Essen. „Fonda - Anatomie eines Hollywoodclans“ ist die Anatomie einer Familiendynastie. Es ist die Analyse einer folgenreichen Vater-Kinder-Beziehung.

Von Vater Henry (1905-1982) hat sich heute vor allem seine Filmfigur des eiskalten Killers Frank in Sergio Leones Kultwestern „Spiel mir das Lied vom Tod“ ins Gedächtnis eingebrannt. Bei Tochter Jane (heute 85) mag man zuerst daran denken, dass diese spätestens mit Roger Vadims Pop-Art-Science-Fiction-Abenteuer „Barbarella“ zum vergötterten Sexsymbol in der freilich puritanisch-amerikanischen Variante wurde, ehe sie zur Queen der internationalen Fitness- und Aerobic-Welle aufstieg. Und Sohn Peter (1940-2019) machte seine Rolle als Wyatt, der in „Easy Rider“ zur Musik von Steppenwolf („Born to be wild“) mit seinen Freunden auf Choppern durch den Süden der USA fährt, zur Ikone der amerikanischen Gegenkultur. Das Rebellen-Image wurde er nie so recht los.

Am ersten Blick ist Filmemacher Rouvre nicht interessiert

Dass diese drei so verschiedenen Filme, die aparterweise alle 1968/69 entstanden, in der Arte-Dokumentation „Fonda – Anatomie eines Hollywood-Clans“ (Arte, Sonntag, 22 Uhr) nur eher beiläufig und als Argumentationshilfe erwähnt werden, ist auf den ersten Blick vielleicht überraschend. Doch am ersten Blick ist Filmemacher Charles-Antoine de Rouvre auch nicht interessiert. Statt entlang der Karriere-Etappen und der Rollen-Portfolios kurze Film-Biografien zu skizzieren, spürt er dem Verborgenen hinter dem Offensichtlichen nach. Es ist wirklich die Anatomie einer Familiendynastie, die er betreibt. Es ist die Analyse einer schwierigen, folgenreichen Vater-Kinder-Beziehung; es geht um Sozialisation, Prägung, falsche Idealvorstellungen und erlittene Traumata.

Wobei die Ursachen schon eine Generation früher gelegt wurden. Henrys Eltern gehörten einer besonders strengen protestantischen Sekte im Mittelwesten an. Diskretion wurde groß geschrieben, man sprach grundsätzlich nicht über sich, über Gefühle und Bedürfnisse zu reden war vollends tabu. Als 14-Jähriger hatte er auf Anweisung seines Vaters sogar einen Lynch-Mord ansehen müssen. So etwas steckt niemand weg. Erst auf der Theaterbühne und vor der Kamera konnte der schüchterne, auf permanente Selbstkontrolle getrimmte Henry, von der Maske der Rolle geschützt, zeigen, wozu er im echten Leben einfach nicht in der Lage war: Empfindungen. Eigentlich verwundert es nicht, dass sich der im Grunde so freundliche Mann gegenüber seinen Kindern Jane und Peter reserviert und übermäßig streng verhielt, dass er sich abschottete, den beiden sogar jahrelang die wahren Umstände des Selbstmords ihrer Mutter verschwieg. Noch am Tag des Suizids, der als Herzinfarkt ausgegeben wurde, war Henry nach New York geflüchtet, hatte in einer Broadway-Komödie auf der Bühne gestanden.

Wie funktioniert unter solchen Startbedingungen gesunde Persönlichkeitsentwicklung, wie kann man sich von prägendem Einfluss und erdrückendem Erbe des großen Henry Fonda emanzipieren – privat und als Mitglied einer Schauspieler-Dynastie? Eindringlich und nachvollziehbar zeigt der Film, wie dies Jane und Peter gelang. Oder auch nicht. Denn ganz wird man solche Dämonen nie los.

Bewertung: vier von fünf Sternen