Muss man mit der AfD reden? Die Lanz-Redaktion sagt Ja, lädt Bundessprecher Chrupalla ein – und lässt sich von dem vorführen.
Ist es klug, mit der AfD zu reden anstatt über sie? Reflexhaft mag man antworten: Um Himmels willen, nein. Was wollte man im Gespräch auch an Antworten erwarten von einer Partei, die in immer größer werdenden Teilen als „gesichert rechtsextrem“ gilt, die mit einem Landesvorsitzenden aufwartet, der als Faschist bezeichnet werden darf, deren wirtschaftspolitisches Konzept als Ultima Ratio einen Austritt Deutschlands aus der EU vorsieht?
Deren Mitglieder öffentlich wie halb öffentlich raunen, Deutschland sei eine Diktatur, die fordern, den Parteienstaat abzuschaffen? Die sich gemeinmachen mit österreichischen Rechtsextremisten, die inzwischen nicht mehr nach Deutschland einreisen dürfen? Die Subventionen abschaffen wollen und dann mit Landwirten gegen die Abschaffung von Subventionen demonstrieren?
Selbst wenn man, aus welchen Gründen auch immer, geneigt sein wollte, dem Angeklagten Zweifel einzuräumen, vielleicht wie Tino Chrupalla von Einzelmeinungen reden mag, von einzelnen schlechten Äpfeln, die nicht die ganze Ernte ausmachen, so bliebe am Ende die Feststellung: Der Korb wird immer voller. Wer sich den Korb ins Haus holt, darf sich, um im Bilde zu bleiben, hinterher nicht beschweren, dass es nach vergammelten Äpfeln riecht. Oder sollte zumindest eine Duftkerze aufstellen und sich auf die Äpfel vorbereiten.
In der Redaktion von „Markus Lanz“ scheint für die Dienstagssendung hingegen die Devise gegolten zu haben: Lass sie reden. Anders ist nicht zu erklären, warum Co-Vorsitzender Tino Chrupalla einen Großteil der Sendezeit unwidersprochen Behauptungen aufstellen kann, die nur einem Zweck dienen: eine Partei, deren rechtsextremer Charakter immer offensichtlicher wird, als missverstandenes Opfer einer vermeintlichen polit-medialen Verschwörung hinzustellen.
AfD und Höcke? Nicht rechtsextrem
Das Desaster beginnt schon damit, dass Chrupalla die Definitionshoheit über das Wort „Rechtsextremismus“ zugesprochen wird. Ein Extremist sei jemand, „der mit Gewalt oder Gewaltfantasien versucht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage zu stellen oder diese zu bekämpfen“, erklärt der Co-Vorsitzende der Runde. Das sehe er bei den aktuellen Mitgliedern seiner Partei nicht, auch nicht bei Björn Höcke, dem gerichtsfesten Faschisten. „Für mich nicht rechtsextrem.“
Zwar existiert keine einheitliche Definition für das Wort. Ein Blick in den von der die Gendersprache ablehnenden Partei gern angeführten Duden zeigt derweil: Rechtsextrem ist jemand, der „extremistisch im Sinne einer politischen Richtung beziehungsweise Ideologie der äußersten Rechten“ handelt. Von Gewaltanwendung steht da nichts.
Wie einfach hätten ein stellenweise arg hilflos wirkender Moderator Lanz und seine Redaktion Chrupalla schon hier stellen können. Aber statt eine solche Antwort zu geben oder den Parteivorsitzenden etwa mit aktuellen Aussagen Höckes zu konfrontieren, muss Lanz verwundert nachfragen und schließlich kommentieren „Das ist interessant.“ Er gibt ab an Politik-Journalistin Franziska Klemenz.
Die kramt Aussagen Höckes von 2015 und 2017 hervor und bietet Chrupalla die Steilvorlage: Diese Aussagen hätten „einen langen Bart“, längst habe sich Höcke distanziert. Die Einordnung von Höckes Aussagen über das Holocaustgedenken und die Fortpflanzung auf dem afrikanischen Kontinent als Mittel der Diskursverschiebung unterbleibt.
