Essen. Selbst die „Flucht aus Nordkorea“ ist lebensgefährlich, wie die gleichnamige Arte-Dokumentation in bedrückenden Bildern zeigt.
An der Grenze gefasst zu werden, bedeutet den Tod, in der Regel einen langsamen, qualvollen Tod. Denn wer es schafft, aus Nordkorea über den Yalu- oder Tumen-Fluss trotz der unberechenbaren Untiefen zu fliehen, hat es längst noch nicht geschafft. Auf chinesischer Seite wird die lange gebirgige Grenze per Video streng überwacht. Flüchtlinge riskieren, aufgegriffen und sofort zurückgeschickt zu werden, wo sie Folter und Arbeitslager erwarten, bis sie tot umfallen. Seit Kim Jong Un an der Macht ist, ist eine „Flucht aus Nordkorea“, wie die erschütternde gleichnamige Dokumentation heute auf Arte zeigt, ein Staatsverbrechen.
„Flucht aus Nordkorea“: Über Vietnam, Laos und Thailand nach Südkorea in Sicherheit
Trotzdem machen sich immer wieder Nordkoreaner auf den gefährlichen Weg. Wie das Ehepaar Ro, das mit zwei kleinen Kindern und der 80-jährigen Großmutter erst einmal bei einem chinesischen Ginseng-Bauern Unterschlupf fand. Durch den tatkräftigen und selbstlosen Einsatz eines südkoreanischen Pastors, der bis zur Pandemie etwa 1000 Menschen pro Jahr rettete, werden sie am Ende die tückische Ausreise schaffen. Begleitet von einem „sehr freundlichen“ US-amerikanischen Filmteam sind wir als Zuschauer dabei, wie die Familie tausende Kilometer zurücklegt – zu Fuß durch den Dschungel von Vietnam nach Laos und dann mit dem Boot über den Mekong nach Thailand. Erst dort können sie sicher vor Abschiebung sein und erhalten eine Einreisegenehmigung für Südkorea.
Der Film von Madeleine Gavin, 2023 beim Sundance Festival ausgezeichnet, kann verstören – nicht nur Minderjährige, wie der Vorspann warnt. Mit heimlich gedrehten Handy-Kamerabildern und detaillierten authentischen Erfahrungsberichten anderer Flüchtlinge legt er einen seltenen Blick frei auf die tatsächlichen Verhältnisse in dem abgeschotteten Land. Kurze historische Rückblenden und ein politischer Exkurs erlauben zudem die geopolitische Einordnung.
Abgeschnitten von der Außenwelt, hungernd, gedrillt
Die 26 Millionen Nordkoreaner sind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten und können sich nicht vorstellen, dass es noch ein anderes Leben gibt als das, das sie führen. Dabei leben sie „wie die Würmer“, ohne fließend Wasser, Strom oder ausreichend Lebensmittel. Stattdessen werden sie kontrolliert und gedrillt, dem „großen Führer“ Kim Jong Un stets zu gefallen. Selbst die eigenen Fäkalien müssen gesammelt und an offiziellen Stellen abgegeben werden, damit die Bauern damit die Felder düngen können. Andere Düngemittel gibt es nicht.
Vor allem aber zeigt der Film an bestürzenden Details, was es konkret bedeutet, wenn die Vereinten Nationen in einem 400-seitigen Bericht feststellen, dass die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea beispiellos seien, vergleichbar bestenfalls noch mit der Lage in Nazi-Deutschland. Wer aus dem Land flieht, tut es nicht aus ideologischen oder wirtschaftlichen Gründen. Er oder sie tut es, um zu überleben – wie die Familie Ro, die auf einer Liste für die Deportation ins Nirgendwo stand, nur weil ein naher Verwandter zwei Jahre zuvor aus Nordkorea geflohen war.
Fünf von fünf Sternen.