Berlin. Désirée Nosbusch erzählt in ihrem Kino-Debüt als Regisseurin von Trauer und Weiterleben – mit einer großartigen Besetzung.
Die deutsche Sprache kennt verschiedene Wörter für den Verlust der engsten Angehörigen. Wer seinen Partner verliert, verwitwet. Sterben Mutter, Vater oder beide Eltern, ist man verwaist. Was aber, wenn ein Kind stirbt? Dafür gibt es keinen eigenen Begriff, und vielleicht ist das bezeichnend. Der Fall ist nicht vorgesehen, er verstößt zu schwerwiegend gegen grundlegende Ideen von Sinn, Biografie und Lebensordnung. Der Tod eines Kindes gehört zu den größten Katastrophen, die man sich vorstellen kann.
Désirée Nosbusch, die aus unzähligen Filmen, Fernsehproduktionen und -sendungen bekannte Moderatorin und Schauspielerin, hat für ihre erste Langfilm-Regiearbeit im Kino ein Stück der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans adaptiert, das unter der Regie von Christian Schwochow im November 2013 am Deutschen Theater Premiere feierte – mit Dagmar Manzel und Ulrich Matthes in den Hauptrollen.
Gedreht wurde in Nosbuschs luxemburgischer Heimat, auf dem Friedhof von Vianden, einer kleinen Gemeinde im Nordosten des Großherzogtums. Die Our trifft hier auf eine gewaltige Staumauer, die den Fluss zähmt, um seine Energie für das örtliche Pumpspeicherwerk zu nutzen. Das Wasser mit seiner Bewegung, seiner Unaufhaltsamkeit, aber auch mit seinem Stillstand ist ein Zentralmotiv dieses ergreifenden Films, der sich einer großen Lebensfrage widmet: Was geschieht mit der Liebe, wenn sie verliert, worauf sie sich richtet? Sie verschwindet ja nicht einfach. Sie fließt anderswo hin, sie sammelt sich, sie zerstört und ertränkt, sie bleibt. Wie lange? Und zu welchem Ziel?
Im Boden des Friedhofs ist Gift gefunden worden
Im Zentrum stehen zwei Menschen: eine Mutter, Edith (Trine Dyrholm), und ein Vater, Lucas (Tim Roth). Sie treffen sich in einer kleinen Kirche am Friedhof. Der Film nimmt sich viel Zeit, um ihre Geschichte zu entfalten: Vor zehn Jahren haben sie ihren Sohn Jacob bei einem Autounfall verloren. Edith war dabei, als er im Krankenhaus starb. Die Beziehung zerbrach an dem Verlust, ein Jahr später nahm Lucas seine Koffer und ging.
Nun sind bei Bodenproben auf dem Friedhof Rückstände des Gifts gefunden worden, das dieser Geschichte ihren Namen gibt. Die Bestatteten sollen exhumiert und umgebettet werden, auch Jacob, wie Edith und Lucas glauben. Es ist ein trüber, regnerischer Tag über Vianden, als sie nach all den Jahren wieder aufeinandertreffen.

Nosbusch zeigt in langen, ruhigen Einstellungen, wie sie sich dafür aus ihrem Alltag lösen. Lucas macht Pausen auf dem Weg zum Grab des Sohnes, er trinkt einen Kaffee am Straßenrand, bleibt am Staudamm stehen, sieht einen Ball im Schlick liegen. Edith füttert ihre Vögel im Garten, bevor sie sich auf ihr Fahrrad setzt. Sie hat Blumen dabei. Lucas legt Muscheln auf die Steinumfassung am Grab des Kindes.
In diesen beiden Menschen treffen verschiedene Arten des Umgangs mit Trauer aufeinander, und der Film stellt sie vor, ohne einer von ihnen einen Vorzug zu geben – diese Lebensklugheit muss man ihm hoch anrechnen. Lucas hat nach vielen Jahren wieder eine Partnerin, die mit einem gemeinsamen Kind schwanger ist. Edith ist in ihrer Trauer stehen geblieben. Sie pflegt Jacobs Grab, sie möchte bei ihm bleiben. „Du hast dich kaum verändert“, sagt er, als sie sich nach all den Jahren wieder begegnen. „Schau nicht zu genau hin“, sagt sie.
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Mit Tim Roth und Trine Dyrholm, die sich anlässlich der Dreharbeiten erst kennenlernten und in vielen gemeinsamen Lesungen in die Rollen der trauernden Eltern fanden, hat Nosbusch eine Idealbesetzung für dieses Kammerspiel gefunden. Im kleinen Aufenthaltsraum am Friedhof, auch in der Kapelle und selbst auf der Toilette – Kamerafrau Judith Kaufmann nutzt dafür geschickt die Enge geschlossener Räume – kommen auch lange begrabene Ressentiments, schlecht verheilte Wunden und enttäuschte Erwartungen zum Vorschein.
Mal streiten sie über die Nacht der Trennung, mal über die Gefühle, die geblieben sind. Es ist ein Konflikt um das richtige Maß an Nähe, um die Frage, wie viel Verbindendes beide noch teilen und zulassen wollen. Es ist ja noch da – und wie es Dyrholm und Roth sichtbar machen und dabei diese traurige Geschichte erzählen: Das gehört, so viel steht schon jetzt fest, zu den eindrucksvollsten schauspielerischen Leistungen, die man in diesem Jahr im Kino erleben kann.
Drama, Luxemburg/Niederlande/Deutschland 2025, 90 min., von Désirée Nosbusch, mit Trine Dyrholm und Tim Roth