Berlin. Giftige Blumen und Pflanzen können schwere gesundheitliche Schäden verursachen, wenn Kinder sie essen. So reagieren Eltern richtig.
Die Blüten sind bunt und anziehend, bei vielen Pflanzen reifen langsam die Samen und Beeren heran. Sie sehen harmlos aus, können aber für den Menschen giftig sein. Andere Pflanzen sehen Essbarem zum Verwechseln ähnlich.
„Das Problem ist, dass die Menschen sich immer weniger auskennen in der Natur“, erklärt Gesine Liebetrau, stellvertretende Leiterin des Gemeinsamen Giftinformationszentrums der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – kurz GGIZ.
Giftige Pflanzen: Erbsen wachsen nicht am Baum
„Aber gerade Erwachsene werden andererseits immer mutiger, irgendwas zu ernten, was sie eigentlich gar nicht genau kennen.“ Erst kürzlich habe es eine Anfrage zu wilden Erbsen gegeben. Doch wilde Erbsen gibt es nicht. Sie wachsen tatsächlich nur im Garten.
„Alles andere, was so aussieht, gehört zwar zur Pflanzenfamilie, kann aber unter Umständen richtig giftig sein“, sagt Liebetrau. „Das wäre zum Beispiel der Goldregen.“ Nicht zu wissen, dass Erbsen nicht am Baum wachsen, sei typisch für die moderne Zeit.
Risiko für Vergiftung bei kleinen Kindern am größten
In einer Studie aus dem Jahr 2019 hat Maren Hermanns-Clausen, Leiterin der Vergiftungs-Informations-Zentrale Freiburg, gemeinsam mit Kolleginnen Daten aus zwei deutschen Giftinformationszentren zu Expositionen mit Pflanzen im Garten und aus der freien Natur ausgewertet.
Insgesamt wurden hier über einen Zeitraum von 16 Jahren etwas über 42.000 gesicherte, unbeabsichtigte Fälle dokumentiert, in denen Menschen potenziell giftigen Pflanzen ausgesetzt waren. „Hier waren alle Altersklassen dabei“, sagt Hermanns-Clausen.
„Aber im Median lag das Alter bei zwei Jahren, also bei jungen Kleinkindern.“ Insgesamt, erklärt die Internistin, seien 91 Prozent der Betroffenen Kinder gewesen. Gerade bei den ganz Kleinen – ab einem Alter von etwa sechs Monaten – sei also ein besonders wachsames Auge wichtig, betonen die Expertinnen.
Nur selten schwer verlaufende Vergiftungen
Gleichzeitig sei es wichtig, Kinder schon früh an einen verantwortungsvollen Umgang mit Pflanzen heranzuführen und ihnen die Gefahren zu erklären.
Doch Hermanns-Clausen beruhigt auch: „Nur in seltenen Fällen, bei 1,4 Prozent, wurden mittelschwere Symptome berichtet“, so die Ärztin. „Und bei unserer Auswertung gab es überhaupt nur drei schwer verlaufende Vergiftungen. Das waren alles Erwachsene, die etwas verwechselt und dann eine größere Menge gegessen hatten.“
Eine Vergiftung mit Eisenhut ist lebensbedrohlich
Ganz typisch seien beispielsweise Verwechslungen mit Eisenhut, welcher versehentlich statt Petersilie oder Maggikraut gegessen werde. Es komme dann zu einem Brennen und Kribbeln im Mund, beschreibt Hermanns-Clausen typische Symptome einer Eisenhut-Vergiftung.
Dieses könne sich über den ganzen Körper ausbreiten. Hinzu kämen Bauchbeschwerden, Erbrechen, dünne Stühle und Herzrhythmusstörungen, die zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen könnten.
Die Liste der Verwechslungen ist lang: Hermanns-Clausen weiß von Fällen, in denen Blattspinat oder Sauerampfer mit Aronstabblättern verwechselt wurde. Oder statt Borretsch wurde Fingerhut erwischt.
Herbstzeitlose: Verwechslung mit Bärlauch
„Typisch für’s Frühjahr sind auch Bärlauchsammler, die sich nicht gut auskennen und dann entweder Maiglöckchen oder im noch schlimmeren Fall Herbstzeitlose essen“, ergänzt Liebetrau. „Da kann eine Verwechslung richtig gefährlich werden.“
Herbstzeitlose blüht erst im Herbst und sieht aus wie ein Krokus. Im Frühjahr sind nur die Blätter zu sehen. Die Pflanze verursache schwerste Symptome an allen Organen des Körpers, so Liebetrau. Letztendlich könne man am Organversagen sterben.
