Essen. Neu im Kino: Lisa Azuelos bringt Julien Sandrels Bestseller auf die Leinwand. Warum die Geschichte als Film so gut funktioniert.

Thelma ist 40, alleinerziehend und arbeitet in einer Lagerhalle. Ihr Lebensinhalt ist ihr Sohn Louis. Als der Junge bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt ins Koma fällt, beschließt sie, ihm auf besondere Art zu helfen. Durch das Erfüllen von Wünschen will sie das Kind zurückholen. Der Beginn einer Reise um die halbe Welt.

Als Roman war Julien Sandrels Debüt „Das Zimmer der Wunder“ ein Bestseller (2018) und wurde in 25 Länder verkauft, jetzt kommt die französische Mutter-Sohn-Erzählung in die Kinos: leichte Unterhaltung mit Glückskeks-Botschaft.

„Das Zimmer der Wunder“ entführt nach Tokio

Es gibt viele Geschichten über „Bucket Lists“ mit Lebenswünschen im Kino, unter Lisa Azuelos‘ Regie gesellt sich nun eine weitere dazu. Diesmal ist es eine Mutter, die sich stellvertretend für ihr Kind in Abenteuer stürzt, bis in die Fluten des Atlantiks oder in die Häuserschluchten der Metropole Tokio, wo sie den berühmten Manga-Zeichner KGI sucht, um ein Autogramm für ihren Sohn zu ergattern. Zehn Dinge hat Louis notiert, die er erledigen will, bevor die Welt untergeht, „weil das vielleicht früher kommt als erwartet“. Und die Sache mit dem japanischen Comic-Künstler steht ganz oben.

„Das Zimmer der Wunder“: Alexandrea Lamy spielt die Rolle der Thelma.
„Das Zimmer der Wunder“: Alexandrea Lamy spielt die Rolle der Thelma. © Square One Entertainment | Square One Entertainment

Lisa Azuelos („I Love America“, „Dalida“) erzählt angenehm unaufgeregt und leise. Dieses Mutter-Sohn-Verhältnis ist alles andere als perfekt, anfangs wird Thelma (Alexandra Lamy) in die Schule zitiert, weil Louis (Hugo Questel) sich prügelt. Die beiden streiten, versöhnen sich, gelebtes Miteinander, alles normal. Bis das Schicksal zuschlägt. Während Thelma telefoniert, rast der 12-Jährige mit dem Skateboard über die Straße und wird überfahren. Eine Schockmoment in Zeitlupe, diskret bebildert, aber gerade deshalb mit brutalem Wumms.

Alexandra Lamy spielt die Rolle der Thelma in „Das Zimmer der Wunder“

In einem Notizbuch mit Zeichnungen entdeckt die verzweifelte Thelma Louis‘ heimliche Wünsche und macht sich an ihre Erledigung: Eine Unterschrift auf dem Skateboard organisieren. Skaten auf einer gefährlichen Serpentinenstraße am Mittelmeer, der Mathelehrerin an die Brust fassen. Beim Tauchen mit Walen in Portugal wird Thelma fast ohnmächtig vor Angst – beim Graffiti-Sprayen auf der Wand eines Militärgebäudes rückt die Polizei an. Und dann will Louis auch noch seinen Vater treffen, den er noch nie gesehen hat.

Die französische Schauspielerin Alexandra Lamy hält die Fäden zusammen. Ihre Thelma ist burschikos und lieb, bemüht und mutlos, traurig-hoffnungsvoll, mit jedem Abenteuer hellt sich ihre Miene weiter auf, fühlt sie sich ihrem Sohn näher. An ihrer Seite: Muriel Robin als kernige Großmutter Odette, die selbst eine Farbschlacht im Krankenhaus nicht aus der Fassung bringen kann, ein indisches Frühlingsfest zum 13. Geburtstag. Der junge Nachbar Etienne (Xavier Lacaille) springt immer ein, wenn man ihn braucht – und dann ist da noch die ruppige Krankenschwester Nadège (Martine Schambacher), ein Drachen mit dem Herz am rechten Fleck. Ein prima Ensemble, dem es immer wieder gelingt, die Kitsch-Klippen dieses modernen Märchens zu umschiffen.

Am Ende ist da eine Liebesgeschichte, die keine ist. Und eine, die vorher gar nicht war. Und deutlich mehr als ein Wunder. Aber davon kann man ja nie genug bekommen.