Köln. „Wir sind sehr gespannt“, sagen Kratzen, eine Krautwave-Band aus Köln, vor ihrem Auftritt Ende Juni im Landschaftspark Nord

Als Melanie Graf, Stefanie Staub und Thomas Mersch in den vergangenen Wochen mit dem Rad durch Köln fuhren, fielen ihnen Plakate auf: Traumzeit-Festival, 21.-23. Juni im Landschaftspark Nord, dazu eine Auflistung der Bands, die zu diesem Zeitpunkt feststanden. Bei dem ansprechenden Line-up hätten sich die drei Musiker wahrscheinlich auch so für das Happening interessiert, doch sie reisen am vorletzten Juni-Wochenende nicht als Gäste nach Duisburg. Kratzen, so heißt das Krautwave-Trio, spielen am Festival-Samstag am Hochofen – es ist ihr erstes Mal bei der Traumzeit und somit ihr bisher größter Auftritt.

Beim Interviewtermin im Literaturcafé Goldmund in Köln-Ehrenfeld geben „Mel“ und „Tom“ zu, dass ihnen der Gig am Hochofen viel bedeutet.

Warum eigentlich Kratzen?

Thomas Mersch: Als wir drei uns zusammengefunden hatten, haben wir ja erst einmal nur geprobt, aber irgendwann stand dann der erste Auftritt an und wir brauchten einen Namen. Da kam Kratzen auf. Es gefiel uns, weil es vieldeutig ist – mal fast wohltuend, mal herausfordernd. Man kratzt sich, man wird gekratzt. Das passt zu unserer Musik.

Wie habt Ihr Euch gefunden?

Melanie Graf: Tom und ich haben uns über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Nach einem Konzertbesuch sind wir ins Gespräch gekommen und haben gewettet, welche Platte der Smiths eher rausgekommen ist, ‚Meat Is Murder‘ oder ‚The Queen Is Dead‘. Wir hatten beide vorher in anderen Bands gespielt und dachten, lass uns mal was zusammen machen. Auf der Suche nach einer Schlagzeugerin wurde uns über einen gemeinsamen Bekannten Steffi as Herz gelegt und das hat sofort gematcht.

Und wer von Euch hat früher Velvet Underground bis zum Abwinken gehört?

Beide: Wir alle (Lachen).

Graf: Als ich anfing, mich mit Musik zu beschäftigen, habe ich viele alte Sachen, vor allem aus den 60ern, gehört. Die Byrds, die Kinks und Bob Dylan, und später viel Velvet Underground. Dann kam Wave und Brit Pop dazu. Wir werden allerdings auch mit Krautrock in Verbindung gebracht, dazu bin ich zum Beispiel erst vor ein paar Jahren gekommen.

Mersch: Ich denke, dass wir alle drei vor allem in den 80ern und 90ern musikalisch sozialisiert worden sind. Ich habe viel Punk und Hardcore gehört, fand The Fall und The Smiths immer gut und später auch Manchester Rave wie die Happy Mondays. Ich bin aber auch offen für andere Musik und höre zum Beispiel auch gerne brasilianischen Bossa und Thrash Metal wie Slayer und Kreator.

Kratzen bei einem Auftritt in Olpe.
Kratzen bei einem Auftritt in Olpe. © Veranstalter | Veranstalter

Eure Musik wird mit Krautwave beschrieben, also eine Mischung aus Krautrock und New Wave. Könnt Ihr damit etwas anfangen?

Mersch: Klar – wir haben uns das ja selbst ausgedacht. Als wir mit Kratzen angefangen haben, ging es uns darum, Musik auf das Wesentliche einzudampfen – stoisch, repetitiv, aufs Wesentliche reduziert – und von da aus zu operieren. Viele Krautrockbands haben so geklungen, zum Beispiel Neu!, Can, Faust. Davon bin ich sehr fasziniert, da ist damals in Deutschland neue, spannende Musik entstanden.

Das ist ein tolles Festival mit einer unglaublich beeindruckenden Kulisse. Ich habe mir inzwischen Stücke von fast allen Bands angehört, das Line-up gefällt mir außerordentlich gut.
Melanie Graf - Bassistin und Gitarristen bei Kratzen

‚Unten ist das neue Oben‘, heißt es in dem Stück ‚Unten‘ auf Eurem zweiten Album ‚Zwei‘. Das Stück könnte ein guter Protestsong sein, ich stelle mir das gerade auf dem Gewerkschaftstag vor...

