Essen. Und plötzlich sprießt der Pickel am Kinn: Disneys neues Pixar-Spektakel hat Witz und Tempo. Aber die alte Magie ist dahin.

Irgendwann, der 14. Geburtstag ist noch gar nicht lange her, da sprießt am Kinn der erste Pickel und in Rileys Leben ist nichts mehr, wie es war. Wo vorher noch Liebreiz und Unschuld das Kinderdasein markierten, sorgen jetzt Stimmungsschwankungen im Flohzirkus-Rhythmus und bislang ungekannte Interessen für neuen Schwung, nicht zuletzt bei den Eltern – und in der Kommandozentrale für emotionale Empfindungen.

Wir erinnern uns: 2015 beschert die 3D-Animationskomödie „Alles steht Kopf“ nie zuvor gesehene (oder auch nur geahnte) Einblicke ins Gefühlsleben eines jungen Mädchens, das gesteuert wird von höchst amüsant verkörperten Stimmungslagen. Das Sagen hat die propere, sportliche „Freude“, aber nicht minder wichtig sind die bläuliche „Kummer“, die hellgrüne „Ekel“ (sie verfügt auch über eine beachtliche Kapazität in Richtung Eitelkeit), der altbackene Hänfling „Angst“ und – schön rot sowie von leicht entflammbarem Temperament – „Wut“.

„Alles steht Kopf“ von Pixar: Rund 3,4 Millionen strömten in die deutschen Kinos

Der Film markiert mit seinem originellen Ansatz für Handlung und Figurenzeichnung einen letzten Höhepunkt im Schaffen des Trickstudios Pixar unter der Leitung seines Mitbegründers John Lasseter und erreicht ein beachtliches Kasseneinspielergebnis von weltweit 858 Millonen US-Dollar. Allein in Deutschland strömen rund 3,4 Millionen Besucher in die Kinos.

Neun Jahre danach hat sich einiges geändert. Pixar steht nach dem Weggang von John Lasseter im Jahr 2017 endgültig unter der künstlerischen und damit fast zwangsläufig politisch korrekt ausgerichteten Fuchtel des Mutterkonzerns Disney. Und muss es hinnehmen, dass seine Filme zwar technisch nach wie vor höchsten Erwartungen gerecht werden, inhaltlich hingegen von den Produktionen der ehemaligen Konkurrenten im Hause Disney nicht mehr zu unterscheiden sind.

„Alles steht Kopf 2“ im Kino: Hier die Emotionen „Peinlichkeit“, „Angst“ und „Neid“ mit Ennui alias „Null Bock“.
„Alles steht Kopf 2“ im Kino: Hier die Emotionen „Peinlichkeit“, „Angst“ und „Neid“ mit Ennui alias „Null Bock“. © DPA Images | Pixar

Das zeigt sich sehr, als Riley eines Morgen mit dem besagten Kinnpickel aufwacht und quasi aus dem Stand ihre Eltern mit unabsehbaren Extremlaunen zu piesacken beginnt. Dann erhält sie zusammen mit ihren beiden besten Freundinnen die Einladung zu einem Sportwochenende für besonders talentierte Eishockeyspielerinnen.

Wer es hier schafft, darf in der nächsten Saison beim beliebten Team der Winterhawks mitspielen. Als ausgerechnet die populärsten Spielerinnen Interesse an Riley zeigen, baut sich ein innerer Konflikt auf. Darf das Band zu den treuen, aber bieder wirkenden Freundinnen getrennt werden zugunsten eines neuen, cooleren Umgangs mit Schick?

„Alles steht Kopf 2“ will es möglichst allen recht machen

Auch in der Kommandozentrale wachsen die Spannungen, denn plötzlich wollen vier neue Emotionen mitmischen. Da ist zum einen „Zweifel“, die mit ihrer quirligen Art weniger eine Was-wäre-wenn-Mentalität spiegelt als vielmehr mit ihren wüsten Spontanaktionen eher Übereifer heißen müsste.

Außerdem im Spiel sind das dunkelgrüne Püppchen „Neid“ sowie „Peinlich“, ein Pummel im Kapuzenpulli und – hinten mittig – Maurerdekolleté. Der vierte im Bunde ist der schläfrige Schlaks „Ennui“, der sich der Einfachheit halber „Null Bock“ nennen lässt und grundsätzlich seinem Handy am nächsten ist. Man merkt: Die Pubertät bringt manche Veränderung mit sich, nur nicht in einem Pixar-Film nach Disney-Art.

Denn hier, in der Welt der sündhaft teuren Digitaltrickträume, ist zwar alles möglich, aber längst nicht mehr alles erlaubt. Die Hauptregel lautet, es möglichst allen recht zu machen. Und dafür möglichst nirgends anzuecken. Also legt man Wert darauf, dass möglichst jede Hautfarbe und Religion zumindest einmal im Bild untergebracht ist.

Pixars „Alles steht Kopf 2“ im Kino: Magie und Poesie fehlen

Auch sonst herrscht eitel Konfliktferne, und am Ende des Nachspanns heißt es salbungsvoll, dass die Filmemacher Kinder lieben, und zwar so, wie sie sind. Was immer das im erzieherischen Alltag heißen mag. Ja, es ist ein gedanklich keimfreier Film von Erwachsenen für Erwachsene. Das kindliche Publikum wird derweil mit den üblichen Attraktionen ruhig gestellt, indem ständig etwas losgemacht wird; immerhin gibt es ein paar sehr lustige Begegnungen mit Trickfiguren aus der Frühzeit der Digitaltechnik.

Die meiste Zeit aber drängt sich der Verdacht auf, dass in diesem Fortsetzungsfilm zwar der technische Schwung noch da ist, die anarchische Magie und Poesie im Erzählen von einst hingegen, die gibt es nicht mehr.