Essen. Helen Mirren brillant als Titelheidin in „Golda – Israels eiserne Lady“. Doch der Film von Regisseur Guy Nattiv hat einen Haken.
Es wird so unglaublich viel geraucht in diesem Film, dass man irgendwann meint, riechen zu können, wie der Qualm aus Richtung Leinwand ins Kino vordringt. Golda Meir, seine Heldin, raucht auf der Bettkante, vor dem Untersuchungsausschuss (da zündet sie eine Zigarette an der anderen an) und sogar noch auf dem Behandlungstisch der Klinik, in der sie gleich wegen ihres Lymphoms wieder eine Kobalt-Bestrahlung erhalten soll.
Golda Meirs Drama spiegelt sich im Gesicht von Helen Mirren
Aber es geht gar nicht um die Gesundheit, es geht ums Überleben, politisch, militärisch, moralisch. Und den Kampf darum sieht man nicht in irgendwelchen Panzerschlachten, Flugzeug-Attacken oder Generalstabsdiskussionen, sondern nirgends so deutlich wie im Gesicht der Golda Meir, in dem eine nicht allzu sehr, aber klug maskierte Helen Mirren steckt. Da ist ungeheuer viel Verzweiflung und Entschlossenheit, Erschrecken und Fiebern, Gerissenheit und schnelles Denken – und Dame Helen hält uns stets darüber auf dem Laufenden, welche Mischung gerade in ihrer Golda Meir tobt. Hätte es das Drama der Golda Meir im Jom-Kippur-Krieg nicht schon in der Historie gegeben, man hätte es erfinden sollen, damit die 78-jährige Helen Mirren diese Rolle spielen kann.
Dabei fürfte es im Leben der israelischen Ministerpräsidentin (1898-1978) auch noch genügend andere filmreife Stoffe geben. Ihre Kindheit im ukrainischen Kiew, die durch antisemitische Pogromen von Kosaken und anderen überschattet war (und die sie im Film kurz erwähnt), die Auswanderung in die USA, die eigensinnige Weigerung, sich früh verheiraten zu lassen und der High-School-Besuch gegen den Willen der Eltern, die Einbürgerung in den USA 1917, die Auswanderung nach Palästina mit ihrem Ehemann Morris Meyerson 1921, die drei Jahre im Kibbuz, die Geburt ihrer Kinder Menachem und Sarah, ihr politischer Aufstieg in David Ben-Gurions Arbeiterpartei, die drei Jahrzehnte lang nach der Staatsgründung 1948 das politische Schicksals Israel dominieren sollte. Ihre Geheimverhandlungen in den 1940er-Jahren mit dem transjordanischen König König Abdallah ibn Husain I. über die Bedingungen für eine Staatsgründung Israels. Ihre Jahre in der Knesset von 1949 bis 1974. Wie sie es fertigbrachte Arbeits- und Wohnungsbauministerin zu werden, Außenministerin und 1969 dann Ministerpräsidentin – als erste Frau eines demokratischen Staates, noch vor Isabel Perón. Oder wie Golda Meir 1970 den schon zwei Jahre andauernden „Abnutzungskrieg“ mit Ägypten beendete.
Golda Meir nimmt die Verantwortung auf sich – dabei hat der Mossad versagt
Nein, dieser Film dreht sich ausschließlich um den Jom-Kippur-Krieg und soll wohl vor allem eine Rehabilitierung sein. Für die Frau, der Israels mangelnde Vorbereitung auf jenen Krieg angelastet wurde, den die Ägypter und Syrer am 6. Oktober 1973 mit einem Zwei-Fronten-Angriff auf die besetzten Gebiete begannen, die Israel im Sechstagekrieg von 1967 erobert hatte. Im Film lässt sich Golda Meir die Verantwortung dafür in die Schuhe schieben, obwohl sie nach bestem Wissen und Gewissen handelte (und in Wahrheit ein vom Geheimdienst Mossad versehentlich nicht angeschaltetes Abhörsystem die Ursache gewesen sein soll).
Und da liegt das Problem dieses Films: Er suggeriert, dass Golda Meir die bessere, gewissenhaftere, humanere Politikerin gewesen sei, weil sie – als Frau – Mitleid hatte mit den Müttern umgekommener Soldaten hatte, empathischer war als all die anderen. Als Henry Kissinger etwa, dem sie die entscheidende Groß-Waffenlieferung abpresst. Und klüger als der Feuerkopf Ariel Scharon, dem sie eine große Karriere prophezeit, gleichzeitig aber die wahre Einsicht hinter die Ohren schreibt: „Alle politischen Karrieren enden mit einem Scheitern.“ Dass Golda Meir jedoch eine Politikerin ohne Leichen im Keller gewesen wäre und dass nur sie die rückkehrenden Leichen in den Zinksärgen bis in die Träume verfolgt haben, dürfte ein Mythos sein, ein Idealbild, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Dafür glaubt man gern an die Schlagfertigkeit dieser blitzgescheiten Frau: „Kopf hoch, Mosche“, sagt sie zu ihrem erschütternten Verteidigungsminister Mosche Dayan, „es könnte schlimmer sein.“ – „Und wie?“, fragt der zweifelnd zurück. „Na, Sie könnten meine Füße haben.“
Die USA haben Angst um das saudische Öl, aber Golda Meir nötigt ihnen schwere Waffen ab
Geschickt verknappt bettet der Film diesen Krieg in Palästina in eine weltpolitische Lage ein – die Amerikaner fürchten um die Öllieferungen der Saudis, die Russen wollen Entspannung mit den USA und nichts riskieren. Golda Meir weiß auch, dass der Ägypter Sadat den Krieg aus innenpolitischen Gründen beginnt. Und zu den Merkwürdigkeiten gehört, dass er in Kairo wegen seiner Anfangserfolge als Gewinner des Krieges gilt, der am Ende auf die Versöhnung und die friedliche Koexistenz von Ägypten und Israel hinauslief, die 1979 in Camp David auf Vermittlung von Jimmy Carter zwischen Anwar as-Sadat und Menachem Begin vereinbart wurde.
„Who by Fire“, singt der unvergängliche Leonard Cohen am Ende dieses Films. Der Song beruht auf einem Jom-Kippur-Gedicht: „Wer auf Befehl seiner Lady, wer mit eigener Hand, wer in tödlichen Ketten, wer an der Macht?“ Es macht einen Unterschied, wer an der Macht ist. Aber der resultiert nicht aus dem kleinen Unterschied.