Olsberg. Die SPD in Olsberg will die Ratssitzungen bei Youtube und Co. live streamen. Das sorgt für Diskussionen - und scharfe Kritik vom Bürgermeister.
Live, in Farbe und überall auf der Welt im Internet zu sehen: Die SPD in Olsberg beantragt, öffentliche Ratssitzungen per Livestream im Internet zugänglich zu machen. Das stößt nicht nur auf rechtliche Hürden, sondern auch auf großen Unmut einiger Ratsmitglieder in der vergangenen Ratssitzung – allen voran Bürgermeister Wolfgang Fischer, der harsche Kritik äußert. Der Rat musste jetzt über einen Antrag der CDU entscheiden, die sich gegen das Livestreaming ausspricht.
Die SPD will mit ihrem Vorstoß für mehr Transparenz gegenüber den Bürgern sorgen: „Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie schnell sich das öffentliche Leben verändern kann. Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt waren daran gehindert an den Ratssitzungen als Zuhörer teilzunehmen, weil sie in Einrichtungen mit hohem Infektionsrisiko leben oder weil sie zu einer Risikogruppe gehören und sich diesem Risiko nicht aussetzen wollten“, heißt es in einem Schreiben von SPD-Fraktionsvorsitzendem Rudolf Przygoda. Die Digitalisierung zeige neue Teilnahmemöglichkeiten auf. Oft werde über das mangelnde Interesse der Bürger geklagt und ein Livestream biete die Möglichkeit, sich ein Bild von der Arbeit des Rates zu machen. „Vielleicht auch mit dem Effekt, dass sie zukünftig bereit sind, in politischen Gremien ehrenamtlich tätig zu sein.“ In der vergangenen Ratssitzung knüpft Rudolf Przygoda an sein Schreiben an mit der Anregung, sich mit der Stadt Menden in Verbindung zu setzen, die ihre Sitzungen schon live im Netz streamen würden.
Rechtliche Hürden müssten gestemmt werden
Simon Sabinarz, CDU-Fraktionsmitglied, äußert ausführliche Bedenken zu einem Livestream. In einem langen Statement präsentiert er seine Recherchen zu den rechtlichen Hintergründen des SPD-Vorstoßes: „Die Gemeindeordnung gestattet, dass Bürger und Medienvertreter im öffentlichen Teil der Ratssitzung anwesend sein dürfen. Sie thematisiert aber in keiner Hinsicht eine Übertragung, die weltweit abrufbar ist. Ist das informelle Interesse der Bürger unserem informellen Recht auf Selbstbestimmung übergeordnet?“ Simon Sabinarz betont, dass es rechtliche Hürden zu stemmen gäbe. So müsse jede beteiligte Person – „Zuschauer, Medienvertreter, Bürgermeister und Verwaltungsmitglieder“ – ihre Einwilligung zur Übertragung geben. „Vor jeder Ratssitzung. Das führt zu erheblichen Verzögerungen. Geschieht dies nicht, muss der Livestream an der Stelle unterbrochen werden, wenn jemand spricht, der seine Einwilligung nicht gegeben hat. Kameraschwenks sind dann nicht möglich, damit nicht aus Versehen ungewollte Aufnahmen gesendet werden. Und wie attraktiv ist ein Livestream mit Unterbrechungen für unsere Bürger?“, fragt Simon Sabinarz in die Runde.
Ratssitzungen in Bonn und München schon live
Bisher würden Ratssitzungen in Bonn, München aber auch in Menden live ins Netz übertragen. Simon Sabinarz hat recherchiert: „In München leben 15 Millionen Einwohner, nur 1000 Menschen schauen diesen Livestream. In Bonn sind es 250 aktive Zuschauer von 3000.000 Einwohnern.“ Er stellt infrage, ob die Kosten für die Anschaffung der benötigten Technik, die sich auf rund 8000 Euro belaufen könnten, im Verhältnis zu dem Interesse der Bürger stehen würden. Nicht nur weist das CDU-Mitglied auf die Verantwortung der Stadt Olsberg hin: „Die Stadt Olsberg wäre die verantwortliche Instanz und müsste Sorge für den Datenschutz tragen. Die Stadt Rostock verklagte Personen, die die Aufnahmen aus dem Stadtrat missbräuchlich weiterverbreitet haben.“ Simon Sabinarz betont zudem, dass „der beste Trainer im Fußball immer noch auf der Couch sitzt“ und man befürchten müsse, in Sozialen Medien an den Pranger gestellt zu werden. So könnten viele nicht mehr ungezwungen ihre Meinung sagen. „Wir haben uns ehrenamtlich dazu entschieden im Rat mitzuwirken -aber nicht so. Wir sind gegen das Livestreaming der Ratssitzung.“
Bürgermeister Wolfgang Fischer ergänzt: „Hier darf sich jeder zu Wort melden und weiß, dass er nicht wegen eines Verhasplers ausgelacht wird. Das ist anders, wenn dieser ein Leben lang im Netz dokumentiert ist.“
Diskussion im Rat wird schärfer
Es folgen Gegenargumente - für den Livestream: „Ratssitzungen um 17 Uhr liegen in der Arbeitszeit vieler Menschen, die können nicht an den Sitzungen teilhaben.“ Und: „Die Wege sind für manche einfach zu weit, wenn der Rat in Olsberg stattfindet.“ Die Technik könne doch Vereinen zur Verfügung gestellt werden - zum Vogelschießen zum Beispiel.
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„Aber sie müssten jeden fragen, der hier teilnimmt. Sie müssten auch Architekturbüro-Mitarbeiter fragen, ob sie einverstanden sind. Sie müssen auch mich fragen, ob ich einverstanden bin“, entgegnet Wolfgang Fischer. „Insbesondere in Corona-Zeiten ist es wichtig, Bürger teilhaben zu lassen, um für Transparenz und Vertrauen zu sorgen“, argumentiert Steffen Malessa, Bündnis/GRÜNE zuletzt dagegen. Zugleich sieht er ein, dass die Kosten hoch seien und schlägt stattdessen einen Podcast vor.
Bürgermeister will Zustimmung verweigern
Wolfgang Fischer weist diese Vorschläge in der Diskussion strikt von sich: „Auch ein Podcast muss geprüft werden und ich sage Ihnen jetzt, wenn Sie mich nach meiner Einwilligung fragen, dann werde ich dem nicht zustimmen.“ Im Rat wird Gelächter und Schnauben laut, das Wolfgang Fischer direkt unterbricht: „Da können sie sich über meine Entscheidung amüsieren. Aber das behindert unsere Ratsarbeit dauerhaft.“ Es gebe viele neue Formen der Kommunikation und aber was im Netz lande, das bleibe für immer dort. „Viele werden damit nicht glücklich. Ich fühle mich in meinem Persönlichkeitsrecht eingeschränkt, da geht etwas an Spontanität verloren. Ich stimme dem nicht zu – und dann kann man es fast schon vergessen“, sagt er in Anspielung auf die Beiträge, die ohne Einwilligung geschwärzt werden müssten. Schlussendlich entscheidet der Rat, dem Antrag der CDU zuzustimmen, einen Livestream nicht anzubieten.