Essen. „Fight The Power – Wie Hip-Hop die Welt veränderte“ zeichnet Rap als politische Gegenkultur – vergisst aber etwas die Musik selbst.
Chuck D hat es selbst mal besonders treffend formuliert: „CNN für Schwarze“ sei Rap – so wie der gleichnamige US-Nachrichtensender die Bevölkerung über das Wesentliche informiere, habe die Sprechgesang-Kunstform den missachteten Schwarzen in den Ghettos der USA eine Stimme gegeben, ihre Geschichten und Gedanken in eine breite Öffentlichkeit getragen.
Hip-Hop als eine von Anfang an politische Gegenkultur der Unterdrückten – diese Perspektive ist logisch für Chuck D: Mit den aggressiv sozialkritischen Texten seiner Band Public Enemy hat er Ende der 80er-Jahre den politischen Conscious Rap groß gemacht. Außerdem hat er damals mit „Fight The Power“ eine jener Schlachtruf-Hymnen geschrieben, hinter der sich die zornigen Schwarzen in ihrer Wut auf das System versammeln konnten. Der Song leiht seinen Titel auch der vierteiligen BBC/PBS-Dokumentation „Fight The Power – Wie Hip-Hop die Welt veränderte“, in der Koproduzent Chuck D ausführlich auf die revolutionäre Kraft seines Genres blickt. Die Mini-Serie von 2023 zeigt Arte am 31. Mai in deutscher Erstausstrahlung, außerdem ist sie in der Mediathek zu finden.
„Fight The Power – Wie Hip-Hop die Welt veränderte“: Armut, Drogen und Kriminalität
Zunächst geht es gar nicht so sehr um die Musik: Die erste Folge konzentriert sich vielmehr darauf, ein Sittengemälde der USA nach dem Zweiten Weltkrieg mit Fokus auf das Leben der Schwarzen zu zeichnen: Malcolm X, Martin Luther King und Muhammad Ali, dazu Vietnamkrieg, Rassenunruhen und Black Power – mit gut recherchiertem, ausführlichem Archivmaterial und den Kommentaren von Musikern, Szenekennern, Historikern, Aktivisten und Journalisten taucht man ein in das soziale Gefüge am Vorabend der Entstehung der Hip-Hop-Kultur. Langsam kommt man an im Leben der US-Afroamerikaner der 70er-Jahre, die im New Yorker Stadtbezirk Bronx mit Armut, Drogen und Kriminalität zu kämpfen haben. Und die aus diesem Leben ausbrechen wollen – mit dem von der Disco-Ära inspirierten Breakdance, mit Graffiti und dem revolutionären Sound, den etwa Hip-Hop-Pionier Kool DJ Herc auf den Block-Partys in den Vierteln spielt.
Mit dem Schlüsselsong „The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five, der 1982 plötzlich ungewohnt direkt von den sozialen Problemen in den Brennpunkten berichtet, beginnt dann die eigentliche Erzählung von Hip-Hop als musikalischem Aufbegehren: Immer sind die Künstler in Opposition – zur Politik, zur Polizei, zu reaktionären Moralwächtern, der rassistischen Mehrheitsgesellschaft und auch zu sich selbst, wenn etwa die New Yorker Gründerväter in den 90ern auf die von Gang-Gewalt geprägten Gangsta-Rapper der US-Westküste treffen. Fast durchgängig wird alles Musikalische dabei eng mit dem politischen Geschehen und sozialen Hintergründen verknüpft – Hip-Hop wird meist als unmittelbarer Spiegel von Ereignissen wie Ronald Reagans repressiver Politik, dem gegen Schwarze gerichteten „War on Drugs“ oder brutalen Polizei-Übergriffen wie dem von 1991 auf Rodney King dargestellt.
Bildstark, aber lückenhaft – und die Musik Hip-Hop kommt ein wenig zu kurz
Das alles ist von den 60ern bis zu den aktuellen „Black Lives Matter“-Protesten bildstark inszeniert, die Erzählung ist dynamisch, Hip-Hop-Legenden wie Eminem, KRS-One oder Ice-T steuern persönliche Anekdoten und Blickwinkel bei. Stets hat man ein Gefühl für den Zeitgeist, die Frage nach einer wesentlichen Motivation des Hip-Hop, nach einem „Warum“, beantwortet die Doku souverän. Im Verlauf der Serie wirkt das manchmal aber auch etwas eindimensional – Chuck D will erkennbar die politische Relevanz seines Genres unterstreichen, reduziert es dabei aber unnötig auf die Rolle des rechtschaffenen Widerstandskämpfers.
Auf der Strecke bleibt dabei gerade zu Beginn die Frage nach dem „Was“: Das „Handwerk“ Rapmusik als künstlerischen Ausdruck zwischen Wortkunst und DJing erklärt einem diese Serie kaum, die (treffsicher ausgewählten) Songs sind mit einigen Ausnahmen nicht näher erläuterte Soundschnipsel der Filmmontage, stilprägende Alben werden nur selten und dann ohne nähere Einordnung eingeblendet, Namen wie N.W.A., LL Cool J oder Jay-Z füllt „Fight The Power“ nicht mit Leben – die Musik und ihre Macher bleiben Selbstverständlichkeiten im Dienste eines höheren Anliegens.
So kämpft die Doku mit der Zeit mit einer gewissen Oberflächlichkeit, wenn man durch die Jahrzehnte schwarzer Hip-Hop-Geschichte reist, es abseits der sich wiederholenden Erzählungen von gesellschaftlichen Konflikten aber an Ankerpunkten fehlt. Gerade die beiden späteren Folgen über die 2000er- und 2010er-Jahre porträtieren Hip-Hop zwischen Mainstream-Herrschaft und politischem Anspruch zudem nur noch ausrisshaft. Spätestens dann fällt auf, dass selbst entscheidende Beiträge zur Hip-Hop-Geschichte wie „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang (1979) oder das bahnbrechende, 2018 veröffentlichte „This Is America“ von Childish Gambino quasi nicht vorkommen. Und dass sich die Serie voll auf die USA und schwarze Musikerinnen und Musiker konzentriert, ergibt zu Anfang noch Sinn, wirkt mit zunehmender Laufzeit aber wie ein künstlicher Tunnelblick – welche Erzählung von (New Yorker) Hip-Hop klammert ernsthaft die Beastie Boys aus?
Top oder Flop? Eine Frage der Erwartungshaltung
Dabei belegt „Fight The Power“ sogar selbst, wie spannend es hätte sein können, dem Blick auf das Genre selbst mehr Gewicht zu geben: Die Passagen, in denen die Doku 2Pacs widersprüchliches Werk zwischen sozialem Bewusstsein und Abwertung von Frauen analysiert, den Generationenkonflikt zwischen jungen und alten Schwarzen im Kampf um derbe Sprache im Rap thematisiert oder skizziert, wie Queen Latifah weiblichen Rapstars wie Megan Thee Stallion, Cardi B oder Missy Elliott die Tür aufgestoßen hat, gehören zu den interessantesten dieser Produktion.
So kommt es am Ende auf die Erwartungshaltung an: Wer eine Geschichte des Musikgenres Hip-Hop erwartet, wird enttäuscht. Wer sich eher für einen grundlegenden Abriss über die „schwarze Erfahrung“ in den USA und Hip-Hop als politische und aktivistische Kraft interessiert, kann einiges mitnehmen.
Drei von fünf Sternen.