Der berechtigte Hinweis Klemenz‘ auf rechtsextreme Codes, die der Kreisverband des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und jetzigen Europawahlkandidaten Siegbert Droese im Wahlkampf nutzte: auch das für Chrupalla kein Anzeichen für Rechtsextremismus in der AfD. Aber wie auch, für den Co-Vorsitzenden muss ja erst Gewalt angewandt werden, damit jemand extrem ist.
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Verfassungschutz? Von der Politik instrumentalisiert
Und überhaupt komme die Einstufung der Landesverbände als „gesichert rechtsextrem“ vom Verfassungsschutz, und der sei weisungsgebunden an die Politik, behauptet Chrupalla. Hier hätte seitens Lanz‘ der Hinweis gutgetan, dass der Verfassungsschutz laut Grundgesetz unter anderem der Kontrolle des Bundestages unterliegt – schnell hätte Chrupalla ins Schlingern geraten können, hatte er doch nur wenige Sätze zuvor die AfD als Partei dargestellt, die auf dem Boden des Grundgesetzes agiert.
So aber bleibt stehen, dass die Politik im Wahlkampf den Inlandsgeheimdienst vermeintlich als Waffe gegen eine aufstrebende Partei einsetzt, und Lanz fragt verwundert nach, ob Chrupalla das Vorgetragene ernst meine. Was für eine Katastrophe angesichts der Tatsache, dass Chrupalla – die ganze AfD – seit Monaten mantraartig auf dem vermeintlich politisierten Verfassungsschutz herumreitet. Warum sitzt in der Runde kein Verfassungsrechtler?
Fast unangenehm wird die Sendung dann, als Chrupalla im Zusammenhang mit dem Nadelvorfall von Ingolstadt behauptet, das ZDF habe Videoaufnahmen von der angeblichen Attacke nur geschnitten an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Lanz, dessen Mimik zwischenzeitlich deutlich abzulesen war, wie sehr ihm die Kontrolle über die Sendung hier entglitt, bleibt nur noch die Feststellung: „Das können wir jetzt nicht überprüfen.“
Öffentlich-Rechtliche? Stecken mit der Politik unter einer Decke, sagt die AfD
Und genau hier liegt der Hund begraben: Die AfD versteht es in Talkshows meisterlich, mit im Moment der Aufzeichnung unüberprüfbaren Aussagen jede noch so berechtigte Kritik an ihr, ihren Inhalten und ihren Mitgliedern ins Gegenteil zu verdrehen, die Opferrolle einzunehmen und so zu tun, als würde sie als Einzige für die Demokratie kämpfen, während Medien und Politik nur noch unlautere, undemokratische Mittel zur Verfügung stünden.
Dringend notwendige Faktenchecks, im Idealfall vorbereitet, brauchen ihre Zeit und kommen nach der Sendung zu spät – das Gesagte ist ja schon in der Welt. Zumal: Eine nachgelieferte Richtigstellung lesen hinterher wesentlich weniger Menschen, als die Sendung Zuschauer hatte. Die AfD weiß das, Medienprofi Chrupalla ohnehin. Wer dem Bundessprecher der Partei eine Plattform geben will, sollte sich dessen bewusst und entsprechend vorbereitet sein. Alles andere bereitet nur Menschen eine Bühne, die im Zweifelsfall auf Migranten schießen lassen wollen.
Im Fall der angeblich geschnittenen Videoaufnahmen hat das ZDF inzwischen reagiert. „Dazu stellt die Chefredaktion des ZDF fest: Entgegen der Behauptung von Herrn Chrupalla hat das ZDF das gesamte Material ungeschnitten der Staatsanwaltschaft übergeben“, heißt es auf der Internetseite des Senders. Zu spät, der Schaden ist angerichtet, der Zweifel gesät. Vielleicht lernt die Chefredaktion aus dem Debakel.