriffen. Bautz hat bei seiner dritten Hallenberger Regie-Arbeit das Stück einmal auf links gedreht, die Geschichte komplett umgeschrieben, Personen hinzugedichtet und vor allem das enge Korsett „Zeit“ und „zeitliche Verknüpfungen“ gänzlich entschnürt. Einmal davon befreit, kann die Geschichte durchatmen und frische Luft holen. Das tut ihr gut und dem Publikum, das sichtlich mitgeht und mitfiebert, erst recht. Wer alle Anspielungen entdeckt und versteht, hat zweieinhalb Stunden ein breites Grinsen im Gesicht. Wer nicht, hat trotzdem Spaß an der temporeichen, durchaus leicht schrägen und für Hallenberger Verhältnisse sehr neuartigen Inszenierung.
„In 80 Tagen um die Welt“ feiert Freilichtbühnen-Premiere
Natürlich sangen die Beatles zu Jules Vernes Zeiten in Liverpool noch nicht „Sie liebt mich!“. Die legendäre Winnetou-Melodie für den Wilden Westen Amerikas war noch nicht komponiert. Es gab keine jointrauchenden Hippies in San Francisco und Sherlock Holmes (herrlich komisch: Thomas Knecht) dürfte nie mit Miss Moneypenny (sehr gut: Dagmar Köster) vom britischen Geheimdienst zusammengetroffen sein. Egal. Der bucklige Butler James und sein Tigerfell gehören streng genommen in den Silvester-Klassiker „Dinner for one“ und Prinz Charles und seine Mum „Lizzy“ würden wohl kaum in einem englischen Männer-Club mitmischen. Aber gerade diese surrealen Verknüpfungen verleihen der Inszenierung jede Menge Charme, der sich mit Detailverliebtheit paart. Anfangs spielen die englischen Club-Szenen ausschließlich auf der linken Bühnenhälfte - so wie ein geteilter Bildschirm. Aber irgendwann hebt Bautz auch diese Trennung auf, sodass letztlich Raum und Zeit keine Rolle mehr spielen und die stocksteifen Gentlemen vom muffigen Klubsessel in den indischen Dschungel rüber rutschen dürfen und interagieren.
Emanzipation in Zeiten des Kolonialismus
Ganz bewusst weist Uwe Bautz darüber hinaus die Männer in ihre Schranken und baut die Rollen der Frauen aus. Es sind „Cowgirls“, die den Weltumrunder in Amerika begrüßen und es ist die indische Prinzessin Aouda (überzeugend: Manuela Senger), die in einem bewegenden und berührend interpretierten Solo-Song beteuert „Ich will bei mir selbst zu Hause sein…“ Emanzipation zu Zeiten des Kolonialismus.
Aber was wären die besten Regie-Einfälle, wenn sie nicht entsprechend umgesetzt würden? Und da zieht das 50-köpfige Ensemble auf der Bühne wieder einmal alle Register. Die Mammut-Aufgabe als Dreh- und Angelpunkt der Story mit ständiger Bühnenpräsenz und sehr viel Text hat Gerhard Knecht in einer Mischung aus britischer Gelassenheit, Sauerländer Bodenständigkeit und einem Hang zu unfreiwilliger Komik sehr stimmig angelegt. Von Kindesbeinen an steht er mit seiner Familie auf der Bühne, ist erfahrener Bühnentechniker und immer wieder in kleineren Rollen zu sehen gewesen. Seine erste Hauptrolle meistert er absolut souverän und gibt dem Phileas Fogg eine ganz besondere, eigene Note. Dass er derart aus sich herausgehen könnte, hätten ihm viele seiner Bühnenkollegen/innen sicherlich nicht zugetraut. Sehr schön!
Tolles Ensemble
Vom ans Kreuz genagelten Jesus im vergangenen Jahr zum französischen Diener Passepartout darf Philipp Mause nun wieder sein komisches Talent ausleben. Und das macht er „très bien!“ Franziska Hartmann schlüpft in die Rolle der Reporterin „Fixie“. Sie lässt Uwe Bautz schon im 19. Jahrhundert erkennen, wohin der Journalismus der Zukunft in manchen Branchen gehen wird: „My Name is Fix, nullkommanix, zehntausend Clicks…“ Sie bringt viel Leben auf die Bühne und überzeugt - wie schon als Eliza Doolittle - ganz besonders gesanglich. Zweite Überraschung im Ensemble ist Patricia Rübsam. Sie verkörpert in ihrer ersten großen Rolle der Mignon die verflossene Liebe von Passepartout und glänzt sprachlich, gesanglich und tänzerisch. Jede einzelne Rolle zu würdigen, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Zumal viele Akteure in Windeseile in andere kleine Rollen schlüpfen. Da wird der Beatle zur Can-Can-Tänzerin, zum Indianer oder zum Matrosen.
Wichtiger Baustein Musik
Dass die Illusion der Reise in andere Länder ohne Bühnenbauten und ohne große Kulisse funktioniert - bei der Ankunft in New York wird eine Freiheitsstatue aufgeblasen - ist letztlich auch ein Verdienst des musikalischen Leiters Stefan Wurz, der durch Melodien oder Instrumentierungen den auf einer Freilichtbühne nicht vorhandenen Vorhang ersetzt und mit wenigen Tonfolgen Atmosphären und Stimmungen schafft.
Spieltermine und Infos
Am Sonntag, 23. Juni, 15.30 Uhr, startet die nächste Reise „In 80 Tagen um die Welt“.
Karten und Infos unter www.freilichbuehne-hallenberg.de oder unter 02984 929190.
Sehr zu empfehlen ist auch das Kinderstück „Aladin und die Wunderlampe“.
Fast hätte das Publikum übrigens geglaubt, dass bei der Ankunft in Indien ein echter Elefant auf die Bühne trabt. Lautes „Trörö!“ und schweres Trampeln legten den Verdacht nahe. Aber schlussendlich bleibt es bei einem sichtbaren Seil, an dem der Dumbo mutmaßlich angebunden ist. Der Rest entsteht im Kopf der Zuschauer, ist Phantasie und pure Möglichkeit - ist Theater.
Noch 15 Mal bis zum 7. September bieten die Hallenberger eine Reise um die Welt an: ohne Reisepass ohne Flugzeug, ohne Stau, dafür sind Unterhaltung und Zerstreuung all inklusive. Günstiger und besser kann man in diesem Sommer nicht verreisen…
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