Brilon. Martina Schmidt will Lehrern mit ihrem Podcast mehr Selbstfürsorge nahebringen. Denn: Lehrer sein bringt einen „Wahnsinnsalltag“, sagt sie.
Der Lehrerberuf ist mit vielen Vorurteilen belastet. Viele glauben, dass Lehrer nur ein paar wenige Stunden am Tag arbeiten und sechs Wochen im Sommer Urlaub machen können. Falsch gedacht. Martina Schmidt, selbst Lehrerin in Brilon und als freiberufliche Resilienztrainerin und Coach tätig, räumt mit diesem Vorurteil auf und erklärt, welcher Belastung Lehrkräfte im Alltag ausgesetzt sind. Mit ihrem Podcast „die kleine Pause“ will sie Kolleginnen und Kollegen dazu anregen, mehr Selbstfürsorge in den Arbeitstag zu integrieren.
Frau Schmidt, wie sind Sie darauf gekommen, einen Podcast für Lehrkräfte ins Leben zu rufen?
Martina Schmidt: Ich bin schon immer ein riesengroßer Podcast-Fan, für mich ist das ein unheimlich schönes Medium. Ich habe mich dazu entschlossen, in meinem Podcast Lehrern Tipps zu geben, wie sie im Alltag gesund bleiben können. Ich bin seit 25 Jahren Grundschullehrerin, habe viele andere Schulen kennengelernt und bin in der Lehrkräfteausbildung und -fortbildung tätig. Ich hatte immer den Eindruck, dass mein Stressempfinden in diesem Beruf privat ist, aber an Kollegen habe ich gemerkt, dass es weit verbreitet ist. Der erste Satz den ich zur Begrüßung an Schulen höre ist fast immer: „Hallo, wir sind gerade im Ausnahmezustand.“
Lehrerin aus Brilon startet Podcast, um zu helfen
Und daraus ergab sich dann die Idee, einen Podcast mit Strategien für ein leichteres Lehrerleben zu machen?
Ich habe für mich viele Wege gefunden, wie ich mit diesem Stressempfinden umgehen kann und irgendwann habe ich gedacht, dass muss raus in die Welt. Lehrerin sein, das ist so, als ob dir jemand 100 Bälle zuwirft und sagt: Fang sie alle! Denn Lehrer zu sein bedeutet, dass man in der Mitte steht und ungefähr 100 Bälle fangen muss – auf einmal. Es ist ein Wahnsinnsalltag.
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Was denken Sie sind die Hauptgründe, dass das Lehrer-Dasein so anstrengend ist?
Da muss man zwei Gründe unterscheiden. Zum einen ist da der Alltag. Man ist für den Unterricht verantwortlich. Wir haben große Klassen mit wenig Lehrkräften zu besetzen. Im Alltag ist es kaum möglich eine Pause zu machen. Man läuft von einer Stunde zur nächsten und in den Pausen erfolgt die Pausenaufsicht. Es ist belegt, dass das Stresslevel von Lehrern in den Pausen noch einmal ansteigt, denn in den Pausen spielt sich auch sehr viel ab. Man muss Unterlagen kopieren, Vertretungspläne absprechen, den Raum vorbereiten. Und dann der Unterricht: in allein einer Stunde treffen Lehrer 200 Entscheidungen. Sie sind in ständiger Interaktion und haben dabei eine große Verantwortung. Sie brauchen eine hohe Resilienz.
Das System bringt den Stress in die Schulen, so die Lehrerin aus Brilon
Und was ist der zweite Hauptgrund für den Stress?
Das System. Zum einen herrscht Lehrkräftemangel, auf der anderen Seite steigen aber stetig die Anforderungen an die Lehrkräfte. Inklusion beispielsweise oder die Corona-Maßnahmen. Neue Lehrpläne müssen in Konzepte gepackt werden – das läuft alles im Hintergrund zum normalen Alltag. Und die Digitalisierung sorgt dafür, dass Lehrer sich stets fortbilden müssen. Das sind wesentliche Aufgaben, die dazukommen. Ein weiterer Belastungsfaktor ist die entgrenzte Arbeitszeit. Im Lehrberuf ist es schwer, Freizeit und Arbeitszeit voneinander abzugrenzen.
Das klingt anstrengend.
Es braucht dazu die Fähigkeit, gut auf sich selbst zu achten. Guter Unterricht gelingt nur mit gesunden Lehrern. Selbstfürsorge ist ein wichtiger Baustein dafür, aber auch die Selbstorganisation und das Lernen, Grenzen zu setzen.
Viele Menschen glauben, das Lehrer-Dasein sei entspannt und im Sommer hat man sechs Wochen Urlaub. Was entgegnen Sie diesen Vorurteilen?
Durch die Pandemie wurden viele Vorurteile aufgeweicht, das merkt man durch die Rückmeldungen der Eltern. Sie haben im Homeschooling gemerkt, wie schwer es ist, Inhalte an Kinder zu vermitteln. Was die Ferien angeht: Viele Menschen haben keinen Einblick in manche Tätigkeitsbereiche und wissen gar nicht, dass wir beispielsweise in den Sommerferien trotzdem Präsenztermine in der Schule wahrnehmen müssen, um Konzepte zu erarbeiten oder das neue Schuljahr vorzubereiten.
Coaching und Workshops bietet sie nicht nur an Schulen im HSK
Sie wollen Lehrkräfte mit Ihrem Angebot also dabei unterstützen, mit mehr Gelassenheit und guter Laune durch den Schulalltag zu gehen.
Genau, mein Angebot heißt „die kleine Pause“. Die Idee dahinter ist, eben diese effektiv in den Alltag einzubauen. Es ist wichtig, mit machbaren kleinen Schritten anzufangen und ein paar Minuten zu schaffen, in denen ich etwas für mich tue. Kleine Pausen sind überall machbar und können effektiv sein. Neben meinem Podcast biete ich Workshops für Schulen und in privates Coaching an. Dort vermittle ich einfache und wirksame Strategien für einen entspannteren Schulalltag. Dazu gehören neben den Themen der Achtsamkeit und Resilienzstärkung auch konkrete Tipps für Zeitmanagement.
Wie sind denn die Rückmeldungen zu Ihrem Podcast?
Das Feedback ist sehr gut, es gibt viele treue Zuhörer und Zuhörerinnen, die mir ihre Themenwünsche schicken. In meinem Podcast interviewe ich Expertinnen und Experten und lade auch Lehrkräfte ein, die von ihren Alltagserfahrungen berichten.
Wir haben viel über die Schattenseiten des Lehrerberufs geredet. Was ist denn das Schöne daran?
Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten. Es ist wunderschön, in anderen Menschen Stärken zu entdecken und ihnen diese bewusst und sie damit fit für die Zukunft zu machen. Bildung bedeutet, Menschen mit den Anforderungen vertraut zu machen, mit denen sie in der Zukunft umgehen müssen. Wir geben ihnen die Ressourcen – das ist wie eine Blume, die man gießt und der man beim Wachsen zuschaut. Ein lohnender Beruf.
Martina Schmidt ist seit 25 Jahren Grundschullehrerin und derzeit tätig in der Lehrkräftefortbildung der Bezirksregierung Arnsberg. Resilienztraining gehört ebenso zu ihrem Repertoire wie Workshops für Schulen und Online-Coaching. Ihr vollständiges Angebot ist unter www.diekleinepause.de zu finden