Essen. 1400 Bilder wurden nach einem Aufruf beim Ruhrmuseum eingereicht. Dort werden nun die besten 60 ausgestellt. Ein Highlight des Reviers.
Nein, das ist kein Amateur-Foto: Diese vor Schwung berstende Tänzerin im himmelstaubenblauen Flatter-Anzug, die da in der Luft schwebt vor dem Rostbraun und dem Klinkerrot des ehemaligen Thyssen-Hochofens in Meiderich, ausgerechnetvor einem blauen Gitterzaun mit gelbem Geländer ist voller Symbolkraft und Anmut zugleich. Das Foto ist die hochprofessionelle Aufnahme einer Frau, die mit anderen Dingen als mit Fotografie ihren Lebensunterhalt bestreitet. Tetiana Makoviichuk hat dazu die Worte notiert: „Das Leben gewinnt immer. Der Landschaftspark Nord war mein erstes Zuhause in Deutschland. Nachdem der Krieg in der Ukraine begonnen hatte, wurde dort eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet. Wir lebten dort die ersten drei Monate.“
Wohl keines der 1400 (!) Industriekultur-Fotos, die nach einem Aufruf in dieser Zeitung von fotografischen „Laien“ beim Essener Ruhrmuseum eingereicht wurden, wird dem Titel „Raum für Zukunft“ so gerecht wie das von Tetiana Makoviichuk. Aber professionelle Qualität haben enorm viele dieser Bilder, die nun in der gleichnamigen Studio-Ausstellung des Ruhrmuseums zu sehen sind. Alle zusammen zeigen sie, wie sehr die Industriekultur zum Identifikationsmoment für die Menschen im Ruhrgebiet geworden ist – ja wie sehr sie geradezu geliebt wird. Und gefeiert.
Da ist unter den 60 ausgewählten Bildern etwa die so sauber leuchtende Tankstelle vor der nachtschwarzen Silhoutte des Thyssenkrupp-Stahlwerks in Duisburg-Beeck oder der klassische Schimanski-Blick darauf bei Tag durch Häuserreihen und einen Verkehrsschilderwald von Michael Rettberg. Da sind die genialen Schwarzweißaufnahmen von Martin Rieker, die dem Pumpwerk Gelsenkirchen 1 ungeahnte Strukturen entlocken.
Am häufigsten fotografierte Industriekultur im Ruhrgebiet: der Tetraeder in Bottrop
Wolfgang Henke wiederum hat in reinster Becher-Manier die letzten Fördertürme des Reviers abgelichtet, aber nicht schlechter als die berühmten Vorbilder. Nina Welz hat die Entstehung eines Weinbergs am Koepchenwerk von Herdecke festgehalten, Rainer Bundtke hat der so oft fotografierten „Schlösschen-Zeche“ Zollern in Dortmund ausgerechnet in Schwarzweiß noch eine neue Dramatik abgewinnen können.
Die meistfotografierte Industriekultur-Ikone, sagt Ausstellungs-Kuratorin Giulia Cramm, ist gar nicht Industrie, sondern Kunst und Design: der Bottroper Tetraeder. Und auch hier fand sich in Gestalt von Sebastian Kramer jemand, der ihn so fotografiert hat, wie man ihn kaum je sah: von innen, als Strebengewirr mit Aufwärtstreppen voller Menschen. Eines der jüngsten Industriekultur-Wahrzeichen auf Halde setzte wiederum Jens Leder in Szene: Den fast acht Meter hohen Aussichtsturm in Form einer orangefarbenen Spiralentreppe im Lippepark von Hamm. Mechthild Lewe wiederum fand ungeahnt schöne Formate, Perspektiven und Lichtstimmungen für die Bramme von Richard Serra auf der Schurenbach-Halde.