Brilon/Marsberg. Eigentlich wollte der Kreistag in Brilon nur seine Stellungnahme für das Anhörungsverfahren verabschieden. Aber dann platzte einigen der Kragen.

Das Landes-Umweltministerium soll das Verfahren zur Ausweisung des Vogelschutzgebietes Brilon-Marsberg aufheben. Einen entsprechenden Antrag der SPD hat der HSK-Kreistag mit Mehrheit beschlossen. In der Sitzung am Freitagnachmittag in der Briloner Schützenhalle war dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Reinhard Brüggemann (Eversberg), der Kragen geplatzt, als der Brief aus Brüssel zur Sprache kam, in dem die EU-Kommission dem Verein für Natur und Vogelschutz im HSK (VNV) mit Datum vom 10. Januar 2020 mitgeteilt hatte, „keine ausreichende Grundlage“ zu haben, die Ausweisung eines solchen Gebietes zu verlangen. Begründung: Die Bundesrepublik habe für die erwähnten Arten bereits „allgemein … ausreichende Vogelschutzgebiete“ ausgewiesen.

Erst Anfang Juni hatte, wie berichtet, Brilons Bürgermeister Dr. Christof Bartsch von dem Schreiben erfahren, es unmittelbar der Politik zur Kenntnis gegeben und sich an Düsseldorf gewandt. Und auch im Kreistag, so der Vorsitzende der Briloner CDU-Ratsfraktion, Eberhard Fisch, gleichzeitig stv. Vorsitzender der Kreistagsfraktion, habe das Vorenthalten des Briefes „blankes Entsetzen“ hervorgerufen.

Von Vertragsverletzungsverfahren keine Rede

Gegenüber der WP räumte SPD-Fraktionssprecher Reinhard Brüggemann ein, dass es ihn „sehr geärgert“, dass von Seiten des VNV, des Landesamtes für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz (LANUV) sowie der Bezirksregierung seit Bekanntwerden des Verfahrens im November vergangenen Jahres der Eindruck erweckt worden sei, als ob der Bundesrepublik ein EU-Vertragsverletzungsverfahren drohe, sollte dem Antrag des VNV nicht stattgegeben werden.

Dei rot schraffierten Bereich schlägt das LANUV als Vogelschutzgebiet vor. Es handelt sich um rund 120 Quadratkilometer. Der VNV hatte ursprünglich rund 280 Quadratkilometer beantragt.
Dei rot schraffierten Bereich schlägt das LANUV als Vogelschutzgebiet vor. Es handelt sich um rund 120 Quadratkilometer. Der VNV hatte ursprünglich rund 280 Quadratkilometer beantragt. © WP Brilon | Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW

Dabei, so Brüggemann, bestätigte Brüssel der Bundesrepublik mit dem Brief doch genau das Gegenteil, nämlich bereits für den Schutz der in der Kartierung aufgeführten Arten, „genug getan“ zu haben. Das Verfahren erinnere ihn an die spätmittelalterliche Inquisition, wo „wir nur noch die Temperatur des Feuers wählen“ können. Brüggemann wie auch Eberhard Fisch verwiesen darauf, dass ein Vogelschutzgebiet in diesem Bereich mit anderen Zielvorgaben der Landesplanung kollidiere. Zum Beispiel mit den Klimazielen. So weist der Energieatlas für das Jahr 2019 bei der Windkraft einen ertrag von 276.487 MWh aus, das war mehr als die Hälfte des kreisweiten Windstromaufkommens, das bei 490,308 MWh lag. Viele der 62 im Stadtgebiet von Brilon installierten Windräder, so heißt es, lägen innerhalb der vom LANUV ausgewiesenen Flächen für das Vogelschutzgebiet.

Genehmigungsverfahren für Windrad im Goldbachtal ruht

Das angelaufene Ausweisungsverfahren wirkt wie eine Veränderungssperre. Innerhalb der geplanten Schutzzonen dürfen keine neuen Windräder errichtet und auch keine alten repowert werden. Worauf etwa jene Investoren-Gruppe, die - wie berichtet - im Goldbachtal bei Scharfenberg ein weiteres Windrad errichten will, das Genehmigungsverfahren gestoppt und die Kreisverwaltung gebeten hat, die Entscheidung zurückzustellen. Dem der HSK auch folgte.

Anhörungsverfahren

Die Bezirksregierung Arnsberg weist daraufhin, dass noch bis zum 30. Juni die Möglichkeit besteht, im Rahmen des Anhörungsverfahrens Anregungen und Bedenken zum EU-Vogelschutzgebiet „Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg“ - so der offizielle Name - zu äußern. Die Unterlagen können u.a. in den Rathäusern Brilon, Marsberg und Olsberg eingesehen werden.Anregungen und Einwendungen werden unter E-Mail-Adresse AnhoerungVogelschutzgebiet@bra.nrw.de entgegengenommen.Die Internetseite www.bra.nrw.de/4869465 mit allen Informationen wird auch über den 30. Juni hinaus noch einige Monate abrufbar sein.

Wie berichtet, haben die Investoren die Windkraftplanung der Stadt Brilon vor dem Oberverwaltungsgericht erfolgreich ausgehebelt, weil ihre Anlage sich nicht innerhalb der Windvorrangzonen befand. Bis zum Aufploppen des Vogelschutzgebietes hatte der HSK keine Handhabe, den Investoren die Genehmigung zu versagen. Das sieht bei dem jetzigen Status als „faktisches Vogelschutzgebiet“ anders anders. Sorgen haben auch die Steinbruch-Betreiber. Während nördlich der B7 zwischen Brilon und Marsberg große zusammenhängende Flächen als Schutzgebiete für Raubwürger, Grauspecht und Neuntöter ausgewiesen sind, ist die Zone südlich der B7 mit zahlreichen kleineren Schutzgebieten übersprenkelt.

Das Problem: Schutzzone ist nicht nur das festgelegte Schutzbereich, sondern auch der darum herumliegende Bereich von 300 Metern. Im Briloner Strukturausschuss war schon zur Sprache gekommen, einen derartigen Abstand von den Betrieben aus zu ziehen.

SBL: Verhinderungs-Stellungnahme

Sowohl die Räte von Brilon und Marsberg wie auch jetzt der Kreistag haben in jeweils mehrheitlich verabschiedeten Stellungnahmen der Ausweisung des Vogelschutzgebietes bekanntlich widersprochen. Zum einen, weil ihrer Meinung nach nicht der VNV die Kartierung, also die ornithologischen Grunddaten, beschaffen dürfe, sondern dies Aufgabe des LANUV sei und zum anderen, weil der VNV nach wie vor nicht bereit ist, seine Quelldaten und die Qualifikation der ehrenamtlichen Vogelbeobachter offenzulegen.

Die Sauerländer Bürgerliste (SBL) hatte den Antrag gestellt, auf eine Stellungnahme seitens des HSK zu verzichten, weil die „offensichtlich das Ziel“ habe, das Vogelschutzgebiet zu verhindern. Außerdem liefen die Zweifel an dem rechtsstaatlichen Verfahren ins Leere, weil dem LANUV laut Landesnaturschutzgesetz zwar die „Ermittlung“ eines Vogelschutzgebietes übertragen sei, „nicht aber die Beschaffung von Informationen, die zur Ermittlung der Gebiete führen“.