Brilon/Olsberg. In Olsberg sticht ein Iraker auf einen Syrer ein. War es versuchter Totschlag. Das Gericht will das Handy des Angeklagten. Doch der weigert sich.
War es doch ein versuchter Totschlag, was sich am frühen Abend des 30. März im Bereich der Stadionstraße in Olsberg-Bigge zutrug? Dann müsste sich der 31 Jahre alte Zuwanderer aus dem Irak, der jetzt in Fußfesseln aus der U-Haft dem Schöffengericht in Brilon vorgeführt wurde, wegen der zu erwartenden höheren Strafe vor dem Landgericht in Arnsberg verantworten.
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Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft zunächst auch in dieser Richtung Anklage erheben wollen. Doch im Zuge der Ermittlungen, so Staatsanwalt Klaus Neulken, sei man zu der Einschätzung gekommen, dass der 31-Jährige eine etwaige Tötungsabsicht von sich aus aufgegeben und von seinem Opfer abgelassen habe.
Verfahren an das Landgericht abgeben?
Doch war das wirklich so? Michael Neumann, Vorsitzender Richter des Schöffengerichts Brilon, jedenfalls hielt es nach der Vernehmung des Opfers „für gut möglich“, dass der Angeklagte „doch nicht ganz freiwillig“ von seiner Tat zurückgetreten sei.
Unstreitig ist: Der 31-jährige Iraker hat dem jungen Syrer an Schulter und Oberarm mehrere leichte Schnitt- und Stichverletzungen zugefügt. Das gibt der Angeklagte sogar zu. Doch gegensätzlicher als die Schilderungen von Opfer und Angeklagtem, wie sich der Vorfall abgespielt hat, können Aussagen nicht sein.
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Die Version des Angeklagten: Der Syrer habe ihn an jenem Abend mit dem Spruch „Hast Du keine Eier?“ provoziert, gegen einen Baum geschubst und gewürgt. Da habe er ein, so übersetzte es der Dolmetscher, etwa bleistiftlanges „angespitzes Eisenstück“, das er mal gefunden habe und mit dem er Bierflaschen - und auch schon mal seine Wohnungstür - öffnet aus der Tasche gezogen und damit in Selbstverteidigungsabsicht - „Ich hatte Angst. Ich wollte ihn loswerden.“ blindlings auf den Syrer eingeschlagen. Der habe ihn dann losgelassen und er sei weggerannt. Der Syrer sei ihm dann gefolgt. Was ihm aufgefallen war: Ein ihm unbekannter junger Deutscher mit blonden Haaren habe das Ganze mit dem Handy gefilmt.
In Vergangenheit mehrfach Zwischenfälle
Zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten hat es in der Vergangenheit mehrere Vorfälle gegeben, bei denen die Aussagen ebenso diametral entgegenstehen wie in dem Prozess.Einmal hat der Syrer den Iraker in dessen Wohnung aufgesucht. Der Iraker sagt, der Syrer sei bei ihm eingedrungen und habe ihn gewürgt. Der Syrer sagt, der Iraker habe ihn eingeladen, dann merkwürdigerweise die Tür hinter ihm abgeschlossen und dann sei er angegriffen worden.Vor einem Supermarkt in Olsberg soll der Syrer den Iraker mit einem Baseballschläger bedroht haben, andererseits soll der Iraker am Auto des Syrers eine Scheibe eingeschlagen haben.Zudem will der Iraker mehrfach von dem Syrer und dessen Angehörigen geschlagen worden sein.Über einen Rechtsanwalt hat er in drei Fällen Schmerzensgeldzahlungen über jeweils rund 15.000 Euro geltend gemacht.Der Iraker ist mehrfach wegen kleinerer Delikte verurteilt worden, gegen ihn ist aktuell am Landgericht Arnsberg eine Anklage wegen schweren Raubes anhängig, wie das Gericht der WP bestätigte.
Die Version des Opfers: Auf dem Rückweg von einem Einkauf in Olsberg zu seiner Wohnung in Bigge sei er in der Stadionstraße auf den Angeklagten gestoßen. Der Angeklagte habe ihn aufgefordert stehenzubleiben und ihn aggressiv aufgefordert - aber dazu später mehr - 15.000 Euro zu zahlen und vor Gericht für ihn auszusagen. Er sei jedoch weiter gegangen.
LKA soll Handy-Video finden
Auf einmal habe er gemerkt, dass ihm von hinten ein Bein gestellt wurde, gleichzeitig habe ihn der Angeklagte von hinten ans T-Shirt gezogen. Dann habe der Iraker auf ihn eingestochen, beim Blick über die rechte Schulter habe er ein Messer mit einem blauen Griff gesehen: „Er wollte mich im Nacken treffen.“ Er habe sich losreißen können und sei weggerannt, der Iraker hinter ihm her. Dabei habe der ihm nachgerufen „Du bist tot.“ Da er selbst aber wesentlich schneller sei, habe er einen so großen Vorsprung herausgeholt, dass er stehenbleiben und sein Handy herausnehmen konnte: „Ich wollte ihn filmen.“
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Als der Verfolger bis auf etwa acht bis zehn Meter heran gewesen sei, habe der das Handy wahrgenommen, gestoppt und kehrt gemacht. Worauf er seinerseits hinter ihm her lief. Warum er den Angeklagten denn nicht erwischt habe, da er ja doch wesentlich schneller sei, wollte Staatsanwalt Neulken wissen. „Ich wollte ihn ja gar nicht kriegen, nur filmen, als Beweis.“
Wegen Traumatisierung in Behandlung
Dem Gericht konnte der Syrer das Video allerdings nicht vorführen. Das habe er gelöscht, er habe sich den Vorfall nicht mehr ansehen können. Ja, selbst bei der Arbeit könne er es nicht ertragen, wenn jemand hinter ihm stehe. Deswegen befinde er sich in psychologischer Behandlung.
Was alle Seiten verwunderte: Als das Gericht erörterte, ob es möglich sei, das gelöschte Video durch IT-Spezialisten des Landeskriminalamtes wiederherzustellen und deshalb das Handy als Beweismittel zu beschlagnahmen, verweigerte der Syrer die Herausgabe rigoros. Er brauche das Handy, um Kontakt mit seiner Familie in Syrien zu halten. Letztlich ließ er sich darauf ein, das Smartphone zur Verfügung zu stellen, allerdings ohne die SIM-Karte. Die konnte er zum Telefonieren behalten
Der Prozess wird am 20. September fortgesetzt.