Dortmund. Mozart-Premiere mit Enttäuschung, Kondom und Kinderwagen verwässern Meisteroper. Regisseurin Lanzino verhebt sich - und entfernt Musik

Nicht jede Chiffre der Opernregie unsere Tage fällt dem staunenden Publikum in den Schoß. „Was ist das denn?“, fragt der Herr aus Reihe 6 im Parkett. „Ein Kondom!“, erläutert seine kenntnisreiche Frau. Wer hätte es schon vermutet, da Donna Elvira, die Geschmähte, ihren Sopran zur Enthüllungsfanfare erhebt: ein Verhütungsmittel zwischen den Fingerspitzen?! Elvira kroch eben aus dem Versteck, um ihren Ex, also Don, bei der Arbeit zu sehen: Sex.

„Don Giovanni“ in Dortmund: Mozart mit Millowitsch-Plattheiten

Szenisch hat das deutlich mehr von einer Millowitsch-Klamotte als das raffinierte Libretto. Aber so sieht das aus, wenn Ilaria Lanzino Mozarts Meisteroper deutet. Da ist Elvira, abgelegte Affäre des Titelhelden Don Giovanni, kaum mehr als eine Schreckschraube aus sexueller Unterernährung .

Mozart in Dortmund: Aus tragischen Figuren werden Tinder-Tanten

Schon zur Ouvertüre sahen wir die Dame glücklos mit dem Handy auf Bubenschau gehen. Eine Tinder-Tante, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Später treffen wir sie singend bei der Beinenthaarung. Aktualisierung mit dem Dampfhammer also auf Kosten von Tiefgang und Substanz. Das etwa ist so das Niveau der Neuinszenierung, die Samstag Abend mit gutem, doch für Dortmunder Verhältnisse keineswegs frenetischem Applaus endete.

Das war‘s dann auch schon. Dortmunds „Don Giovanni“ endet mit der Höllenfahrt des Schürzenjägers. Den Schluss hat die Regisseurin Ilaria Lanzino gestrichen. Unser Bild zeigt  Denis Velev in der Titelrolle, Morgan Moody(r.) als Leporello.
Das war‘s dann auch schon. Dortmunds „Don Giovanni“ endet mit der Höllenfahrt des Schürzenjägers. Den Schluss hat die Regisseurin Ilaria Lanzino gestrichen. Unser Bild zeigt Denis Velev in der Titelrolle, Morgan Moody(r.) als Leporello. © Theater Dortmund | Björn Hickmann

Lang war der Abend, weil er vielfach langweilig war. Denn so sehr Lanzino vor der Pause in einer Mätzchen-Parade von Handy bis Kinderwagen den Stoff anreichern will, so farblos geraten ihr letztlich die Figuren, so dünn das Eis ihrer Deutung. Die höhlt in einem fragwürdigen Verständnis von Gleichberechtigung Mozarts Handlung aus. Wir erinnern uns: Beispielhaft zeigt die Oper um den unersättlichen Eroberer dessen triebhaftes Unwesen an drei Frauen. Auf Dortmunds Bühne freilich haben die auf eigene Weise Täterprofile. Donna Anna, sonst Tugend in Person und verlobt, zeigt Lanzino schon vor der Ehe als Schwangere (Baby kommt offenbar in der Pause zur Welt!). Elvira, die Sitzengelassene aus Kastilien, prahlt in Dortmund mit einer Tausendschaft von Bettgeschichten, keinen Deut besser also als Giovanni. Und Zerlina, Mädchen aus der Unterschicht, gibt dem Skrupellosen allzu gern nach. All das ein seltsamer Widerspruch zum die Inszenierung durchziehenden Motiv der schlangenhäuptigen Medusa: Mythos einer Vergewaltigten, die zur Mörderin wird.

Ilaria Lanzino vertraut Mozarts Oper nicht

Die Regie weicht Strukturen auf, angeblich, um sie unseren Tagen anzupassen. Indes: Je mehr sie den Figuren an frei erfundenen Geschichten zuschreibt, desto farbloser wird der Titelheld. Wer Don Giovanni ist, was ihn antreibt, füllt diese windschiefe Inszenierung kaum nennenswert mit szenischem Leben.

