Bochum. Weil er nicht wegguckte, sondern den Notruf wählte, wird Lothar Christen aus Bochum geehrt – und ist live bei „Aktenzeichen XY“ im TV zu sehen.
Der Rummel um seine Person wird ihm langsam schon zu viel. „Ich bin froh, wenn ich wieder zurück in Bochum bin“, sagt Lothar Christen. Aktuell weilt er mit seiner Frau in München. Erst Dreharbeiten, dann noch ein Auftritt beim ZDF-Klassiker „Aktenzeichen XY … ungelöst“. Zuvor war er schon in Berlin von Bundesinnenministerin Nancy Faeser geehrt worden. Das alles, weil Christen bei einer Gewalttat nicht weggeguckt hat – wie viele andere.
Mann stirbt fast: Viele schauen weg – Lothar Christen nicht
Es geschah am Silvestertag 2022. Gegen 11.20 Uhr war Lothar Christen gerade mit der Straßenbahn 302 an der unterirdischen Haltestelle Lohring in Altenbochum angekommen und ausgestiegen. Auf dem Weg nach oben, auf der mittleren Ebene, habe er „Theater gehört“ und dann „eine unvorstellbare Schlägerei“ beobachtet.
„Ich hatte erst an einen Streit unter Obdachlosen gedacht“, sagt der 72-Jährige. Doch bei näherer Betrachtung wurde ihm klar, dass dem nicht so war. „Ein Mann kauerte an der Wand und rief immer wieder um Hilfe, während zwei andere auf ihn einschlugen und eintraten. Der Mann war blutüberströmt, das war der Wahnsinn.“
Erst später erfuhr Lothar Christen, dass die Beschuldigten – eine Frau und ein Mann, beide Anfang 30 – polizeibekannt sind. Und dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Stunden lang auf den 44-jährigen Mann eingeschlagen und ihm lebensgefährliche Verletzungen zugefügt hatten, während etwa 50 Menschen vorbeigegangen waren und nichts unternommen hatten. Das hätten die Videoaufnahmen im U-Bahnhof gezeigt, so die Polizei.
Wie wir bisher über den Fall berichtet haben:
- Gewaltexzess: Bochums Polizeichef ehrt Zeugen für Notruf
- Gewaltexzess im Bahnhof: Zeugin schildert Tritte ins Gesicht
- Gewaltexzess bei Zechengelage in U-Bahn-Station: Haftstrafen
Lothar Christen hat nicht weggeschaut. Kurz habe er überlegt, ob er einschreiten soll, sagt der Altenbochumer. „Ich bin ja kein Weichei und hätte gerne geholfen. Aber ich war ganz allein. Und die Situation erschien mir unberechenbar.“ Also brachte er sich zunächst selbst in Sicherheit und wählte den Notruf, erst 112 für den Rettungsdienst, dann die 110 der Polizei. Vier Minuten später seien die Einsatzkräfte dann auch schon dagewesen.
Lothar Christen war nicht der einzige, der die Polizei gerufen hat. Kurz nach ihm hatte auch Yelyzaveta Kryshtal die Verteilerebene betreten. Die gebürtige Ukrainerin rief ihren Freund Merdan Özdogan an und dieser verständigte daraufhin ebenfalls die Polizei. Alle drei wurden bereits im Januar von Bochums Polizeipräsident Jörg Lukat geehrt und für ihr vorbildliches Handeln gelobt.
Für Christen und Kryshtal ist es damit aber noch nicht getan. Beiden wurde jetzt zudem in Berlin im ZDF-Hauptstadtstudio der „XY-Preis – Gemeinsam gegen das Verbrechen“ verliehen, überreicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Schauspieler Jürgen Vogel. „Aufgrund ihres vorbildlichen Verhaltens haben beide dabei geholfen, eine schwere Gewalttat zu beenden und dem Geschädigten das Leben zu retten“, heißt es in der Begründung der Jury. Mit ihrem Einschreiten hätten sie „vorbildlich und vorurteilsfrei gehandelt und Mitgefühl gezeigt“.
Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft
Die beiden Tatverdächtigen von dem Vorfall am Silvestervormittag sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Beide wurden laut Staatsanwalt Philipp Rademacher bereits wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt – die Frau zu vier Jahren, der Mann zu drei Jahren Haft.
Weil sie in Revision gegangen seien, sei das Verfahren jedoch noch nicht rechtskräftig. Die Akten lägen nun beim Bundesgerichtshof. Die Staatsanwaltschaft habe auf versuchtes Tötungsdelikt plädiert. „Das hat das Gericht aber anders gesehen“, so Rademacher.
Am Mittwoch, 29. November, um 20.15 Uhr sind die beiden Bochumer Preisträger in der Live-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ zu Gast und sprechen mit Moderator Rudi Cerne über ihr vorbildliches Handeln. Zuvor standen sie in den vergangenen Tagen in München vor der Kamera, um den Fall von Bochum nachzukonstruieren. Für Lothar Christen eine „tolle Sache“, auch wenn er gar nicht so viel Aufhebens darum machen will. „Ich sehe es als Selbstverständlichkeit an, anderen in Notlagen zu helfen.“
Der XY-Preis ist mit jeweils 10.000 Euro dotiert und wird jedes Jahr an Menschen vergeben, die sich auf besonders couragierte Weise für andere eingesetzt haben. Lothar Christen und Yelyzaveta Kryshtal teilen sich das Preisgeld.