Elf Pflanzen sind für Kinder besonders gefährlich
Für Kinder seien insbesondere elf Pflanzen gefährlich, da sie schon bei Exposition mit geringen Mengen schwere, potenziell lebensbedrohliche Vergiftungen auslösen können. „Dazu gehört eine der giftigsten Pflanzen bei uns in Europa: der Eisenhut“, so Hermanns-Clausen. „Und dazu gehört ebenfalls die Herbstzeitlose.“
Außerdem auf der Liste: Schwarzes Bilsenkraut, Tollkirsche, Wunderbaum und Stechapfel, Ruhmeskrone, Weißer Germer, der Gefleckte und der Wasserschierling sowie die Engelstrompete – Letztere gerne als Kübelpflanze auf der Terrasse. Auch interessant: Worauf Eltern und Kinder beim Trampolin achten sollten
Engelstrompete verursacht einen heftigen Rausch
„Es kommt vor, dass experimentierfreudige Jugendliche im Internet gelesen haben, dass Engelstrompete high macht“, so Liebetrau. Das werde dann natürlich ausprobiert.
„Und die Pflanze macht tatsächlich einen heftigen Rausch mit starken Halluzinationen“, erklärt die Humantoxikologin, die auch für die Gesellschaft für Klinische Toxikologie tätig ist. Unter Umständen sei das richtig gefährlich. Es kommt zu Notarzteinsätzen, die vermeidbar wären.
Erbrechen kann schlimmer sein, als das Gift
Gäbe es den Verdacht, dass man selbst oder ein Kind etwas Giftiges zu sich genommen habe, gelte es, Ruhe zu bewahren, so die Expertinnen.
„Erbrechen auslösen ist ein alter Hut, wird nicht mehr empfohlen, weil oft durch das ausgelöste Erbrechen im Zweifel mehr passieren kann als durch das, was verschluckt wurde“, so Liebetrau. Ein wenig zu trinken sei gut, aber nicht zu viel, auch keine Milch. Auch Aktivkohle zur Entgiftung solle nur in Absprache mit einem Arzt eingenommen werden.
Haut mit Wasser und Seife abwaschen
Wenn bei Wolfsmilch-Gewächsen wie der Walzenwolfsmilch Pflanzensaft auf die Haut oder gar ins Auge gelangt, sei das Allerwichtigste, die Haut mit Wasser und Seife abzuwaschen und gegebenenfalls das Auge mit Wasser zu spülen, so Hermanns-Clausen. „Und zwar ausreichend und bevor ich irgendetwas anderes tue.“
Wenn Kinder mit der Herkulesstaude gespielt hätten, könne es zu einer Hautentzündung mit Blasenbildung kommen. „Hier ist es sehr wichtig, dass die Haut für einige Tage vor Sonneneinstrahlung geschützt wird“, betont die Internistin.
Giftinformationszentrum oder Notruf anrufen
Bei Unsicherheiten das Internet zu befragen, davon rät Liebetrau explizit ab. Wenn es zu Unfällen mit Giftpflanzen gekommen ist, solle man lieber gleich eines der Giftinformationszentren anrufen und bei schweren Symptomen den Notarzt.
Wichtig sei zudem, dass man wisse, wie die Pflanze heiße. „Es hilft uns nicht weiter, wenn jemand bei uns anruft und sagt, das eigene Kind habe ein Blatt von einem Strauch gegessen, das Blatt sei grün und, naja, blattförmig“, betont Liebetrau.
Dies mag absurd klingen, sei aber tatsächlich so vorgekommen. Sie rät, die gegessene oder berührte Pflanze zu fotografieren und im besten Falle sogar ein Stück der Pflanze aufzuheben. Lesen Sie hier: Badeunfälle: Wie man Menschen vor dem Ertrinken rettet
Hier gibt es Hilfe bei Verdacht auf Vergiftung
In Deutschland gibt es acht Giftinformationszentralen, die 24 Stunden telefonisch beraten. Bei lebensbedrohlichen Symptomen wie Bewusstlosigkeit oder Krampfanfällen sollte direkt die Notrufnummer 112 gewählt werden.
Es gibt keine einheitliche Rufnummer für den Giftnotruf – bis auf eine Ausnahme sind diese aber bundesweit mit entsprechender Vorwahl unter der Nummer 19 24 0 zu erreichen. Im Fall der Fälle kann jede Giftinformationszentrale angerufen werden:
- Berlin 030/19240
- Bonn 0228/19240
- Erfurt 0361/730 730
- Freiburg 0761/19240
- Göttingen 0551/19240
- Homburg/Saar 06841/19240
- Mainz 06131/19240
- München 089/19240
Dieser Artikel erschien zuerst am 2.8.2020