Essen. Der Weltklassesänger aus Gelsenkirchen gründete eine Agentur für Opernsänger. Im Interview verrät er Fallstricke und Risiken der Branche.
„Tristan“, „Siegfried“, „Parsifal“: Seit mehr als einem Vierteljahrhundert steht der Gelsenkirchener Torsten Kerl (57) als gefragter Tenor auf den ersten Bühnen der Welt. Jetzt hat er in Essen eine Agentur für junge Sänger gegründet. Lars von der Gönna sprach mit ihm darüber, wo für junge Operntalente die Risiken in diesem Ausnahme-Beruf liegen.
Wenn Sie sich an Ihre eigenen Anfänge erinnern: junger Sänger, erstes Engagement, man hat wenig zu fordern. Was bedeutet das?
Ich fing in Gelsenkirchen an, der Intendant war kein Musiker. Ich bekam deshalb viele Partien, die einfach gar nicht für meine Stimme geeignet waren. Sinngemäß: „Den Kerl haben wir ja fest angestellt. Dann kann der ja das und das auch noch singen!“ Ich war der, der beim Friseur am Ende den Laden fegt. Mir hat erst der Besuch bei einer Agentur geholfen. Ich sang vor – und die sagten: „Sie sind da völlig falsch!“
War das Ihr Motiv, jetzt selbst eine Agentur zu gründen?
Das und noch etwas anderes: Ich habe mit vielen Weltklasse-Sängern auf der Bühne gestanden. Was mich bei einigen immer gestört hat, war deren Botschaft: „Wenn ich mal aufhöre, dann ist es aus mit der Oper!“ Das ging mir extrem auf die Nerven. Und es stimmt nicht! Wir haben heute genauso gute Domingos und Caballés. Man muss sie nur erkennen und fördern. Mein Motto: Finden statt motzen! Und dann als erfahrener Sänger-Agent begleiten.
Torsten Kerl: Tenor gründet Agentur für Sänger
Werden jungen Kollegen Rollen zugemutet, die nicht gesund sind, zu groß, sogar gefährlich?
Die müssen nicht nein sagen - wenn sie das können. Wenn man aber stimmlich dauernd zu kämpfen hat, bloß weil man diese größere Rolle haben will, ist das verheerend. Als Agent muss ich vor Fehlentscheidungen warnen, sonst kann eine Begabung in zwei, drei Jahren weg vom Fenster sein.
Was können Musikhochschulen bei der Vorbereitung fürs Sängerleben nicht leisten?
Im Gegensatz zu vielen amerikanischen Hochschulen: Marketing! Wie vermarkte ich mich? Aber auch das Aufklären darüber: Wo liegen stimmlich meine Grenzen? Was ist illusorisch? Professionelle Partienauswahl und Beratung! Nicht selten bauen Lehrer einen Sänger so auf, dass am Ende ein ziemlich geschwollenes Ego dasteht, die denken, sie können alles. Ich bin auch oft erstaunt, nein, erschüttert, wie wenig junge Sänger berühmte Kollegen kennen. Dabei kann man von historischen Aufnahmen unendlich viel lernen - nicht zuletzt, wo man selber steht. Wer bin ich als Sänger? Das ist eine total wichtige Frage.
Tenor Torsten Kerl warnt vor „Knebelverträgen“
Sie wollen sicher kein Nestbeschmutzer sein. Reden wir aber trotzdem über schwarze Schafe unter den Agenturen. Was, wenn man an die falschen Leute kommt?
Ich hatte Glück, aber klar gibt es unseriöse. Oder Übereifrige: Die, die mich vorher, als Anfänger, in Gelsenkirchen mit dem Hintern nicht angeguckt hatten, standen plötzlich bei meinem zweiten Engagement in Karlsruhe da und riefen „Sie sind der neue Kollo!“ Das ist unseriös und geht gar nicht. Eine Karriere muss wachsen, das war auch bei den Großen so. Andere machen Knebelverträge, dass es einem die Sprache verschlägt; die schicken einem ‘ne Rechnung für jeden angespitzten Bleistift. Oder ausländische Kollegen, deren Ahnungslosigkeit ausgenutzt wird. Manches grenzt an Abzocke.
Sie haben als Sänger einen großen Namen. Wie viele Bewerbungen erreichen Ihre Agentur?
Erstaunlich viele, letzten Monat waren es 160.
Und wie viele Künstler haben Sie im Moment im Portfolio?
Etwa 60, auch einige Dirigenten und Regisseurinnen. 30 sind richtig fest bei uns.
Was ist Ihr Ziel?
Wunderschöne Stimmen zu präsentieren und davor zu bewahren, dass sie verheizt werden! Aber um hier nicht nur einige Besetzungs-Teams zu kritisieren: Es gibt leider auch Sänger, die komplett beratungsresistent sind. Einige wenige sind einfach nicht die hellsten Kerzen auf dem Kuchen und behindern so eine erfolgreiche Karriereplanung.
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Sie standen von Wien bis Bayreuth auf den bedeutendsten Bühnen der Welt. Da hat Ihr Wort als Agent doch automatisch ein anderes Gewicht, wenn Sie anrufen und sagen: „Ich hab‘ da einen echt tollen Lohengrin für Euch“...
Den ersten Sänger, den ich als Agent überhaupt hatte, hab’ ich gleich an die Wiener Staatsoper vermittelt. Ja, es kann schon sein, dass die mir eine Minute länger zuhören als anderen. Sicher bin ich aber nicht, bei den anderen bin ich ja nie dabei (lacht).
Zur Person: Torsten Kerl
Der in Gelsenkirchen geborene Tenor Torsten Kerl (*1967) ist ausgebildeter Oboist. Seine Festanstellung beim WDR-Sinfonieorchester gab er auf, um Opernsänger zu werden. Kerls Karriere führte ihn von der Mailänder Scala bis zur Metropolitan Opera New York an die ersten Adressen der Opernwelt.
Kerl lebt in Dülmen, seine neu gegründete Agentur „Torsten Kerl - International Artist Management“ sitzt in Essen. Info: www.tk-iam.de