Essen. Ein Zweiteiler der britischen Rundfunkanstalt BBC beleuchtet aufschlussreich, warum der Kampf gegen die Taliban im politischen Desaster endete

2001 schickte George Bush Jr. US-Truppen nach Afghanistan als Antwort auf 9/11. Sie sollten Terroristen bekämpfen, denen das „gottverlassene Land“ als Rückzugsort diente. Sein Nachfolger Barack Obama machte erfolgreich Jagd auf Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden und stockte im Kampf gegen die Taliban das Truppenkontingent auf. Donald Trump hatte kein Verständnis für die Lage am Hindukusch und gab bei den Zwischenwahlen 2018 das uneingelöste Versprechen, „die Jungs nach Hause zu holen“. Dann wurde Joe Biden US-Präsident: Schon als Vize war er gegen eine Truppenerweiterung, nun, im April 2021, verkündete er – zur Überraschung der Weltöffentlichkeit – den „endgültigen Truppenabzug binnen eines halben Jahres“.

„Afghanistan – Verlorenes Land“: Bittere Erfahrung für alle

Was dann folgte, war nicht nur ein politisches, es war auch ein humanitäres Desaster. CNN-Bilder, die 2021 um die Welt gingen, bringen in der zweiteiligen BBC-Dokumentation „Afghanistan – Verlorenes Land“ nochmals das Chaos am Kabuler Flughafen in Erinnerung: Tausende verzweifelte Afghanen versuchen, das Land zu verlassen, einige hängen sich sogar an die Tragflächen eines Flugzeuges.

Am Dienstagabend, 6. Juni, um 20.15 Uhr auf ZDFinfo zu sehen, beleuchtet der aufschlussreiche Doku-Zweiteiler vor allem die Hintergründe, die zu der Katastrophe führten. Dafür hat der britische Filmemacher Jack Macinnes namhafte Akteure vor die Kamera geholt, die in teils sehr persönlichen Erinnerungen berichten, wie sie den 20 Jahre andauernden Afghanistan-Krieg miterlebt bzw. geprägt haben – darunter Trumps Sicherheitsberater John Bolton oder auch der ehemalige britische Premierminister David Cameron.

Eine „bittere Erfahrung“ war es für alle. Vor allem aber für die afghanischen Berater, die sich durch die jähe Entscheidung vom Westen „verlassen und verraten“ fühlen. Faktisch, erklären sie, überließen die USA (und deren Alliierte) das Land den Taliban „wie einen Geburtstagskuchen“. Tatsächlich war es nur der Schlusspunkt in einer langen Reihe strategischer Fehler und kultureller Fehleinschätzungen: Mit jedem neuen Präsidenten änderten die USA „aus innenpolitischen Gründen“ ihre Taktik, was die Lage vor Ort zunehmend destabilisierte und das Leben Tausender Zivilisten und Soldaten kostete.

Westlicher Schlingerkurs

Der westliche Schlingerkurs wird besonders offenbar in der Einschätzung der Taliban. Bei den ersten Friedensverhandlungen 2001 auf dem Bonner Petersberg noch unerwünscht, wurden sie 2021 bei den Geheimverhandlungen in Doha zum alleinigen Gesprächspartner – die offizielle afghanische Regierung unter Präsident Aschraf Ghani war gar nicht erst eingeladen.

Das Problem sei nicht der Truppenabzug an sich, sagt die Friedensaktivistin Fatima Gailani, die als einzige Frau an den Verhandlungen mit den Taliban teilgenommen hatte. Das Verhängnis sei gewesen, dass die Amerikaner gingen, ohne einen belastbaren Friedensvertrag auszuhandeln. Deshalb hätten die Taliban den Rückzug als „bedingungslose Kapitulation“ verstanden – und sich an Zusagen nicht gebunden gefühlt.

Bewertung: Vier von fünf Sternen