Moers. Brechts Klassiker am Schlosstheater in der Regie von Intendant Ulrich Greb: Schrillbunte Farce statt graues Lehrstück.

Am Ende fiel kein Vorhang und es blieben auch kaum Fragen offen – der wohl berühmteste Vers des „Guten Menschen von Sezuan“ von Brecht hatte Regisseur und Hausherr Ulrich Greb schon gleich zu Anfang untergemischt, kleingehäckselt. Ganz groß dagegen der Clou dieser Inszenierung: ein XXL-Ballon mit den Maßen eines Hauszelts, der die gesamten zweit Stunden lang über die Bühne von Birgit Angele wabert. Sie hat auch die fantastischen Kostüme entworfen hat – alle Akteure, auch die Musiker, tragen Boots und weiße Hosen.

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Und die Götter, derer es im Moerser Schlosstheater nicht nur drei, sondern gleich vier gibt, weil der Überbau der Gesellschaft ja ständig expandiert, sind an grotesken Barock-Perücken zu erkennen; auch die teichgroßen Lidschatten in Türkis, die meterlangen Wimpern rücken Brecht aus dem Lehrstück-Mief ins grelle Licht einer Farce, zu der in unserer Zeit noch fast jeder Versuch gerät, ein guter Mensch zu sein, ohne sich in den Fallstricken der globalisierten Kapitalströme heillos zu verheddern.

Marissa Möller in der Hauptrolle der Shen Te und des Shui Ta

Deshalb ja auch der zeltgroße Ballon, aus dem die Akteure oft nur mit dem Kopf herausragen: Wir stecken alle unter einer Decke. Und die ist zu kurz. Schon deshalb spielen hier alle mehrere Rollen wie im wirklichen Leben, nicht nur Marissa Möller als Shen Te und ihr erfundener Cousin Shui Ta. Sie und Magdalene Artelt sind für diese Produktion an ihre einstige Wirkungsstätte zurückgekehrt – ein echter Gewinn, beide spielen mit spürbarer Lust und noch spürbarerem Können. Und auch die beiden „Neuen“ werden dem Publikum des Schlosstheaters sicher noch viel Freude machen: Ludwig Michael gibt einen kantenscharfen Flieger Yang Su, Leonardo Lukanow übernimmt gleich sechs Rollen, ohne auch nur eine einzige wie die andere zu behandeln.

Und ein weiterer grandioser Einfall: Von der Decke hängen hunderte Mineralwasserflaschen in Reih und Glied, und immer wieder einmal pladdert es daraus auf die Bühne, zeitweise ist man an Holk Freytags legendäre „Orestie“ erinnert, aber diesmal sind es nicht 33.000 Liter… Dass es Flaschen eines weltumspannenden Schweizer Lebensmittelkonzerns sind, dessen Base-Cap auch noch der Wasserverkäufer Wang (ensembledienlich und enorm prägnant wie immer: Matthias Heße) trägt, dass zeitweise Blut statt des Wassers aus den Flaschen sprudelt – alles nicht von ungefähr.

Das Trio Recursion dreht die Musik von Paul Dessau durch den Lärm-Wolf

Am Ende erschießt Shen Te die Götter, wieder und wieder, sie sind ja unsterblich. Und so wie der letzte Satz des Stücks – „Es muss ein Guter da sein, muss, muss, muss“ – zum Refrain dieser Inszenierung geworden ist, so lautet er zum Schluss: „Etwas muss falsch sein an unserer Welt, muss, muss, muss.“ Der Gesang in dieser Inszenierung könnte ein wenig sanglicher sein, aber der Befremdungseffekt ist wohl wichtiger; die Anverwandlung der Musik von Paul Dessau durch das Trio Recursionsetzt mehr auf die Illustration des Destruktiven als aufs appellative Aktivieren des Komponisten. Das ist ein bisschen viel Aufwand für einen eher geringen Bedeutungs-Ertrag.

Termine: 9., 10. und 22. September