Essen. In der Doku-Serie „Millennial Punk“ blicken Die Toten Hosen, Broilers, Donots und viele mehr auf ihre Subkultur im neuen Jahrtausend.
Punk ist tot?! Diesen ältesten aller alten Hüte räumt ein alter Fernsehausschnitt von 1981 schon zu Beginn souverän ab: „1978 war der Punk schon tot. Gerade am Anfang war es vielleicht noch gut. Aber das ist jetzt reines Rumposen“, gibt ein junger deutscher Punk dort zu Protokoll. Wer genau die Poser sind, bleibt unklar, aber deutlich wird: Punk für tot zu erklären, gehörte früh zur Genre-Folklore – und wirkte in seinem krampfigen Bemühen um Abgrenzung schon damals albern.
Wie lebendig die musikalische Subkultur Punk tatsächlich auch im nicht mehr ganz so neuen Jahrtausend noch ist, will ein Film-Team um Diana Ringelsiep und Felix Bundschuh (Drehbuch und Regie) nun mit seiner vierteiligen Doku-Reihe „Millennial Punk – Eine Subkultur in Zeiten der Digitalisierung“ ausleuchten. Jede der vier 45 Minuten langen Folgen – die bereits in der ARD-Mediathek verfügbar sind – setzt dabei einen groben Schwerpunkt, vom Rückblick auf die Jahrtausendwende-Zeit geht es über das politische Potenzial von Punk und die Digitalisierungs-Ära in die feministische Gegenwart.
„Millennial Punk“: Ein Familientreffen mit den Toten Hosen, Broilers, Donots und etlichen mehr
Das hat von Beginn an etwas von einem großen Familientreffen: Insgesamt 69 verschiedene Musikerinnen und Musiker sowie Szeneangehörige wie Aktivisten, Designerinnen, Journalisten oder Fotografinnen erzählen von ihren Erfahrungen im Genre. Mit den Toten Hosen oder dem ehemaligen Slime-Sänger Dirk „Diggen“ Jora berichten auch echte 80er-Punks von besetzten Häusern und Straßenschlachten mit der Polizei. Der Schwerpunkt liegt aber auf Bands und Personen, die rund um das Millennium in voller Blüte standen, darunter die Donots, ZSK, die Terrorgruppe oder Wizo. Aber auch die neue Generation um Bands wie Massendefekt, Itchy oder Akne Kid Joe ist zahlreich vertreten. Und mit NOFX-Legende Fat Mike gibt es auch einen internationalen Stargast inmitten der deutschsprachigen Punks.
Was positiv auffällt: Es kommen viele Frauen zu Wort, außerdem Punks mit Migrationshintergrund, Transpersonen, Homosexuelle, Rollstuhlfahrer; das Team hat sich spürbar Mühe gegeben, die Szene in all ihren Facetten abzubilden. Die Masse an Gesprächspartnern erweist sich dabei schnell als Fluch und Segen gleichzeitig: Man hat einerseits das Gefühl, einem vielstimmigen Chor von Gleichgesinnten zu lauschen, zumal sich viele Beteiligte untereinander kennen und aufeinander Bezug nehmen. Andererseits haben manche nur Alltägliches und Phrasen beizusteuern, während man zum Beispiel von dem blitzgescheiten Seenotretter und Punksänger Dariush Beigui aus Hamburg gerne noch viel mehr gesehen hätte.
Zeitgeist-Gefühl statt klarer Stoßrichtung
Schwerer wiegt allerdings, dass die Serie inhaltlich mäandert. Die gesamte erste Folge bleibt eine Art XXL-Kennenlern-Rückblick: Ramones, Sex Pistols und The Clash, Die Ärzte und die Toten Hosen, Atomkraft und Kalter Krieg, Skateboarding, VIVA, Nokia-Handys und Britney Spears – im Schnellstdurchlauf geht es durch die 80er und 90er, die Interviewpartner werfen kleine Erinnerungsbrocken zwischen Archivmaterial und Songausschnitte. Was und warum Punk ist, bleibt unscharf, es geht eher um ein diffuses Zeitgeist-Gefühl der „Millennial Punks“.
Doch auch danach ist oft nicht ganz klar, was gerade das Erkenntnisinteresse der Serie ist: In schneller Folge stellen die Macherinnen und Macher Themen wie „fehlende weibliche Rollenvorbilder“, „Digitale Revolution“ oder „Punk & MeToo“ mittels knallig animierter Einblendungen in den Raum, die Befragten berichten knappe Anekdoten und Gedanken – und weiter geht’s. Das wirkt authentisch, und in den besten Momenten fügen sich die Einzelschicksale tatsächlich wie ein Mosaik zu einem größeren Bild einer Szene. Zu oft aber folgt aus den Erzählungen nichts Übergeordnetes. Die Frage etwa, wie viel von Punk oberflächliche Mode sei, versandet ohne wirkliche Antwort. Und wenn manche Musiker soziale Plattformen wie Instagram und TikTok doof und andere sie spannend finden, bleibt der Aha-Effekt gering. So wirkt die Serie immer wieder ein bisschen beliebig.
Gut ist „Millennial Punks“ dann, wenn ein Aspekt ausreichend Raum erhält. Das gelingt zum Beispiel beim Ehepaar Lohmeyer, das im „Nazidorf“ Jamel aus Protest gegen die rechtsextreme Nachbarschaft ein prominent besetztes Festival veranstaltet. Letztlich aber verhebt sich das Film-Team etwas, will zu viele Themen und Beteiligte abbilden, statt auch mal in die Tiefe zu gehen. Man begegnet dem Punk hier zwar ausführlich, in Form von sympathischen Menschen, unmittelbaren Bildern und geschmackssicher ausgewählten Songs. Aber man begreift ihn nach diesen drei Stunden nur wenig besser als vorher, bekommt ihn kaum erklärt.
Drei von fünf Sternen