Dortmund. Das britische Electro-Punk-Duo Sleaford Mods reißt das Publikum im Dortmunder Junkyard mit gesellschaftskritischem Sprechgesang mit.
Andrew Fearn tut gar nicht erst so, als würde es heute großartig auf ihn ankommen. Der vollbärtige DJ und Klangtüftler der Sleaford Mods schlendert zu seinem am Bühnenrand auf einem Fass aufgebauten Laptop, startet mit einem Fingerdruck das Playback – und tanzt fortan fröhlich ungelenk und unbeschäftigt im Hintergrund der Open-Air-Bühne des Dortmunder Junkyard herum. Der Kontrast zu seinem Bandkollegen Jason Williamson könnte kaum schärfer sein: Der virile Rapper und Sänger hat sich vor dem Mikrofon aufgespannt und feuert zu Fearns minimalistischen Electro-Beats atemlos eine Sprechgesang-Schimpftirade nach der anderen über ein Leben ab, in dem einige Wenige in Saus und Braus leben, während vielen anderen oft nur das Schwarze unter ihren Fingernägeln bleibt.
Seit 2007 gibt es das Duo aus dem englischen Nottingham, zwölf Alben sind seitdem entstanden, und auf allen ergänzen sich die beiden Musiker fabelhaft: Fearn bastelt (seit er 2012 den Job von Gründungsmitglied Simon Parfrement übernommen hat) von Post-Punk, Grime, Electro, Rave und HipHop informierte, störrische Beat-Endlosschleifen. Williamson wiederum spuckt darüber als charismatischer Pöbelpoet in seinem breiten East-Midlands-Dialekt Gift und Galle, wünscht die britische Austeritätspolitik zum Teufel, erzählt Fluchwort-durchtränkt aus seinem Arbeiterklasse-Leben und von der Idiotie der Popkultur, gibt der Wut und Entfremdung der Generation (Post-)Brexit eine Stimme.
Sleaford-Mods-Sänger Jason Williamson: Gurren, Kreischen, Blöken
Heute Abend aber, live hier auf der Bühne, ist die Arbeitsteilung klar: Fearn ist einfach nur sympathischer Zierrat, seine Klangkonserven rollen der One-Man-Show von Williamson den roten Teppich aus. Und der Frontmann lässt sich nicht lange bitten: Noch vor der ersten Textzeile gurrt und kreischt er ins Mikrofon, kurz darauf verschwindet es halb in seinem Mund, einmal blökt er wie ein Schaf – so animalisch tritt nur einer auf, der große Freude daran hat, nicht ganz dicht zu wirken, gemeingefährlich gar, wie ein auf Pillen abgedrehter Raver der 90er. Mehrmals schreit er papageiengleich „Who’s a pretty boy?“ – das ist dann schon fast Comedy im Stil der schrillen Frauencharaktere bei Monty Python.
Auch sonst macht Williamson sich selbst zum Ereignis: Hat er gerade keinen Gesangspart, gockelt er Mick-Jagger-artig mit einer Rückhand im Kreuz über die Bühne, stellt sich sinnfrei eine Wasserflasche auf den Kopf, lupft provozierend sein T-Shirt oder funktioniert den Mikroständer zur Langhantel um, immer mal wieder begleitet von einem überheblich-spitzbübischen Grinsen. Was bei anderen hochnotpeinlich daherkäme, kann Williamson sich erlauben, weil er auch mit 53 Jahren noch jene natürliche Coolness verströmt, die auch Oasis-Großmaul Liam Gallagher regelmäßig vor dem ärgsten Kopfschütteln bewahrt.
Kurzweilige Monotonie
Trotzdem muss man großzügig sein, um das schon als Bühnenshow zu bezeichnen; 90 Minuten Sleaford Mods live sind auf den flüchtigen ersten Blick eine eher nüchterne Angelegenheit: der stets ähnliche bittere Wortschwall zu den stets reduzierten Beats, so gut wie keine Ansagen in Richtung Publikum, abseits einer Reihe großer Scheinwerfer eine leere Bühne, quasi keinerlei Schauwerte. Doch Williamsons Vehemenz reißt einen mit, und auch die Songs aus allen Karrierephasen entpuppen sich auf den zweiten Eindruck als variabel genug, rollen mal brutal über einen hinweg und pluckern dann wieder betont billig im Hintergrund. Selten war so viel hämmernde Monotonie so kurzweilig.
Am Ende haben alle „Tory Twats“ und „Noisy Cunts“ ihr Fett weg (einmal holt sich Williamson sogar Szenenapplaus vom Dortmunder Publikum ab, als er sich in „Stick In A Five And Go“ bis aufs Blut in ein eskalierendes Zwiegespräch mit einem Postboten hineinsteigert); gewissermaßen als Bonus haben die Sleaford Mods außerdem mit einer Coverversion den himmlischen Pet Shop Boys-Klassiker „West End Girls“ souverän auf den schmuddeligen Boden der Tatsachen heruntergeholt. „Ey Junkyard, danke, dass ihr gekommen seid!”, ruft Williamson noch, während ihn schon der Bühnennebel einhüllt. Nur noch ein schnelles Foto des jubelnden Dortmunder Publikums, ein ulkiger Jubel-Sprung von Williamson, dann sind die beiden so schnörkellos verschwunden, wie sie zuvor aufgetreten waren. Zugabe? Unnötig. Und eigentlich schon immer uncool.