Essen. Die Netflix-Miniserie „Griselda“ mit Comedy-Star Sofía Vergara inszeniert eine brutale Drogenbaronin als starke Frauenfigur.
Einmal macht „Griselda“ (ab dem 25. Januar um 9 Uhr auf Netflix) ganz beiläufig alles klar. „Das ist ein Jaguar-Buntbarsch, ein Einzelgänger. Er frisst die anderen Fische“, sagt der Sohn von Drogenhändlerin Griselda Blanco (Sofía Vergara) zu seiner Mutter, als diese das Tier ungestüm ins Aquarium kippt. „Aber schau, wie hübsch er ist“, entgegnet die nur gleichgültig, und als Zuschauer bekommt man in diesen wenigen Sekunden noch einmal vor Augen geführt: Der Fisch, der ob seiner Natur nicht anders kann als alles um sich herum zu verschlingen, ist Blanco selbst. Kurz darauf sieht man das Tier noch einmal, allein. Blanco hat gerade ein höchst lukratives Angebot zum Ausstieg aus dem Kokain-Schmuggel erhalten. Doch nun nehmen die Dinge ihren unvermeidlichen Lauf.
Hauptdarstellerin und Produzentin Sofía Vergara hat „Griselda“ über fast zehn Jahre hinweg mitentwickelt. Die auf wahren Begebenheiten fußende Mini-Serie über eine Drogen-Patin im Miami der 1970er- und 1980er-Jahre dürfte für sie in mehrfacher Hinsicht eine Herzensangelegenheit gewesen sein. Zunächst, weil Blanco und Vergara beide aus Kolumbien stammen, Vergara die eindrucksvolle Lebensgeschichte von Blanco – 2017 schon unter dem Titel „Cocaine Godmother“ mit Catherine Zeta-Jones in der Hauptrolle verfilmt – dennoch erst spät kennenlernte und die US-Schauspielerin schon lange mit ihrer Firma Latin World Entertainment hispanische Erzählungen in der Unterhaltungsbranche fördert.
Drogenbaronin statt Publikumsliebling
Außerdem muss ihr die kaltblütige Kriminelle als angenehme Abwechslung erschienen sein: Vergara wurde mit der Rolle der feurig-herzlichen Gloria Delgado-Pritchett in der 2009 bis 2020 ausgestrahlten NBC-Sitcom „Modern Family“ zur Multimillionärin, Emmy-Preisträgerin und zum Publikumsliebling, hatte dort als Schauspielerin jedoch nur wenig Raum, um sich zu profilieren.
Vor allem aber interessierte Vergara nach eigener Aussage ein anderer Blick auf Griselda Blanco: Die Geschichte der erbarmungslosen Mörderin sei gleichzeitig auch die eines weiblichen Underdogs, der sich aus Armut und Prostitution gegen alle Widerstände an die Spitze der ultramännlichen Drogenwelt gekämpft habe, dabei stets das Wohls seiner Kinder im Blick.
Frei interpretierte Hauptfigur
Zu viel Faktentreue darf man vor diesem Hintergrund von „Griselda“ nicht erwarten: Während die echte Griselda eine irrwitzig brutale Sadistin gewesen sein soll, hadert sie auf der Leinwand fast vier der sechs Folgen lang immer wieder emotional erschüttert mit den Härten, die das Leben im Drogensumpf mit sich bringt. Zu sehen ist keine geborene Kriminelle, sondern eine tragische Löwenmutter und gequälte Seele, die zwar keine bürgerliche Moral kennt, aber eigentlich nur mutig tut, was zum Überleben im Haifischbecken der Halbwelt ihrer Ansicht nach nötig ist – und die, berauscht von Macht und Geld, irgendwann das Maß verliert.
Das passt nicht recht zu dem zu Beginn eingeblendeten Zitat, das noch vor der ersten Szene eine enorme Fallhöhe schafft: „Der einzige Mann, vor dem ich je Angst hatte, war eine Frau namens Griselda Blanco“ heißt es dort, gesagt haben soll es Kokain-König Pablo Escobar, der selbst keine Grausamkeit gescheut hat. Der von der Serien-Blanco ausgehende Schrecken bleibt jedoch überschaubar, die exzessive Gewalt der Drogenwelt gut konsumierbar; sie wirkt oft seltsam angemessen, selten entstellend.
Trotzdem sagt Vergara, sie habe Blanco auf keinen Fall idolisieren wollen. Doch so sehr, wie „Griselda“ immer wieder die Stärke der Hauptfigur betont und deren Perspektive einnimmt, passiert das unvermeidlich. Zumal die Serie in einem parallelen Erzählstrang eine weitere starke Frauenfigur in Form einer engagierten Polizistin ins Spiel bringt, die als eine Art „andere Seite der Medaille“ fungiert: In einer gerechteren Welt hätte das Blanco sein können. Da hat etwa „Breaking Bad“ (zugegeben: in 62 statt sechs Folgen) die eigene Hauptfigur differenzierter im Abstieg begleitet. Manchmal wünscht man sich fast den von Al Pacino brillant gespielten Unsympathen Tony Montana aus Brian de Palmas 1983er Kartell-Epos „Scarface“ (auf das „Griselda“ etwa mit einer Badewanne-auf-Marmorboden-Szene subtil anspielt) herbei – weil der so gnadenlos stringent auftritt.
„Griselda“: Ein bisschen von allem
Denn das wiegt schwerer als die Freiheiten, die sich „Griselda“ bei der Charakterzeichnung nimmt: Die Mini-Serie ist insgesamt zu unentschlossen inszeniert. Griselda Blanco soll vielschichtig erscheinen, skrupellos entschlossen, aber doch mitfühlend, durchtrieben clever und doch gutherzig; am Ende glaubt man weder das eine noch das andere so richtig – auch wegen Vergaras solidem, aber nicht fesselndem Spiel. Nie verschwindet sie vollkommen hinter der Rolle.
Auch der erzählerische Rahmen ist ein bisschen von allem: etwas „Narcos“ (ebenfalls eine Netflix-Produktion, deren Macher auch an „Griselda“ beteiligt waren) in weiblich, etwas Story-Aberwitz wie bei „Blow“ (2001), etwas Netflix-typischer True-Crime-Grusel in Biopic-Form, etwas Telenovela-Melodram, etwas Period Piece. Doch obwohl die vielen Dialoge in spanischer Sprache zum Flair beitragen und Kulissen, Kostüme, Make-up und der Soundtrack von Disco über Latin bis Chanson wirklich gut gelungen sind: All das fügt sich nur bedingt zu einer Welt, die man riechen, fühlen, schmecken kann.
Apropos Musik: In einer Szene hört Griselda Blanco alias Sofía Vergara den Umberto-Tozzi-Hit „Gloria“ von 1979. Hätte sie sich für „Griselda“ doch konsequenter von der Gefälligkeit dieser vorherigen Serienrolle verabschiedet.
Drei von fünf Sternen.