Wie ein Zitat seiner selbst lässt sie ihn mit höfischer Perücke und Seidenrock immer wieder den Vorhang einer (weiteren) Bühne öffnen, als sei er nur noch Erzähler seines eigenen Mythos. Optisch ist das die reine Haltlosigkeit. Denn Frank Philip Schlößmanns Bühne öffnet dem Aufreißer unzusammenhängende Räume vom Neo-Biedermeier über eine Ikea-Flitterwöchner-Butze bis zur 80er-Jahre Disco. Wo diese Erzählung eigentlich zu Hause ist, bleibt im Ungefähren, atmosphärisch am ehesten beheimatet im Trübsinn, der nach der Pause regiert - ein vermüllter, abgewohnter Hades, aus dem kaum szenische Funken zu schlagen sind. Nicht nur hier fällt Lanzinos dilettantische Führung von Statisten und Chor traurig auf. Geradezu peinlich die zwanghafte Ausgelassenheit der Ball-Szenarien.

In Bedrängnis: Donna Anna (Anna Sohn) im Griff von Don Giovanni (Denis Velev).
In Bedrängnis: Donna Anna (Anna Sohn) im Griff von Don Giovanni (Denis Velev). © Theater Dortmund | Björn Hickmann

Üblicherweise hat Dortmunds Ensemble das Zeug, eine schiefgegangene Inszenierung musikalisch komplett wieder gut zu machen. Aber gleich zwei sonst sehr gute Sopranistinnen zeigen sich nicht als Idealbesetzung. Mozarts ganz eigenen Gesangkosmos erfühlen in Gänze weder Tanja Christine Kuhns (Elvira) harter, metallischer, noblessefreier Gesang noch Anna Sohn, die als Donna Anna zwar keine Enttäuschung ist, aber (oft zu dramatisch und druckvoll) vokal hinter ihren subtilen Porträts von Bohème und Traviata zurückbleibt. Dabei hätte sie auch mit halbem Furor noch Gehör gefunden. Denn George Petrou kultiviert mit Dortmunds Philharmonikern einen kostbar filigranen Mozart-Ton. Mag der auchnicht pausenlos ein Muster an Präzision sein: Die Herzenswärme und Sinnlichkeit, mit der das Orchester (nicht nur die grandiosen Holzbläser) den Raum flutet, ist genau das, woran es der Inszenierung gebricht.

Don Giovanni singt in Dortmund ein Bass

Damit sind wir beim Verführer vom Dienst. Dortmund hat sich für einen Bass (nicht Bariton) als Don Giovanni entschieden. Respekt für Denis Velev: Die Bandbreite vom Wagner-Schurken Hunding bis zu Mozarts Schlüpferstürmer hat in seinem Fach nicht jeder. Darstellerisch war Velev noch nie ein großer Charismatiker, sanglich ist sein Don freilich eine mehr als achtbare Leistung. Geradezu ideal buffonesk und bei der Premiere sehr gut bei Stimme: Morgan Moodys Leporello. Artyom Wasnetsovs Komtur wird bekanntlich von Giovanni gleich zu Beginn umgebracht. Samstag rächte er sich herrlich mit einem Düsterbass, der fast schon an den großen Talvela erinnert.

Regisseurin entfernt Mozarts Schlussmusik

Der Abend endet mit dieser Bassgewalt und dem von ihr ausgelösten Sog nach unten: Giovanni fährt zur Hölle. Schluss! Denn Lanzino hat das echte Finale einfach gestrichen. Dort hätten die Überlebenden, zu denen auch wir uns zählen dürfen, verraten, was sie nun zu tun gedenken. Zerlina zum Beispiel geht mit ihrem Mann nach Hause, „gemeinsam was essen“. Nach einer Regie-Plage wie dieser gar keine so unmusische Idee.

W. A. Mozart: Don Giovanni. Opernhaus Dortmund. 3h10 Minuten, eine Pause.
Nächste Aufführungen: 30. Januar. 2., 6., 14., 26. Februar. Karten 16-61€, www.theaterdo.de