Antfeld/Ostwig. Menschen aus Antfeld organisieren eine Sammelaktion - und fahren die Fracht über die Grenze in die Ukraine. Ihre erschütternden Erlebnisse:

Drei Tage sammeln, zwei Tage packen, zwei Tage Fahrt über rund 1400 Kilometer ins ukrainische Nowowolynsk nahe der polnischen Grenze: In kürzester Zeit haben Antfelder Bürger eine Sammelaktion für die Ukraine aufgestellt. Fleißige Unterstützung erhielten sie dabei- dank enger Kontakte in den Nachbarort – auch aus Ostwig. Nach drei Tagen waren vor Ort bereits zwei Bullis voll und die Tour ging los, über das Münsterland bis in die Ukraine.

Im Antfelder Stammtisch „Harter Kern“ war sofort klar: „Das machen wir“, als ein Stammtischmitglied um Hilfe bat. Der Kollege, der nicht namentlich genannt werden möchte und in Mettingen bei Ibbenbüren mit einer gebürtigen Ukrainerin zusammenlebt, hatte um warme Kleidung, Decken, Lebensmittel, Verbandsmaterial gebeten.

Die Sammelaktion

Bei Marita und Werner Hempelmann in Antfeld wurde kurzerhand eine Sammelstelle eingerichtet, schnell verbreitete sich die Nachricht über die sozialen Netzwerke, schnell war die Garage voll, und nicht nur die. Kleidersäcke voller Wäsche, Berge von Babytüchern und Konserven sowie vieles mehr. Der heimische Autohändler MB Automobile stellte einen Sprinter zur Verfügung und auch Geld gaben die Menschen mit, was dringend nötig war.

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„Allein das Tanken für die 1350 Kilometer kostete hin und zurück 750 Euro statt der kalkulierten 500 Euro. Wir sind noch mal mit der gleichen Summe in Vorleistung getreten, inzwischen hat unsere spontan gegründete Initiative ,Wir helfen Ukraine‘ über den Arbeitskreis Eine Welt e.V auch ein offizielles Spendenkonto“, so Olga Rerich-Wolf.

Die Fahrt

Dass alles direkt weitergebracht wurde, hat Stammtischmitglied Stefan Wilmes aus Nuttlar vor Ort miterlebt. Er war einer der Fahrer der insgesamt drei Transporter. „Ich hatte noch Resturlaub, den habe ich genommen. Die größte Herausforderung war für mich, die Pakete in Mettingen so zu packen: Zahnbürsten, Duschgel, Lebensmittel, Verbandsmaterial, Batterien – und zwar immer so, dass für eine Familie alles in einem Karton war.“ Bis auf die Müdigkeit angesichts der langen Strecke und die ständig steigenden Spritpreise verlief die Fahrt reibungslos.

Die Lebensmittel gingen direkt in den Luftschutzbunker, denn auch Versorgungseinrichtungen stehen unter Beschuss.
Die Lebensmittel gingen direkt in den Luftschutzbunker, denn auch Versorgungseinrichtungen stehen unter Beschuss. © Unbekannt | Privat

„Wir hatten zum Glück Ansprechpartner direkt vor Ort“, sagt Olga Rerich-Wolf, die als Fotografin mit ihrem Presseausweis durchkam. Sie schildert: „Die Lebensmittel gingen direkt in den Luftschutzbunker, denn auch Versorgungseinrichtungen stehen ja unter Beschuss. Unser Ziel war Nowowolynsk, etwa 20 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, weil wir dort persönliche Kontakte haben und wissen, die Sachen kommen an und gehen direkt weiter.“ Das sei das Wichtigste, nicht einfach hinzufahren und dann gar nicht zu wissen, wohin mit den Sachen. Ihre Kartons gingen direkt in Vororte von Kiew.

Die Grenze

Olga Rerich-Wolf hat auf ukrainischer Seite Folgendes beobachtet: „Die Geflüchteten wurden in Gruppen zu rund 150 Personen zusammengefasst und dann wurden Pässe kontrolliert. Die Grenzschützer tun das Menschenmögliche. Es waren ganz viel junge Mädchen darunter, die sind natürlich auch nicht auf sowas eingestellt und total überfordert.“ Menschen mit Haustieren, alte Omas. Stefan Wilmes erlebte sie auf der anderen Seite der Grenze in Polen beim Ankommen, er durfte nur ins Transit-Gebiet: „Die meisten Kinder waren unter zehn Jahre alt. Das geht einem schon sehr nahe, gerade, wenn man selbst Familie hat.“ Bei Temperaturen im Minusbereich seien die Frauen meist mit je einem Koffer und zusätzlich ihren Kindern unterwegs gewesen. „Es hat geschneit und es war, wie man es von früher kennt, ganz sporadisch Holz in Eimern angesteckt, zum Aufwärmen.“

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Der Flüchtlingsstrom nimmt kein Ende.
Der Flüchtlingsstrom nimmt kein Ende. © Unbekannt | Privat

Wilmes hatte extra ganz viel Schokolade mitgenommen für die Kinder, aber die meisten seien einfach nur hektisch und zügig unterwegs gewesen. Dazu kam ein gesundes Misstrauen, weil ein Fremder was anbot. „Erst als ein Kind etwas nahm, gab es eine Art Domino-Effekt.“ Er sah polnische Feuerwehrautos hin und her fahren, die immer neue Geflüchtete transportierten: „Es muss eine Art Auffanglager in der Nähe gewesen sein.“ Und auch das Bild der vielen geparkten Autos auf der anderen Seite der Grenze ist noch in seinem Kopf. „Das sah aus, wie an einem Flughafen, so viele Wagen parkten dort, weil sie bei der Ausreise nicht mitgenommen werden durften.“

Die Hilfe

Wertvolle Fracht in den Transportern waren auf der Hinfahrt sortierte Kartons voller Hygieneartikel, Kleidung, Lebensmittel, auf der Rückfahrt jedoch geflohene Menschen. „Wir haben insgesamt neun Personen mitgebracht, zu denen wir Kontakt hielten, von der Oma bis zum Baby. Darunter auch eine allein reisende 16-Jährige“, sagt Olga Rerich-Wolf, die ebenfalls einen der Bullis steuerte.

Insgesamt 58 Personen gehören mittlerweile zum Netzwerk im Kreis Steinfurt, dessen Hauptinitiator Viktor Adolf ist. Er kümmert sich um die Transporte und ist ständig in telefonischem Kontakt mit allen. Der Kreis der Helfenden wächst ständig, weitere zwölf Transporter haben inzwischen schon Hilfsgüter in die Ukraine gebracht.

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Olga Rerich-Wolf ist sehr dankbar für die unkomplizierte Hilfe aus dem Sauerland. „Die meisten Sorgen mache ich mir um die Familien“, sagt die 41-Jährige, die bis dato einmal im Jahr in die Ukraine, ihre alte Heimat, reiste.

Mehr Infos und Eindrücke zur Initiative unter: www.westerkappelner-helfen.de, offizielles Spendenkonto: Arbeitskreis Eine Welt e.V., IBAN DE25 4035 1060 0015 0012 33, Verwendungszweck „Wir helfen Ukraine“.