Brilon. Das Elternhaus von Andrea Haase wird bei der Flutkatastrophe überschwemmt. Mit Sandra Finger verkauft sie jetzt Flutwein bei Brilon bei Nacht.

Schön ist es nicht mehr, das Etikett der Weinflasche. Vergilbt, vertrocknet, so gerade noch zu lesen. Also alt? Nein, selten und geflutet! Am Freitag, 29. Oktober, verkaufen die Brilonerinnen Andrea Haase und Sandra Finger bei Brilon bei Nacht ganz besonderen Flutwein aus dem Weingebiet an der Ahr. Ein Herzensprojekt besonders für die gebürtiger Heimerzheimerin Andrea Haase, die im Juli nur 30 Kilometer von der Ahr entfernt miterleben musste, wie ihr eigenes Elternhaus geflutet wurde. Von der Swist.

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Fluss im Wohnzimmer

Hier gibt es den Flutwein

Ob als Zeitzeugnis oder für den Gaumen: Der Wein wird für 8,50 Euro die Flasche am Freitag auf dem Marktplatz neben dem Haus Hövener verkauft. Es handelt sich insgesamt um eine Mischkalkulation, die eigentlichen Werte der Flaschen, wären sie normal verkauft worden, liegen bei 7 bis 15 Euro.„Wir haben Rotwein, Weißwein und Rosé und er ist echt lecker“, so Andrea Haase. Fast alle Etiketten sind noch lesbar, aber teils vom Papier her sehr angegriffen. Der Käufer kann selbst aus der Gitterbox auswählen, sich überraschen lassen (ohne Etikett) oder nach Sorten kaufen. Und: Flaschen können über Flutwein@kammler.de (vor-)bestellt werden, solange der Vorrat reicht.

„Unser Haus säuft ab, wir sind schon auf dem Dach“: Diese Nachricht ihrer Mutter, die sie abends auf einem Campingplatz im Urlaub in Frankreich erreicht, vergisst Andrea Haase nie. „Wir haben uns am nächsten Morgen sofort auf den Weg gemacht, uns mit Gummistiefeln, Stromaggregat und Kärcher versorgt und sind nach Swisttal-Heimerzheim gefahren.“

Wie sie dort ihr Elternhaus vorfanden, darüber kann sie erst jetzt mit dem Abstand gut sprechen und vor allem mit dem guten Gefühl, dass ihr Vater zum Glück eine Elementarversicherung abgeschlossen hatte und das Haus gerade saniert wird: „Es sah alles so unwirklich aus, Stühle Schränke, Bilder und Geschirr lagen im brauen Schlammwasser kreuz und quer in den Räumen verteilt. Das Wasser stand 1,80 Meter hoch in der ersten Etage, im Keller hatten wir neun Tonnen Schlamm. Nur die obere Etage mit den Schlafzimmern war zum Glück nicht betroffen.“ Was passiert war? Der extreme Niederschlag und das ablaufende Wasser der Steinbachtalsperre verwandelten den kleinen Swist-Bach, an dem Haases Eltern in zweiter Reihe wohnen, in einen reißenden Fluss. Hochwasser und überflutete Keller kannten die Heimerzheimer, „jedes Haus war ausgerüstet mit mehreren Pumpensystemen“

Eingang zum Haus der Haases in Heimerzheim.
Eingang zum Haus der Haases in Heimerzheim. © Andrea Haase | Andrea Haase

„Meine Eltern wurden vom Balkon unter dem Dach aus gerettet und sie konnten zum Glück im Haus meiner Schwester unterkommen, das nur zwei Kilometer entfernt liegt. Sie ist zurzeit in den USA.“ Zwei Wochen lang hat die dreifache Mutter dann mit ihrem Mann und ihrem Sohn „das gesamte Leben meiner Eltern quasi auf den Sperrmüll auf die Straße geschmissen. Alles war öl- und schlammverschmiert. Wir haben meine Eltern erst nach dem Aufräumen in das Haus gelassen, der Anblick wäre für sie zu viel gewesen. Aber auch für mich war es hart. Meine Kindheits-Erinnerungsstücke sind weg, auch die Wiege, in der alle unsere Kinder gelegen haben. Es bleibt mir ein persönliches Erinnerungsglas, in das ich ein paar Gegenstände gesteckt habe, die ich im Schlamm gefunden habe.“

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Mittendrin

Sie konnte, anders als alle Heimerzheimer nach zwei Wochen wieder ins Sauerland fahren und Abstand gewinnen. „Alle anderen sehen das ja weiter jeden Tag, sie bleiben mittendrin, auch wenn sie im Hotel wohnen.“ Haase ist aber auch überwältigt von der Hilfsaktion, die sie erlebt hat. „Es kamen Studenten aus Köln, die vor der Tür standen und fragten, ob sie helfen können. Hunderte von Menschen haben geholfen. Erst dabei, den Schlamm aus dem Haus zu schaffen und uns mit Essen und Getränken zu versorgen. Dann kamen täglich noch mehr Helfer und schnell wurde mein Elternhaus zur Zentrale, von der aus wir sie zu den Nachbarhäusern verteilt haben.“ Es gab keinen Strom, kein Trinkwasser aus dem Hahn, „wir haben wie in einem Katastrophengebiet gelebt. Es waren beeindruckende zwei Wochen und als ich wieder in Brilon war, habe ich Spenden von Freunden und Kollegen gesammelt, die ich in der Nachbarschaft meiner Eltern verteilt habe.“ Zum Beispiel an eine Familie nebenan, deren Haus abgerissen wird und die neu bauen wollen.“

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Im Ahrtal

Wie schlimm es im nur 30 Kilometer entfernten Ahrtal aussah, entnahm Andrea Haase erstmal nur den Medien. Als sie aber vom Flutwein erfuhr, den ein Start-Up-Unternehmen nun als Hilfe für die Winzer vermarktet, kam ihr eine Idee: „Ich habe selbst einen Eimer von meinen Eltern aus dem Keller verwahrt, als Zeitzeugnis. Als Kunstlehrerin sehe ich auch die Flaschen als Kunstobjekt. Eine Gitterbox wie unsere steht auch im Haus der Geschichte in Bonn. Was aber die Käufer damit machen, das entscheiden sie selbst.“ Über eine alte Schulfreundin stieß sie auf die Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr, die älteste der Welt. „Fahrt nicht ins Ahrtal, da wird man nicht mehr gut“, hatte man ihr in ihrer alten Heimat geraten. Sie fuhr trotzdem hin und war entsetzt. Es wirkte auf mich wie die Kulisse eines Katastrophenfilms. Von Dernau ins Ahrtal runter sah es jetzt im Herbst noch aus, wie wir es in Heimerzheim im Juli erlebt haben“. Auch das Gebäude mit Weinkeller und Lagerhallen der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr sowie die angrenzende Gastronomie sind stark in Mitleidenschaft gezogen. Und darum möchten Andrea Haase und Sandra Finger sie nun an möglichst viele Menschen verkaufen.

„Wir schenken unsere Zeit und wollen, dass möglichst viel Geld im Ahrtal ankommt“, betont Andrea Haase. „Alle Einnahmen gehen an die Winzergenossenschaft.“