Mersch: Oh, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Es wäre auch nicht unser Herangehen, einen Protestsong zu schreiben. Die Songs entstehen bei uns immer in einem dynamischen Prozess, aus der ersten Idee entwickeln wir ein Stück weiter, bis es fertig ist. Ich schreibe einen Text, dann diskutieren wir darüber, ob daraus ein Song werden kann. Oft kochen wir etwas so lange ein, bis daraus ein Substrat herauskommt und am Ende wird es immer weiter konzentriert auf das Wesentliche.

Ihr habt 2017 Kratzen gestartet, inzwischen sind zwei Alben entstanden und es kommt zu regelmäßigen Auftritten, wenn auch in kleinen Locations. Wo steht Ihr 2024 mit der Band?

Mersch: Man kann sagen, dass es wächst. Dabei machen wir von Anfang an alles selbst, vom Artwork der Platten übers Booking und die PR-Arbeit. Wir haben auch keinen Vertrieb, jede Platte ist handgestempelt und somit ein Unikat. In Köln treten wir regelmäßig auf, zuletzt waren wir zweimal im Ruhrgebiet, letztes Jahr waren wir beim Orange Blossom Special in Beverungen, einem sehr schönen Indiefestival – und nun zum ersten Mal bei der Traumzeit.

Spektakulär ist die Kulisse im Landschaftspark Nord in Duisburg, hier beim Auftritt von Deus im Jahr 2023.
Spektakulär ist die Kulisse im Landschaftspark Nord in Duisburg, hier beim Auftritt von Deus im Jahr 2023. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Was habt Ihr gedacht, als die Einladung zum Traumzeit-Festival kam?

Graf: Fanden wir sehr gut (lacht). Das ist ein tolles Fest mit einer unglaublich beeindruckenden Kulisse. Ich war vor ein paar Jahren schon einmal dort, als Dinosaur Jr. im Landschaftspark aufgetreten sind. Ich habe mir inzwischen auch Stücke von fast allen Bands angehört, das Line-up gefällt mir außerordentlich gut.

Ihr seid nicht die einzigen Kölner dort, auch False Lefty, Soda Frizzante und Fjørt kommen aus der Domstadt.

Graf: Das ist mir auch schon aufgefallen. Köln gehört sicher zum Einzugsgebiet des Festivals, wir sind auf jeden Fall sehr gespannt, was uns dort erwartet.

Werdet Ihr das gesamte Wochenende auf dem Festival verbringen oder nur den Samstag, an dem Ihr selber Euren Auftritt dort habt?

Mersch: Am Samstag will ich mir auf jeden Fall alles anschauen. Wir werden am Nachmittag spielen, also bleibt genügend Zeit, um sich umzuschauen und inspirieren lassen. Ob wir auch am Freitag und am Sonntag dort sein werden, entscheiden wir spontan.

Am Hochofen sind vom 21. bis zum 23. Juni insgesamt 30 Bands zu sehen.
Am Hochofen sind vom 21. bis zum 23. Juni insgesamt 30 Bands zu sehen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wie geht es nach der Traumzeit mit Kratzen weiter?

Mersch: Im Sommer treten wir noch auf dem Puch Open Air in der Nähe von München auf. Derzeit arbeiten wir an unserem dritten Album, das Ende des Jahres erscheinen soll. Danach wollen wir das neue Material wieder im Rahmen einer kleinen Tour vorstellen.

Und was ist, wenn Kratzen plötzlich groß wird?

Graf: Wir hätten natürlich nichts dagegen, wenn noch ein paar mehr Menschen unsere Musik gut finden würden.

30 Bands in drei Tagen

Das Traumzeit-Festival 2024 findet vom 21. bis zum 23. Juni im Landschaftspark Nord in Duisburg statt. Headliner sind Faber, Kettcar und Bombay Bicycle Club. Mit Spannung erwartet werden auch die Gigs von unter anderem Hania Rani, Mine, Alice Phoebe Lou, Blond, Deadletter und Uche Yara. Auf der Street-Food-Meile gibt es lecker was auf die Teller. Weitere Infos, das komplette Line-up und Tickets gibt es hier.